Anwalt stellt Wiederaufnahmeantrag:Suche nach neuen Beweisen im Fall Peggy

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Peggy Knobloch war neun, als sie verschwand. Zwölf Jahre nach ihrem Tod wird die Wiederaufnahme des Falls beantragt. (Foto: dpa)

Vor zwölf Jahren verschwand Peggy aus Lichtenberg, der geistig behinderte Ulvi K. wurde wegen Mordes verurteilt. Doch es gibt Zweifel. Jetzt hat sein Anwalt die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt. Auf mehr als tausend Seiten geht es um Zeugen, die Peggy noch gesehen haben wollen. Und um eine Falschaussage.

Von Hans Holzhaider

Seit Monaten war es angekündigt, immer wieder wurde der Termin verschoben - jetzt ist es so weit: Am Donnerstag übergab der Frankfurter Rechtsanwalt Michael Euler im Landgericht Bayreuth den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gegen den heute 35-jährigen Ulvi K.. Um 13 Uhr überreichte Euler einen Karton mit sechs Leitzordnern an den Pressesprecher des Landgerichts Thomas Gloger.

Der Wiederaufnahmeantrag umfasst 1200 Seiten, hinzukommen rund 900 Seiten Aktenauszüge. Gloger sagte, der Antrag werde jetzt der zuständigen Strafkammer am Landgericht zugeleitet, die eine Stellungnahme der Staatsanwaltschaft einholen werde. Angesichts des Umfangs werde die Prüfung, ob der Wiederaufnahmeantrag zulässig sei, erhebliche Zeit in Anspruch nehmen.

Ulvi K., der nach einer in der Kindheit erlittenen Hirnhautentzündung geistig behindert ist, wurde 2004 vom Landgericht Hof zu lebenslanger Haft verurteilt, weil er nach Überzeugung des Gerichts am 7. Mai 2001 im oberfränkischen Lichtenberg die neunjährige Peggy Knobloch getötet hatte. Schon damals gab es vor allem in der Lichtenberger Bevölkerung erhebliche Zweifel an der Schuld von Ulvi K.. Die Leiche des Mädchens wurde bis heute nicht gefunden. Die Haftstrafe musste K. nicht antreten. Wegen mehrerer Fälle des sexuellen Missbrauchs, für die er wegen seiner geistigen Behinderung nicht schuldfähig war, wurde er in eine psychiatrische Klinik eingewiesen.

Das Landgericht Hof stützte sein Urteil damals vor allem auf ein Geständnis, das K. im Juli 2002 in einer polizeilichen Vernehmung abgelegt hatte. Darin schilderte er, dass er Peggy auf deren Heimweg von der Schule abgepasst habe, um sich bei ihr dafür zu entschuldigen, dass er sie einige Tage zuvor sexuell missbraucht hatte. Peggy sei jedoch davongelaufen. Er habe sie verfolgt und schließlich eingeholt. Als sie um Hilfe schrie, habe er ihr so lange Mund und Nase zugehalten, bis sie kein Lebenszeichen mehr von sich gab. Dann habe er seinen Vater verständigt, der die Leiche beseitigt habe.

Später Widerruf

Später widerrief Ulvi K. dieses Geständnis. Er habe es nur abgelegt, um endlich seine Ruhe vor den zahlreichen Vernehmungen zu haben. Dass er Peggy sexuell missbraucht habe, widerrief er nicht. Ein psychiatrischer Sachverständiger erklärte, das Geständnis sei glaubhaft, weil Ulvi wegen seiner Minderbegabung nicht in der Lage sei, einen so detailreichen Handlungsablauf zu erfinden. Aussagen von Zeugen, die bekundeten, sie hätten Peggy nach dem angeblichen Mord noch in Lichtenberg gesehen, glaubte das Gericht nicht.

Vor allem diese Zeugenaussagen nährten die Zweifel, dass Ulvi K. wirklich der Mörder Peggys sei. In Lichtenberg bildete sich eine Art Bürgerinitiative, die sich zum Ziel setzte, Ulvis Unschuld zu beweisen. Insbesondere die ehemalige Rechtsanwaltsangestellte Gudrun Rödel nahm sich Ulvis an. Sie beauftragte auch den Rechtsanwalt Michael Euler mit der Ausarbeitung des Wiederaufnahmeantrags, der jetzt im Landgericht Bayreuth übergeben wurde.

Junge Zeugen unter Druck

Euler beschäftigt sich in seinem Antrag vor allem mit den Zeugen, die Peggy Knobloch am Nachmittag des Tages, an dem sie verschwand, noch gesehen haben wollen. Unter anderen hatten zwei damals zehnjährige Jungen ausgesagt, sie hätten Peggy in einen roten Mercedes mit tschechischem Kennzeichen einsteigen sehen. In einem Aktenvermerk der Polizei hieß es allerdings, die beiden Buben hätten diese Aussage später im Beisein ihrer Mütter widerrufen und erklärt, sie hätten sich das "nur zusammengereimt".

Dieser Vermerk, so Euler, sei falsch. Die Jungen seien von der Polizei jeweils einzeln vernommen und mit der Bemerkung, ihr Freund habe schon zugegeben, dass sie gelogen hätten, unter Druck gesetzt worden. Die Mütter seien nicht dabei gewesen. Wegen des angeblichen Widerrufs waren die beiden Jungen im Prozess nicht als Zeugen gehört worden.

Fragwürdiges Gewicht einer Falschaussage

Als neue Tatsache führt Euler auch einen ehemaligen Mitpatienten Ulvis in der Psychiatrie ins Feld, der 2004 ausgesagt hatte, Ulvi habe ihm den Mord an Peggy gestanden. 2010 erklärte dieser Zeuge, seine Aussage sei falsch gewesen. Die Polizei habe ihn damals zu der Falschaussage gedrängt und ihm dafür die Entlassung versprochen.

Die Staatsanwaltschaft Bayreuth hatte allerdings entschieden, die Falschaussage sei kein Anlass für eine Wiederaufnahme des Verfahrens, weil das Landgericht Hof sein Urteil nicht auf diesen Zeugen gestützt habe. "Das war nur ein völlig unwesentliches Rädchen bei der Urteilsfindung", sagte der stellvertretende Leiter der Bayreuther Staatsanwaltschaft, Ernst Schmalz. Tatsächlich wird die Aussage des Zeugen in der 130 Seiten starken Urteilsbegründung nur in einem Satz erwähnt, als es um die Frage geht, ob Ulvi K. in Tötungsabsicht gehandelt habe.

Der Rechtsanwalt Euler misst der Falschaussage dennoch erhebliche Bedeutung bei. Die Staatsanwaltschaft müsse beweisen, dass die Falschaussage des Zeugen nicht kausal für das Urteil gewesen sei, sagte Euler. "Das kann sie nicht. Man weiß nicht, wie diese Aussage das Bewusstsein der Richter geprägt hat."

© SZ vom 05.04.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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