Antisemitismus:Gefährlich - von klein auf

148 Straftaten

So viele antisemitische Vorfälle wurden 2017 in Bayern von der Polizei registriert. Mehr als die Hälfte davon in Oberbayern. Nur in 14 Verfahren wurde Anklage erhoben - in den anderen Fällen konnte der Täter nicht ermittelt werden oder war noch nicht strafmündig.

Judenhass ist verbreitet, selbst an bayerischen Grundschulen. Ein neues Meldesystem soll Überblick verschaffen

Von Birte Mensing

In einer Realschule nahe von Straubing trägt eine jüdische Schülerin eine Davidsternkette. Sie wird daraufhin von einem Mitschüler beleidigt. Die Lehrerin antwortet nur, dass sie nichts dafür könne und denke, das Mädchen habe alles falsch verstanden. So wurde der Fall dem Zentralrat der Juden in Deutschland gemeldet. Beleidigungen durch Mitschüler und die Ignoranz der Lehrer, das erlebten auch jüdische Schülerinnen und Schülern an einem Gymnasium in Hof, sowie an Grundschulen in Augsburg und im Landkreis Dachau.

Solche Vorfälle werden bisher nicht statistisch erhoben. In den Zahlen des Landeskriminalamtes zu antisemitischen Straftaten wird nur gelistet, was polizeilich angezeigt wird. In Bayern waren das im Vorjahr 148 antisemitische Straftaten, darunter eine Gewalttat und 90 Fälle von Volksverhetzung. Bayerns Justizminister Winfried Bausback betont, dass gerade die Hetze im Internet schwer strafrechtlich zu verfolgen sei. Die bundesweite Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) in Berlin warnt vor einer hohen Dunkelziffer, da viele Delikte nicht zur Anzeige bracht werden oder nicht strafbar sind.

Eine eigene Meldestelle ruft Ludwig Spaenle (CSU) als Beauftragter für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus jetzt auch in Bayern ins Leben, um antisemitische Vorfälle ausführlicher zu dokumentieren. Er spricht von einer "Kultur des Hinschauens". Die Leipziger Mitte Studie bestätigte 2014, dass die Bayern das besonders nötig hätten. 12,6 Prozent der Befragten stimmten antisemitischen Aussagen zu. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, bot im Mai an, Meldestellen in den 13 zum Zentralrat gehörenden jüdischen Gemeinden einzurichten: "Ich hoffe, dass es uns mit Unterstützung der Staatsregierung gelingt, dieses Meldesystem bis Ende dieses Jahres einzurichten", sagte er. In den vergangenen Wochen haben Vertreter der Sozialreferate der jüdischen Gemeinden gemeinsam mit Vertretern des Kultus- und Sozialministeriums nun die Einrichtung einer Institution mit eigenem Personal beschlossen. Die Meldestelle solle die Vorfälle schließlich nicht nur sammeln, sondern auch einordnen und bewerten, um anschließend Betroffene zu beraten und die Gesellschaft aufzuklären. Die Arbeit soll im Herbst aufgenommen und vom Sozialministerium finanziert werden.

Auch an Schulen widerfährt jüdischen Kindern latenter Antisemitismus, wie er künftig registriert werden soll. An einer Grundschule im Kreis Dachau wurden jüdische Feste im Ethikunterricht als "nicht so wichtig" abgetan und weggelassen. Es geht manchmal um Nuancen, und vor allem darum, dass Lehrer oft nicht zu reagieren wissen und sich der Verantwortung entziehen, wie aus den Schilderungen des Zentralrates deutlich wird. "Hier besteht sehr viel Nachholbedarf", sagte Schuster im Mai. Besuche in Gedenkstätten und in jüdischen Museen könnten vorbeugen, am meisten wirke aber die persönliche Begegnung. Dafür stehen das Programm "Likrat" des Zentralrats und "Rent a Jew" der Europäischen Janusz Korczak Akademie, die Schulklassen einen Besuch von jüdischen Schülern und jungen Erwachsenen vermitteln.

Diese Sensibilisierung ist laut Spaenle besonders bei Jugendlichen wichtig, die in arabischen Ländern aufgewachsen sind. Dort werde Israel häufig das Existenzrecht abgesprochen, und oft werde zwischen dem Staat Israel und Juden nicht differenziert, Verschwörungstheorien propagiert. An der Stelle hakt der deutsch-israelische Psychologe Ahmad Mansour mit seiner Präventionsarbeit ein, mit dem Spaenle kooperieren will. Denn auch in Deutschland wird der Staat Israel zur Projektionsfläche für klassischen Antisemitismus, sobald sich die Situation im Nahen Osten wieder einmal verschärft. Auch deshalb will sich Spaenle in seinem Amt verstärkt um Israel bemühen, zum Beispiel mit der Initiation eines Deutsch-Israelischen Jugendwerkes.

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