Atom-Gegner Hans Söllner:"Seit Tschernobyl hat sich nichts verändert"

Lesezeit: 3 Min.

Liedermacher Hans Söllner trat in Stuttgart vor Tausenden Atomgegnern auf. Der streitbare Künstler über Raubbau an der Umwelt, seine konservative Seite - und seine Enttäuschung über die Grünen.

Oliver Das Gupta

Der Liedermacher Hans Söllner, Jahrgang 1955, ist an diesem Samstag anlässlich des Anti-Atomprotests in Stuttgart aufgetreten. Der streitbare Bayer macht seit jeher aus seiner Abneigung gegen Obrigkeiten und die Atomkraft keinen Hehl. Während des Interviews bietet ein junger Stuttgarter dem Sänger einen Joint an. Söllner lehnt dankend ab: "Ich rauche heute nicht", sagt er.

Liedermacher Hans Söllner bei der Anti-Atom-Demonstration in Stuttgart. Der streitbare Künstler engagiert sich seit vielen Jahren gegen die Kernkraft. (Foto: Getty Images)

sueddeutsche.de: Die dramatischen Ereignisse in Japan haben den Fokus wieder auf das Thema Atomenergie gerichtet. Sie wetterten schon nach dem GAU von Tschernobyl gegen die Atomkraft, nun engagieren Sie sich wieder. Was hat sich in den letzten 25 Jahren verändert?

Söllner: Im Grunde hat sich seit Tschernobyl gar nix geändert. Weder der Umgang der Machthabenden im Umgang mit uns Bürgern, noch der Umgang der meisten Menschen mit der Umwelt.

sueddeutsche.de: Das müssen Sie genauer erklären.

Söllner: Wenn ich mein Haus nicht pflege, dann kommt es herunter. Wenn ich mich nicht um meinen Garten kümmere, wird er verwuchern. Das ist mit den Meeren, den Wäldern, den Flüssen und der übrigen Umwelt nicht anders.

sueddeutsche.de: Auslöser der Atom-Katastrophe in Japan war allerdings ein Erdbeben - was können die Menschen für eine solche Naturkatastrophe?

Söllner: Für mich ist das schon ein Wink mit dem Zaunpfahl, wenn das Meer herauskommt und eine Nation überschwemmt, die so mit Lebewesen umgeht - wobei ich nicht alle Japaner über einen Kamm scheren will.

sueddeutsche.de: Die Natur wehrt sich also, meinen Sie?

Söllner: Uns erwischen die Schweinegrippe und andere Seuchen, weil wir mit den Viechern nicht artgerecht umgehen. Wir gehen auch nicht anständig mit uns selbst um, sonst würden wir uns auch nicht den atomaren Gefahren aussetzen. Wenn wir Menschen uns gegenseitig besser behandeln würden - gesund ernähren, nett miteinander umgehen - dann würden wir automatisch dasselbe auch mit der Umwelt tun.

sueddeutsche.de: Ihr Menschenbild ist ziemlich pessimistisch.

Söllner: Im Grunde genommen fressen wir uns auf Kosten der Welt durch, ohne Rücksicht auf uns und den Rest des Planeten. Immer mehr, mehr, mehr: Darum plündern wir die Natur, darum brauchen wir genmanipulierte Lebensmittel, darum industrialisieren wir die Landwirtschaft, darum spielen wir Gott. Das ist so ein Widerspruch zum eigentlichen Leben und zu Gott.

sueddeutsche.de: Sie glauben an Gott?

Söllner: Ja, schon.

sueddeutsche.de: Sie klingen gerade wie ein Konservativer.

Söllner: Eigentlich bin ich konservativ. Aber nicht krankhaft.

sueddeutsche.de: Was bedeutet Konservatismus für Sie?

Söllner: Dass man an alte Werte glaubt. Konservativ ist für mich kein Schimpfwort. Wenn ein Konservativer gute Politik machen würde, wäre ich auch bereit, dem zuzustimmen. Aber sie machen halt keine gute Politik.

sueddeutsche.de: Auch die Grünen nicht? Die gelten ja inzwischen als verkappte Konservative.

Söllner: Ich will nicht das kleine Übel wählen, ich will gar kein Übel wählen.

sueddeutsche.de: Was stört Sie denn? Die Grünen sind wie Sie gegen Stuttgart21 und die Atomkraft und könnten in Baden-Württemberg erstmals den Ministerpräsidenten stellen.

Söllner: Wenn ich in Baden-Württemberg leben würde, dann würde ich auf jeden Fall nicht zur Wahl gehen. Momentan sehe ich einfach niemanden, den ich wählen könnte. Zweimal habe ich die Grünen gewählt, aber Sie haben sich verhalten, wie die anderen: Sobald Sie im Amt sind, denken Sie nur noch an Ihre Karriere. Und daran, Ihre Art und Weise durchzudrücken.

sueddeutsche.de: Bei ihrem Auftritt vor den Stuttgarter Atomgegnern heute haben sie den Stuttgart21-Schlichter Heiner Geißler besungen als Ihren...

Hans Söllner: ..."zweitbesten Freund" - ironisch gemeint.

sueddeutsche.de: Früher haben sie den damaligen CDU-Generalsekretär in Zusammenhang gesetzt mit "geistiger Masturbation".

Söllner: Ich habe keinen Prozess gewonnen. Das hat mich insgesamt 300.000 Mark gekostet.

sueddeutsche.de: Haben Sie nun Ihren Frieden geschlossen?

Söllner: Überhaupt nicht! Der Mann hat sich nicht verändert. Geißler hat sich nur einen weißen Pelz angezogen.

sueddeutsche.de: Immerhin ist Geißler nun Globalisierungskritiker und sogar von den Stuttgart21-Gegnern als Schlichter akzeptiert und gelobt worden.

Söllner: Gerade Stuttgart 21 zeigt, dass Geißler seiner CDU immer noch treue Dienste leistet. Es ist, wie wenn man einen Geißbock in ein Gemüsegewächshaus sperrt und darauf hofft, dass er es bewacht und nichts frisst. Natürlich frisst er es.

sueddeutsche.de: Sie hatten schon vor der Schlichtung Kontakt zu den Gegnern von Stuttgart 21.

Söllner: Damals habe ich den Leuten gesagt: Macht das bloß nicht. Holt euch lieber einen Hopi-Indianer als Vermittler, aber nicht ausgerechnet einen aus der Partei, die für das ganze Projekt verantwortlich ist. Jetzt zeigt sich, dass die Sorge berechtigt war: Durch die Schlichtung hat der Protest gelitten. Geißler hat es geschafft, den Drive rauszunehmen.

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