In Ansbach sagt der Postbote noch "Guten Morgen". Auch zu Reportern, die mit ihren Vans die Altstadt verstopfen. Und auch, wenn neben ihm gerade ein Polizeiwagen hält, aus dem vier Beamte mit einem Sprengstoff-Spürhund steigen.
Im Laufschritt drängen sich die Polizisten am Postboten, an Passanten und Reportern vorbei - in Richtung des Platzes, wo sich am Vorabend ein 27-jähriger Syrer in die Luft gesprengt hat. Hund und Polizisten beachten das weiß-rote Absperrband nicht, vor dem zwei weitere Beamte Wache halten. Sie biegen um die Ecke, hin zu Eugens Weinstube. Dort, am Eingang zu einem Musikfestival, detonierte der mit Metallstücken versehene Sprengsatz des Täters.
Burkhard Baumann befand sich zu diesem Zeitpunkt keine 50 Meter entfernt auf dem Gelände des kleinen Festivals, das wohl das eigentlich Ziel des Selbstmordattentäters war. Baumann ist der Vorsitzende des Kunsthauses Reitbahn, vor dessen Haustür die Veranstaltung stattfand. Er und seine Kollegen schenkten in einem Pavillon auf dem Platz Bier aus. Zehn war es, vielleicht halb elf, meint er. Da habe es plötzlich geknallt. "Unheimlich laut", sagt Baumann. "Das hat so richtig geröhrt."
Das Geräusch wurde von einem kleinen Tunnel, der einer der Eingänge zum Festival war, verstärkt. Baumann rollt das "R" charakteristisch fränkisch. Als es röhrte, blieb Baumann erst einmal ruhig. Die Polizei sagte ihm und seinen Kollegen, es habe eine Gasexplosion gegeben. Ein Terrassenheizer, der in die Luft geflogen ist. Gewundert habe er sich erst, als ein Polizist mit "langem Gewehr" - Baumann breitet die Arme aus, um die Größe zu verdeutlichen - an ihm vorbeilief. "Mensch, hör doch auf", habe er zum Beamten gesagt. Ein Gewehr wegen einer Gasexplosion? Und dann kamen die Hubschrauber.
Heute Morgen dann die Wahrheit aus dem Radio: Das war kein Heizpilz, der da explodiert ist. Sein gemütlicher Dialekt unterstellt Baumann eine Grundgelassenheit, die er am gestrigen Abend verloren zu haben scheint. Was macht er jetzt mit dem für Anfang September in der Stadt geplanten Bardentreffen? Das könne man ja nicht einfach stattfinden lassen. "Man kann niemandem mehr trauen, und man traut sich nichts mehr", sagt er. Er sei der Verantwortliche für das Bardentreffen. Unterschreiben müsse er dafür sogar. Wenn dann was passiert.
15 Menschen sind am Sonntagabend in der Nähe des "Ansbach Open" verletzt worden, vier von ihnen schwer. In Lebensgefahr befindet sich keines der Opfer. Der Täter ist tot.
Am Morgen nach der Explosion steht noch ein Wagen des Roten Kreuzes an einem der Zugänge zum Tatort. Ein junger Mann will gerade einsteigen. Er hat den Einsatz am Vorabend geleitet, hat zusammen mit Kollegen die Opfer versorgt und innerhalb von Stunden Notstationen für Anwesende und Angehörige eingerichtet. Seine Schultern hängen unter der orangefarbenen Weste, als wäre sie mit Blei gefüllt. Was das für eine Nacht war? "Eine lange", sagt er, die Augen hinter eckigen Brillengläsern halb zu. Jetzt habe er nur noch das Material abgeholt, Rucksäcke und so. Was eben am Abend liegen geblieben ist. Einen Einsatz dieser Art habe er noch nie erlebt. Er kann nicht mehr sprechen oder will nicht mehr, schüttelt den herunterhängenden Kopf. "Muss ned sein", sagt er nur noch. Und steigt in den Bus.
Dass nicht mehr passiert ist, liegt wohl vor allem daran, dass der Täter keine Eintrittskarte für das Festival besaß. Als er bemerkte, dass die Sicherheitskräfte Taschen durchsuchen, habe er außerdem seinen Weg geändert. Deshalb sei die Bombe etwas abseits der Menge detoniert.
Es liegt aber auch, da sind sich die Ansbacher einig, an der besonnenen Reaktion des Musikers Gregor Meyle. Er habe den Fans in aller Ruhe erklärt, dass es Probleme gebe. Der Platz vorläufig geräumt werden müsse. Man sehe sich nach einer kurzen Pause wieder. Er ging zu dem Zeitpunkt noch von einer Gasexplosion aus. Doch es ging nicht weiter. Die Veranstaltung wurde abgebrochen.
2000 Besucher waren etwa beim Konzert, 4000 hätten kommen dürfen. Zwei der Ausgänge wurden nach der Explosion verriegelt. Den Besuchern blieben zwei maximal drei Meter breite Einfahrten als Ausgänge von dem sonst abgeschlossenen Platz. Selbst beinahe leer wirkt der Platz mit diesem Wissen am nächsten Morgen verdammt eng. Hier eine Bombe? Eine kleinere Massenpanik hätte vielleicht schon ausgereicht, damit der Abend einen noch weniger glimpflichen Ausgang genommen hätte.
Der Täter, das weiß inzwischen jeder in Ansbach, war ein syrischer Flüchtling, der vor zwei Jahren nach Deutschland kam. Sein Asylantrag wurde abgelehnt. "Den sollen sie gleich abschieben", sagt ein Mann, der sich an das geöffnete Autofenster eines Bekannten klammert. Wenige Schritte weiter warten ein Mann und eine Frau vor einem Orthopäden. "Der hat schon zwei Selbstmordversuche hinter sich", sagt sie zu ihm. Auch das weiß man. Der Täter war in psychiatrischer Behandlung. Nicken. Schweigen. Ratlosigkeit.
Gegen Mittag geben Schüler vor laufenden Kameras Interviews auf Englisch und machen Fotos von Fernsehvans. Reporter fragen nach Würzburg und nach München. Schulterzucken. Und jetzt Ansbach? Plötzlich ist sie wieder da, die fränkische Gelassenheit. "Hier ist doch nichts passiert", sagt einer zu seinen Freunden, nicht zur Kamera. "Ist doch keiner gestorben."