Süddeutsche Zeitung

Ansbach:Zeitenwende im Bezirkstag

In Mittelfranken stellt die CSU erstmals seit 1962 nicht mehr den Präsidenten. Eine bunte Koalition hob Armin Kroder von den Freien Wählern ins Amt. Die Kontrolle der skandalgebeutelten Kliniken obliegt künftig einem Politiker der Grünen

Von Uwe Ritzer, Ansbach

Vermutlich hat Peter Daniel Forster das Unheil kommen sehen. Er sei jedenfalls auf alles gefasst, vertraute er der Nürnberger Zeitung im Vorfeld jener Bezirkstagssitzung am Donnerstag an, die dann tatsächlich die Machtverhältnisse im mittelfränkischen Regionalparlament neu ordnen sollte. Seit 1962, ununterbrochene 56 Jahre also, stellte die CSU den Bezirkstagspräsidenten von Mittelfranken.

Nun aber stand ihr vor wenigen Tagen erst für den Posten ausgerufener Kandidat Forster auf derart verlorenem Posten, dass die Partei statt ihm im letzten Moment die Erlanger Neu-Bezirksrätin Alexandra Wunderlich ins Rennen schickte. Mit dem hübschen, weil angesichts der Umstände eher nach Verzweiflung klingenden Argument, 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechtes wäre es nun Zeit für eine Bezirkstagspräsidentin.

Es half am Ende alles nichts. Als einziger der sieben bayerischen Bezirke wird Mittelfranken ab sofort von einem Bezirkstagspräsidenten geführt, der nicht der CSU angehört: Armin Kroder, 45, Freier Wähler und hauptberuflich Landrat des Kreises Nürnberger-Land, wurde von einem "Bunten Bündnis" durchgesetzt, das sich selbst so nennt, was die Konstruktion wiederum ganz gut beschreibt. Denn die Grünen als zweitstärkste Partei nach der CSU haben sich dazu mit den FW, der SPD, den Linken und dem Einzelkämpfer der Gruppierung Die Franken zusammengetan. Gemeinsam setzten sie Kroder mit 17 Stimmen gegen Wunderlich durch, die 16 Stimmen von CSU, AfD, FDP und ÖDP erhielt.

Schon kurz nach der Sitzung kritisierte der Nürnberg-Fürther CSU-Chef Michael Frieser, dass Kroder, der jüngst für die FW an den Koalitionsverhandlungen mit der CSU im Landtag beteiligt war, nun "tatsächlich mit der Linkspartei gemeinsame Sache macht, um Bezirkstagspräsident zu werden". Dass die CSU-Kandidatin Wunderlich auf die AfD angewiesen war, kommentierte Frieser nicht. Stattdessen rügte er das "seltsame Demokratieverständnis" des bunten Bündnisses, welches "die CSU aus zweifelhaften Beweggründen" ausgeschlossen habe.

Was die Sache nicht ganz trifft, denn nachdem die Sozialdemokratin Christa Naaß ebenfalls mit 17 gegen 16 Stimmen als Bezirkstags-Vizepräsidentin bestätigt worden war, boten die Grünen der CSU einen weiteren Stellvertreterposten an, was deren Fraktionschef Forster aber als unnötiges "Almosen" ablehnte. In der Folge wurden der Grüne Daniel Arnold und der Linke Titus Schüller gewählt, ebenfalls jeweils mit 17 gegen 16 Stimmen. Damit ist die CSU, obwohl mit elf von 33 Sitzen stärkste Fraktion, in der mittelfränkischen Bezirkstagsspitze nicht mehr vertreten.

Was ihr Nürnberg-Fürther Bezirkschef Frieser als irritierend, als Ausgrenzung und "parteitaktisches Spielchen" geißelte, ist in Wirklichkeit die Folge der unsäglichen Vorgänge bei den Bezirkskliniken Mittelfranken. Länger als ein Jahr türmten sich dort die Vorwürfe gegen Vorstand Helmut Nawratil immer höher, den der bisherige Bezirkstagspräsident Richard Bartsch (CSU) und seine Partei jedoch bedingungslos und ohne erkennbaren Aufklärungseifer stützten. Bis Nawratil nicht mehr zu halten war, nachdem Sonderprüfer kurz vor der Bezirkstagswahl zu dem Ergebnis kamen, dass viele der Vorwürfe gegen ihn in Sachen Missmanagement, Auftragsvergaben, fragwürdiger Umgang mit Personal und Verwaltungsrat wohl zu Recht erhoben worden waren. Nawratil wurde geschasst, was der CSU aber nicht mehr half. Bartsch musste frühzeitig erkennen, dass es für eine weitere Amtszeit - es wäre seine vierte gewesen - keine Mehrheit mehr gab.

Am Donnerstag holte diese Erkenntnis auch den im Auftreten gegenüber Nawratil-Kritikern in der Vergangenheit stets schneidigen Forster schmerzlich ein. "Das Vorgehen der CSU hat unser Bündnis erst richtig zusammengeschweißt", sagt Daniel Arnold, gemeinsam mit Maria Scherrers Fraktionschef der Grünen, mit Blick auf das "Bunte Bündnis". Die Zustimmung zu Kroder als neuem Präsidenten sei den beteiligten Parteien leicht gefallen, da dieser in den Vorgesprächen den Willen zu einem neuen Stil habe glaubhaft erkennen lassen. Er wolle versuchen, alle Bezirksräte parteiübergreifend gleich zu behandeln und die Verantwortung breiter aufstellen, sagte Kroder nach seiner Wahl.

Sechs von sieben

Mit dem Landtag wurden am 14. Oktober auch die bayerischen Bezirkstage neu gewählt. Am Donnerstag traten die letzten dieser Regionalparlamente zu ihren konstituierenden Sitzungen zusammen und wählten ihre Spitzenvertreter. Die Riege der sieben Bezirkstagspräsidenten ist damit wieder komplett. Besetzte die CSU in der vergangenen Wahlperiode alle sieben Präsidentenposten, sind es künftig nurmehr sechs: In Mittelfranken übt mit Armin Kroder erstmals ein Freier Wähler das Amt aus. In Oberbayern wurde Josef Mederer in seinem Amt ebenso bestätigt wie in Niederbayern Olaf Heinrich, Franz Löffler in der Oberpfalz und Erwin Dotzel in Unterfranken. Neuer Bezirkstagspräsident von Schwaben ist Martin Sailer. Ebenfalls neu im Amt ist Henry Schramm in Oberfranken. SZ

"Ich bin von Größenwahn weit entfernt und glaube nicht, dass ich übers Wasser gehen kann", sagte Kroder der SZ. Er stehe für einen "vernünftigen Umgang, denn der Bezirkstag ist ein Kollegialorgan und kein Parlament mit Regierung und Opposition". Sachlich, problemorientiert und mit Blick auf vernünftige Lösungen will er sein neues Amt angehen. Das gelte erst recht für die Aufarbeitung der Vorgänge bei den Bezirkskliniken. Aus dem Bericht der Sonderprüfer und einem mittlerweile existierenden, zweiten Gutachten, "das die Dinge in etwas milderem Licht erscheinen lässt" (Kroder) müssten die richtigen Konsequenzen gezogen werden.

Wobei der neue Bezirkstagspräsident erwägt, anders als sein Vorgänger Bartsch, nicht den Verwaltungsratsvorsitz bei der Klinikfirma zu übernehmen. Der Posten liefe dann wohl auf die Grünen zu, entweder auf deren Neu-Bezirksrätin Andrea Bielmeier oder auf Daniel Arnold, der in der Vergangenheit bereits zeitweilig in dem Aufsichtsgremium saß und sich dort als hartnäckiger Kontrolleur profilierte. Personell sind im Klinik-Verwaltungsrat die Weichen für einen Neuanfang gestellt. Mehr als die Hälfte seiner Mitglieder sind neu in dem Gremium.

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Quelle:
SZ vom 09.11.2018
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