Süddeutsche Zeitung

Ansbach:Ein Grauschleier über der Stadt

In Ansbach hat der Selbstmordanschlag die Stimmung vergiftet: Neonazis marschieren auf und ehrenamtliche Helfer werden beschimpft. Währenddessen demonstrieren Flüchtlinge für Frieden.

Von Stefan Mayr

Pascal Böhms Funkspruch ließ keine Zweifel übrig. "Eingang eins, rot." Damit wussten alle anderen Security-Leute: Der Kollege braucht dringend Hilfe, alle Kräfte sofort zu ihm. "Wir haben ein Ampelsystem", erklärt Mit-Geschäftsführer Andreas Seifert von der Firma Pro-Tect. "Rot heißt für uns: Vollgas."

Als die 14 Sicherheitsleute vor "Eugens Weinstube" eintrafen, war ihnen schnell klar: "Rot" heißt nicht wie üblich Schlägerei. Und es geht auch nicht um einen defekten Gasheiz-Pilz. Sondern um eine Bombe. "Es hieß, ein Rucksack sei durch die Luft geflogen", berichtet Seifert. "Und es roch nach Schießpulver und Schwefel."

"Es hatte einen Riesenschlag gemacht", sagt Pascal Böhm, "das war richtig, richtig laut." Am Sonntag gegen 22 Uhr zündete der syrische Asylbewerber Mohammad D. in der Ansbacher Altstadt eine Rucksack-Bombe. Der 27-Jährige war sofort tot, vier Menschen wurden schwer verletzt, elf leicht.

Nach dem Knall lief Pascal Böhm sofort zur Stelle der Explosion. "Da lagen zwei Männer am Boden." Der 25-Jährige deutet auf die Stelle, wo gelbe Kreidestriche zeigen, dass der Attentäter dort zu liegen kam. "Er war sofort tot", sagt Böhm, "das ist schon ein mulmiges Gefühl, wieder hier zu sein." In den zwei Tagen seit der Bombe hat er erst zwei Stunden geschlafen. "Ich habe immer diesen Knall im Ohr, und die Bilder im Kopf: Die zwei Männer am Boden. Das Blut."

Pascal Böhm ist erst seit April nebenberuflich für die Firma Pro-Tect aus dem Ansbacher Vorort Weidenbach-Triesdorf tätig. "Bis jetzt war es ein cooler Job", sagt Böhm, "gut gelaunte Leute, meistens nix los." Und dann kam der Sonntag. Er kontrollierte die Taschen der Gäste, die die "Ansbach Open" auf der Reitbahn besuchten.

Der Attentäter war ihm etwa 20 Minuten vor der Explosion erstmals aufgefallen. "Er stand in zehn Meter Entfernung und hat mich beobachtet", erzählt Böhm. Das war zunächst nicht auffällig, denn viele Leute ohne Ticket versuchten, einen Blick durch den Torbogen auf die Bühne zu erhaschen.

Erst nach einiger Zeit wurde deutlich: Mohammad D. interessiert sich nicht für die Musik von Gregor Meyle. Er telefonierte mit seinem Handy. "Und er blickte sich nervös um", sagt Böhm. Der Security-Mann sah kurz Richtung Bühne. Dann machte es schon Bumm.

Am Montagabend, keine 24 Stunden nach dem Attentat, sind bereits die Neonazis in der Stadt. Etwa 50 rechtsradikale halten eine "Spontan-Demonstration" ab. Auf ihren Plakaten steht: "Kriminelle Ausländer raus!" Das Wort "kriminelle" ist so klein geschrieben, dass man eigentlich nur zwei Wörter erkennt: "Ausländer raus!" Es gibt auch eine Gegendemo.

Etwa 100 Menschen rufen "Nazis raus". Das 40 000-Einwohner-Beamtenstädtchen Ansbach, es ist heute die Stadt des Terrors und des Hasses. 45 Polizisten verhindern, dass Rechte und Linke aufeinander losgehen. Ansbach Closed statt Ansbach Open.

Egal, wen man am Montag und Dienstag in der Stadt fragt, die zwei meistgehörten Sätze lauten: "Jetzt reicht's!" und "Die Stimmung kippt." Ersteres sagen all jene, die der Willkommens-Kultur schon immer skeptisch gegenüberstanden. Sie fühlen sich jetzt bestätigt. Und sie gehen mitunter aggressiv auf jene los, die die 644 Asylbewerber von Ansbach unterstützen. Wie zum Beispiel Brigitte Schindler.

Die ehrenamtliche Flüchtlingshelferin erzählt von schockierenden Erlebnissen. Am Montag wurde sie an der Supermarktkasse von einer älteren Frau angemacht. "Wegen dieser Scheiß-Asylanten müssen wir jetzt Angst haben", raunte sie, "wegen Euch Gutmenschen haben wir die jetzt hier." Die Helferin, die aus Angst um ihre Kinder ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, drehte sich wortlos weg und ging. "Ich habe Angst bekommen."

Am Abend berät sie mit ihrem Ehemann, ob sie ihr Engagement stoppen soll. "Aber wir haben uns gesagt: Jetzt erst recht. Wir können die Leute nicht alleine lassen." Sie macht weiter - nur nicht mehr öffentlich. Keine Zeitungsartikel mehr, keine Fotos, keine Postings. "Ich habe viele Anrufe bekommen, die mir empfohlen haben, halte die Füße still." Es waren, das muss man an dieser Stelle betonen, wohlwollende Anrufer.

Das ist das Bayern nach Würzburg, München und Ansbach 2016: Wer Flüchtlingen hilft, muss sich verstecken. Auf der Facebook-Seite "Schwarzes Brett Ansbach", eine Art virtueller Flohmarkt, wird am Montag zur Nazi-Demo aufgerufen. Brigitte Schindler berichtet, was ihr eine Freundin erzählt hat: In den Modeladen H & M kam am Montag eine muslimische Mutter mit Kopftuch und Kindern. "Viele Kunden haben das Geschäft sofort verlassen."

Brigitte Schindler macht nicht den Eindruck, als neige sie zu Übertreibungen. Sie klammert sich an ihre Teetasse, wägt ihre Worte sorgfältig. Sie erzählt von den Reaktionen syrischer Flüchtlinge. Noch in der Bombennacht hätten sie sich erkundigt, ob alles gut ist. "Dann haben sie sich für ihren Landsmann entschuldigt." Sie seien fassungslos, "dass ein Mann jene töten will, die ihm Essen, Kleidung und Liebe gaben."

Brigitte Schindler spricht von "Angst und Ratlosigkeit". Sie hört von der Nazi-Demo und rät den Syrern, am Abend nicht in die Stadt zu gehen.

Bayern im Juli 2016: Flüchtlinge müssen sich verstecken. Andererseits sagt selbst Brigitte Schindler: "Mir macht das schon Angst, dass der Attentäter vorher telefoniert hat." Stehen da noch andere dahinter, die auch in Ansbach sind? "Ich finde es schon komisch, wenn das gar keiner mitkriegt, dass er eine Bombe gebastelt hat." Schindler krallt sich noch fester an die Tasse und sagt: "Wem soll ich jetzt noch trauen?" Seit Sonntag war sie nicht mehr in der Unterkunft, die sie betreut.

Wann sie wieder hingeht? Sie überlegt lange. "Spätestens morgen, da muss ich." Sie schweigt noch einmal lange. "Man ist verängstigt, ich bin verunsichert in alle Richtungen." Weitere Denkpause. "Meine Angst vor den Rechten ist größer als vor den Islamisten." Die Security-Firma von Andreas Seifert war am Sonntag nicht nur am Festival-Eingang tätig, sondern bewacht auch schon seit Längerem das größte Flüchtlingsheim der Stadt.

Er kritisiert die Behörden, weil diese das ehemalige Hotel Christl, in dem Mohammad D. lebte, nicht kontrollieren ließ. "Diese Unterkunft hätte von Anfang an bewacht werden müssen. Dann hätte man das Bomben-Material entdecken können", sagt er. In der größeren Unterkunft mache seine Firma routinemäßig Zimmer-Kontrollen. Dabei habe man auch schon Messer und Eisenstangen gefunden. "Wir haben schon oft gesagt, da braucht es mehr Bewachung. Die Behörden sagten aber immer: Nein, das ist unnötig."

Seifert geht davon aus, dass sich das nun ändern wird. "Das gehört bewacht in beide Richtungen." Also einerseits die Flüchtlinge auf Waffen durchsuchen, andererseits die Flüchtlinge vor aggressiven Deutschen schützen. In Deutschland lohnt es sich anscheinend, Anteile an Security-Firmen zu kaufen: "Das wird mehr werden", sagt Seifert. "Wir werden neue Leute einstellen müssen."

Seit Montag bewacht seine Firma nun zusätzlich das Hotel Christl. Im Auftrag der Stadt. "Unsere Mitarbeiter fragen, wie sie sich verteidigen sollen", sagt Seifert. Bisher bestand die Ausrüstung aus zwei Händen. Wer wollte, konnte sich privat ein Reizgas kaufen. Seifert sagt: "Ich denke, wir werden das den Leuten jetzt anschaffen. Die brauchen was, um sich besser zu fühlen."

Er spricht von einer "angespannten Stimmung" in den Heimen. "Viele wollten ja weg von der Gewalt, die fühlen sich jetzt beschissen, wenn eigene Leute so eine Kacke machen." Aber Seifert sagt auch: "Wer sagt mir, dass da nicht noch so einer rumsitzt?" Auch er bekommt mit, dass sich die Stimmung unter den Bürgern ändert. "Ich höre nichts Gutes. Das könnte gefährlich werden." Er meint damit nicht bewaffnete Flüchtlinge. Sondern die Feindseligkeiten gegen Asylbewerber.

Am Dienstag kommt eine Handvoll Flüchtlinge an den Tatort. Sie halten selbstgemalte Plakate hoch. "Gegen den Terror" steht darauf. Oder: "Wir liefen vom Mord weg, weil wir friedlich leben wollen." Einer der Männer spricht ein bisschen Deutsch. Er will nur seinen Nachnamen nennen: Othman. "Deutschland hilft uns gerne, wir müssen Deutschland helfen gegen Gewalt", sagt der 25-jährige Tierarzt aus Damaskus.

Zu diesem Zeitpunkt hat Security-Mann Pascal Böhm den Tatort wieder verlassen. Er versucht zu schlafen. Zuvor musste er für ein Fernsehteam noch einen Handschlag mit seinem Chef nachstellen. Die große Dankesgeste und Schulterklopfen vor der Kamera. Emotionale Bilder braucht das Land. Als wären die Blutflecken und Scherben und Splitter nicht erschreckend genug.

Seit Sonntag überlegt Böhm, ob er seinen Nebenjob aufgeben soll. "Ich werde vermutlich weitermachen", sagt er. Demnächst will er bewusst noch einmal bei einem Festival am Eingang die Taschen-Kontrolle übernehmen. "Das ist vielleicht das beste Mittel, um das Ganze zu verarbeiten." Pascal Böhm ist ein Bär von einem Mann, seine muskulösen Arme sind mit Rosen-Motiven tätowiert. "Wenn ich heute wieder nicht einschlafe, dann lasse ich mich behandeln", sagt er. "Das musste ich meinen Freunden versprechen." An der Stelle, wo er am Sonntag seinen Job machte, hängt seit Dienstag ein Leintuch mit einer Friedenstaube.

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Quelle:
SZ vom 27.07.2016/hmai
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