Geschichte:"Heimat ist ihr das Rottal nie gewesen"

Anna Wimschneider auf ihrem Hof nahe Pfarrkirchen 07 85 haef Frau Niederbayern Bayern Gesellschaft

Die Bäuerin Anna Wimschneider wurde berühmt, nachdem sie 1985 ihre Autobiografie "Herbstmilch" geschrieben hatte.

(Foto: imago)

Die Erfolgsautorin Anna Wimschneider wäre am Sonntag 100 Jahre alt geworden. Doch ausgerechnet in Pfarrkirchen hat man sie vergessen.

Von Hans Kratzer

Sie war eine einfache Bäuerin aus dem Rottal, der das Schreiben keineswegs in die Wiege gelegt war. Trotzdem stammt aus ihrer Feder einer der größten Erfolge in der Geschichte des deutschen Buchhandels. Am Sonntag würde Anna Wimschneider (1919-1993) ihren 100. Geburtstag feiern. Mit ihren Erinnerungen, die den Titel "Herbstmilch" tragen, wurde sie im Alter von 65 Jahren schlagartig populär. Ihr Werk stand in Buchläden auf einer Höhe mit Bestsellern wie Umberto Ecos "Name der Rose" und Michael Endes "Unendlicher Geschichte". Anna Wimschneider wurde zur Symbolfigur all jener Menschen, die das von Armut und Handarbeit geprägte kleinbäuerliche Leben noch am eigenen Leib erdulden mussten.

Dass die stets bescheiden auftretende Frau plötzlich berühmt war, Lesungen hielt und mit Thomas Gottschalk im Fernsehen plauderte, das gefiel in ihrer Heimat nur wenigen. Viel Neid hatte die Familie zu ertragen, womit Carola Wimschneider, die Tochter der Erfolgsautorin, ebenso hadert wie mit dem Umstand, dass der Erfolg ihrer Mutter in Pfarrkirchen und Umgebung ignoriert wurde. Zu gerne, sagt sie, hätte ihre Mutter ein Projekt zum Wohle der Pfarrkirchener Kinder unterstützt, allein die Stadt zeigte kein Interesse. Lediglich mit der damaligen Landrätin Bruni Mayer habe eine freundschaftliche Verbindung bestanden.

Als ihre Mutter dann auch noch öffentlich beteuerte, sie wollte keine Bäuerin mehr werden, nahm die Empörung bei den Landfrauen- und Bauernverbänden kein Ende mehr. Trotzdem erwies sich die Einschätzung der Wimschneiders als richtig. Ihre Eltern hätten schon früh prophezeit, sagt Carola Wimschneider, dass es die kleinen Höfe in absehbarer Zeit nicht mehr geben werde. Sie schickten deshalb als erste Bauern in der Gegend ihre Kinder fort, damit diese einen anderen Beruf lernen sollten. Bald darauf machten es die anderen nach.

Mit welcher Ablehnung die Wimschneiders den frischen Ruhm bezahlten, zeigt auch das folgende Beispiel. Als Anna Wimschneider schwer erkrankt war und die Kühe verkauft werden mussten, gaben ihr die Nachbarn keine Milch. "Hättst deine Kiah ned hergeben, dann bräuchtest jetzt keine Milch kaufen", wiesen sie die Frau zurück. Nur mit einem einzigen Nachbarn herrschte noch ein gutes Einvernehmen. Wie wenig ihre Mutter in der alten Heimat zählt, erlebten die Töchter erst vor wenigen Tagen, als sie bei einem Lokalblatt anfragten, ob es zum 100. Geburtstag von Anna Wimschneider etwas veröffentlichen wolle. Daraufhin, sagen sie, seien sie mit einer kuriosen Frage konfrontiert worden: "Kommt da der Bürgermeister auch?"

Der Name Anna Wimschneider ist ausgerechnet in ihrer Heimat nicht mehr geläufig, obwohl sie zwei Millionen Bücher verkauft und das Bundesverdienstkreuz erhalten hat. Ganz vergessen ist sie aber nicht. Immerhin haben zuletzt einige überregionale Medien und sogar die New York Times würdigende Worte für Anna Wimschneider gefunden.

Die Lage blieb für die Familie Wimschneider auch nach dem Tod der Mutter misslich. Auf Bustouren wurde das Publikum von den Kurorten Bad Griesbach und Bad Füssing ans Grab nach Pfarrkirchen gekarrt. Bis die Töchter dem Trubel ein Ende setzten und ihre Mutter nach München umbetten ließen. "Heimat ist ihr das Rottal nie gewesen. Ich bin so froh, dass wir das getan haben", sagt Carola Wimschneider.

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