Süddeutsche Zeitung

Angriffe gegen Asylbewerber:Attacken aus der Mitte der Gesellschaft

130 Orte in Bayern umfasst die Liste des Flüchtlingsrates: Seit 2010 kam es hier zu Fremdenfeindlichkeit und zu Gewalttaten gegen Asylbewerber. Die rassistischen Parolen stammten oft von ganz gewöhnlichen Bürgern.

Von Dietrich Mittler

Die Liste, die Robert Andrasch im Büro des Bayerischen Flüchtlingsrates vorstellt, umfasst 130 Orte. Die Ortsnamen in seiner Liste haben eines gemeinsam: Sie sind verbunden mit Vorfällen zwischen 2010 und heute, die Zeugnis ablegen von Fremdenangst, Fremdenfeindlichkeit und im extremen Fall sogar von Gewalttaten gegen Asylbewerber in Bayern. Andrasch ist Mitarbeiter des Antifaschistischen Archivs Aida in München und hat über Jahre Regionalzeitungen und -sender ausgewertet. 130 Orte, das betont er, stünden für wesentlich mehr flüchtlingsfeindliche Aktionen.

"Alltagsrassismus" nennt das Matthias Weinzierl, Geschäftsführer des Bayerischen Flüchtlingsrats, was er seit langem beobachte: "Bedrohliche Anzeichen." Die fremdenfeindlichen Parolen kämen oft aus den Mündern von gewöhnlichen Bürgern und Kommunalpolitikern, die sich selbst nie als rechtslastig einstufen würden. Und doch sind genau sie inzwischen die Zielgruppe von rechter Agitation. "Diese rechtsradikalen Netzwerke haben dazugelernt, sie geben sich ein völlig harmloses bürgerliches Gesicht, gründen nach außen hin unverdächtige Bürgerinitiativen", sagt Weinzierl. Mitunter versuchten Rechtsradikale sogar, beim Flüchtlingsrat anzudocken mit Sätzen wie: "Im Grunde wollen wir doch alle dasselbe, ihr seid doch auch gegen Massenunterkünfte."

Doch Andraschs Liste zeigt, dass es den Rechten um etwas ganz anderes geht. A wie Altötting: "Als im Dezember 2013 der Altöttinger Landrat nach neuen Unterbringungsmöglichkeiten für Asylsuchende Ausschau hält, veröffentlicht das neonazistische Kameradschaftsnetzwerk ,Freies Netz Süd' dazu einen rassistischen Artikel: Asylantenheim Friedberg Nein Danke", heißt es in Andraschs Zusammenstellung (im Internet unter www.aida-archiv.de). B wie Bad Endorf: 2012 protestieren Anwohner gegen die Unterbringung von 28 Asylbewerbern in einem Gasthof. Eine Frau wird in einem regionalen Nachrichtenportal zitiert: "Seit ich weiß, dass sie da sind, kann ich nicht mehr aus dem Haus gehen, ohne einen dicken Schraubenschlüssel in der Hand zu haben."

Hamado Dipama von der Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte in Bayern nennt Gründe, warum Übergriffe gegen Flüchtlinge aus seiner Sicht zunehmen. Da sei zunächst die restriktive bayerische Asylpolitik, die Flüchtlinge zu "Menschen zweiter Klasse" mache. Dann das Schüren von Angst und Vorurteilen, wie durch den CSU-Slogan "Wer betrügt, der fliegt". Dazu komme Rassismus: "Die Angriffe kommen aus der Mitte der Gesellschaft, nicht nur von Rechtsextremisten", stellt Dipama fest und kritisiert: "Dennoch bleibt Rassismus ein Tabuthema in Deutschland."

Provokante Thesen

Der Flüchtlingsrat will das ändern. Er startet eine Informationskampagne mit Hilfe eines neuen Flyers. In dicken weißen Lettern prangt auf dem Deckblatt die provokante These: "Flüchtlinge sind an allem schuld." Auf der nächsten Seite folgen weitere Slogans wie "Flüchtlinge nehmen den Deutschen die Arbeitsplätze weg" oder "Eine Flüchtlingsunterkunft führt zu steigender Gewalt und Kriminalität in der Region".

Zu jedem dieser Sprüche folgen Erklärungen, wie es wirklich ist, etwa, dass der Anteil straffälliger Personen unter Flüchtlingen "genauso hoch" ist "wie der unter Deutschen". "Wir wollten damit Argumentationshilfen geben, wenn es etwa in Bürgerversammlungen zu hitzigen Diskussionen mit fremdenfeindlichen Inhalten kommt", sagt Weinzierl.

Auch das bayerische Innenministerium hat mittlerweile Zahlen über fremdenfeindliche Aktionen bis hin zu Gewalttaten herausgegeben. Auch die deuten auf eine sich verdichtende Fremdenfeindlichkeit im Freistaat hin: Insgesamt seien den Behörden in den zurückliegenden Jahren 32 Angriffe auf Asylunterkünfte bekannt geworden. Zudem 55 Kampagnen der rechten Szene und 273 Gewaltakte gegen "Migranten". Matthias Weinzierl hält die amtlichen Zahlen für viel zu kurz gegriffen: Die aufgelisteten Vorfälle seien "viel zu unkonkret", " zu wenig aussagekräftig und nicht vollständig", sagt Weinzierl - und das gelte leider auch für die Zahl der Brandanschläge auf Asylbewerber-Unterkünfte: "Der Brandfall in Wörth an der Isar taucht da zum Beispiel gar nicht auf."

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SZ vom 28.03.2014
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