Ein Donnerstag im Februar 2016. Tobias B. läuft auf ein Asylbewerberheim in Kelheim zu. "Scheiß Asylanten", ruft er, "schaut's, dass ihr euch aus unserem Land verpisst." Er geht hinein, in seiner Hand hält er ein Buschmesser, 48 Zentimeter lang. Mit dem Messer zertrümmert er eine Tür im ersten Stock, sticht auf Bewohner Muhammed B. ein, trifft ihn aber nicht. Muhammed B. springt aus dem Fenster, vier Meter tief, läuft zum Eingang, lockt Tobias B. zu sich auf die Straße. Der Angreifer kommt, sticht wieder zu, wieder kann sich Muhammed B. wegducken. Dann stellt ihm Muhammed B. ein Bein, Tobias B. stolpert, zwei Passanten kommen dazu. Sie helfen dabei, den Angreifer zu überwältigen und festzuhalten.
So steht es in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft. Wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung wurde Tobias B., 23, im vergangenen November zu zwei Jahren und vier Monaten Haft verurteilt. Seit diesem Montag geht es vor der Jugendkammer des Regensburger Landgerichts erneut um den Angriff auf Asylbewerber Muhammed B. Diesmal sitzt Andreas J. auf der Anklagebank, das Haar kurz geschoren, blass und bubenhaft, er ist ja erst 19. Hauptanklagepunkt: versuchter Mord. Andreas J. soll das Buschmesser besorgt und Tobias B. zur Tat angestachelt haben.
Fremdenhass:Mehr als 3500 Angriffe auf Flüchtlinge
Im Jahr 2016 wurden bei Attacken auf Menschen und Unterkünfte 560 Menschen verletzt. Laut Bundesinnenministerium gehören auch Kinder und freiwillige Helfer zu den Opfern.
In dem Prozess geht es vor allem um die Frage, ob der Messerangriff geplant war. Stimmt die Version des Angeklagten, war das Tatmotiv eine Mischung aus Zufall, Alkohol, Drogen und einem spontanen Wutausbruch. Dem Richter erzählt Andreas J., er habe die Tatwaffe wenige Stunden vor der Attacke zufällig von einem Bekannten bekommen. Der Bekannte habe ihm 20 Euro geschuldet, statt Geld habe er ihm eine Schachtel in die Hand gedrückt. Der Inhalt: zwei Buschmesser, zwei Wurfmesser. Für J. waren die Drogenschulden damit beglichen, er legte sogar zehn Euro drauf. Und was, wenn nicht einen Mord, habe er mit den Messern vorgehabt, fragt der Richter. Verkaufen, sagt J., oder in seinem Zimmer aufhängen, "weil's cool ausschaut".
Doch soweit sei es nicht gekommen, sagt der Angeklagte. Weil er nicht mehr in seine Wohnung reingekommen sei, weil er sich aus Versehen ausgesperrt habe, noch so ein Zufall. Also sei er mit seinem Kumpel Tobias B. in das Obdachlosenheim gegangen, das direkt gegenüber der Asylbewerberunterkunft liegt. Ohne irgendeine Tatabsicht, sagt Andreas J., man habe lediglich "was trinken, was rauchen" wollen. Mit Oli B., einem Bekannten, der im Obdachlosenheim wohnt. Dort habe er seinen Kumpels dann auch die Schachtel mit den Messern gezeigt. Man habe Bier getrunken und Wodka und angefangen über die Flüchtlinge zu reden. "Dass sie rausgehen sollen aus unserem Land", erzählt der Angeklagte dem Richter. "Die können wieder gehen, weil die benehmen sich sowieso nicht", findet Andreas J.
Irgendwann fiel dann dieser Satz: "Jetzt gehen wir rüber und schlachten die Asylanten ab." Im ersten Prozess hatte Oli B. ausgesagt, dass Andreas J. den Satz gesagt habe - und Tobias B. damit anstachelte. Nun, beim zweiten Prozess, gibt auch Andreas J. zu, dass der Satz gefallen ist, aber "ich hab das nicht gesagt". Wer dann? "Weiß nicht mehr." An das folgende Szenario scheint er sich besser zu erinnern: Tobias B. sei "aufgesprungen, hat sich die Machete genommen und ist rausgerannt". Auf dem Flur habe er noch gerufen: "Jetzt stechen wir die Asylanten ab." Und Andreas J.? Habe sich ebenfalls "eine Machete oder ein Wurfmesser geschnappt", genau wisse er das nicht mehr, dann sei er Tobias B. hinterher, "weil ich wollte ihn aufhalten".
Der Richter lässt durchblicken, dass er das für unglaubwürdig hält
Wozu er dafür ein Messer gebraucht habe, will der Richter jetzt wissen. "Ich wollte mich schützen", sagt Andreas J. Schützen? Vor wem? Vor Tobias B., "der war besoffen, dann kennt der sich selbst nicht mehr". Also sei er hinterhergelaufen, den Flur entlang, die Treppe runter. Als er unten ankam, sei Tobias B. bereits vor der Tür der Asylbewerberunterkunft gestanden. "Also bin ich wieder hoch", sagt Andreas J. Er habe nicht gewollt, dass ihn jemand mit dem Messer auf der Straße sehe. Und um die Flüchtlinge, "haben Sie sich nicht mehr gekümmert?", fragt der Richter. "Muss ich ja nicht, oder?"
Außerdem, sagt J., habe er gedacht, dass Tobias B. "bisschen randaliert, denen bisschen Angst macht und dann wieder rauskommt". Dass er zusticht, damit habe er nicht gerechnet. Der Richter lässt durchblicken, dass er das für unglaubwürdig hält. Erst hat sich Andreas J. selbst schützen wollen, weil er den betrunkenen Tobias B. für unberechenbar hielt, dann aber nicht damit gerechnet, dass B. einen Flüchtling attackieren könnte? "Das beißt sich ein bisschen", sagt der Richter.
Bis Anfang Juli sind noch zehn Verhandlungstage angesetzt, die weitere Aufschlüsse bringen sollen. Als Zeuge ist unter anderem der junge Mann geladen, der Andreas J. die Waffen gegeben haben soll. Am kommenden Freitag wird der Prozess fortgesetzt.