Es geht in dem Video darum, dass der angeklagte Arzt einem Kind, das es gar nicht gibt, eine Befreiung von der Maskenpflicht ausstellt. Es geht darum, wie er auf Querdenker-Demonstrationen und bei Protesten gegen Corona-Maßnahmen agiert. In dem ZDF-Beitrag des Magazins Frontal 21 aus dem Jahr 2021, das die Richterin im Amtsgericht in Landsberg am Lech vorspielen lässt, tritt dann aber auch noch eine Frau neben den Arzt vor die Kamera, die davon schwadroniert, dass es wegen der damals geltenden Corona-Schutzmaßnahmen "Nürnberger Prozesse 2.0" geben wird und es überhaupt um die Auslöschung der Menschheit gehe. Man kann sich das alles auch auf Youtube anschauen, der Anwalt des Angeklagten aber hat jetzt genug gesehen: Er bittet, das Video zu unterbrechen. Vergleiche mit dem Nationalsozialismus, auch wenn sein Mandant nur still daneben steht, passen nicht ins Konzept der Verteidigung.
Sein 60 Jahre alter Mandant muss sich seit Mittwoch vor Gericht verantworten, weil er laut Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zahlreiche falsche Atteste ausgestellt hat, die seine Patienten während der Pandemie von der Maskenpflicht befreien sollten. Wobei "Patient" vielleicht das falsche Wort ist: Der Arzt und Homöopath, wohnhaft nahe Landsberg, bundesweit bekannt als Kritiker der Corona-Maßnahmen, soll die Empfänger meist überhaupt nicht gesehen, sondern die Atteste auf Anfrage etwa per Mail oder über andere Kanäle verschickt haben. Weil der Arzt mit den massenhaften Anfragen nicht mehr hinterherkam, stehen auch zwei Frauen wegen Beihilfe vor Gericht: Sie sollen den Angeklagten dabei unterstützt haben, Blankoatteste auszufüllen, zu verschicken und abzurechnen.
Die Verhandlung am Mittwoch ist jedoch bald wieder unterbrochen. Zuvor war der Start des Prozesses bereits immer wieder verschoben worden, zuletzt wegen einer Corona-Erkrankung des Verteidigers. Am Vormittag beschweren sich die Anwälte dann darüber, dass die Richterin, aus Zeitnot wegen der ausgefallenen Prozesstage, wie sie sagt, einige Zeugenaussagen gestrichen hat. Neue Termine zu finden gestaltet sich allerdings schwierig bei drei Anwälten und einem eng getakteten Amtsgericht. Um 13 Uhr, nach langer Pause und Diskussionen ohne Öffentlichkeit, gibt die Richterin deshalb schließlich bekannt, dass der Prozess ausgesetzt wird und im Juni neu starten soll - offenbar lässt erst dann der Terminkalender der Beteiligten wieder genügend Verhandlungstage zu, um alle Zeugen zu hören.
Neben dem ZDF-Bericht kursieren im Internet zahlreiche Videos des angeklagten Arztes von Auftritten bei Protesten mit teils kruden Äußerungen. Einen Vorfall betont auch noch einmal der Staatsanwalt in seiner Anklage, bevor der Prozess ausgesetzt wird: Demnach hat der 60-Jährige auf einer Demonstration in Lindau die Gesichtsmaske mit dem Hitlergruß verglichen und dabei den rechten Arm gehoben. In einem deshalb angestrengten Prozess, das ist seinem Verteidiger wichtig zu betonen, ist er freigesprochen worden. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig.
Es geht um 117 Fälle falscher Atteste
Die Anklage, der er sich nun ausgesetzt sieht, hatte bislang schon schwerwiegendere Folgen: 117 Fälle von falsch ausgestellten Attesten wirft die Staatsanwaltschaft ihm vor. Sie sollen zwischen Mai 2020 und Januar 2021 ausgefertigt worden sein, ohne dass der Arzt die Empfänger untersucht hatte. Insgesamt sollen es sogar mehr als 4700 Atteste gewesen sein. Je Attest berechnete der Arzt 17 Euro. Die Staatsanwaltschaft durchsuchte sein Haus und die Wohnstätten seiner beiden Helferinnen, beschlagnahmte Laptops, Handys und Bank- sowie Steuerunterlagen und pfändete die Konten des Beschuldigten. Gegen den 60-Jährigen war während der Ermittlungen sogar ein vorläufiges Berufsverbot erlassen worden. Das Landgericht Augsburg entschied dann jedoch, dass der Arzt nur mehr keine Maskenatteste ausstellen, ansonsten aber seinem Beruf nachgehen darf.
In einem zweiten Video, das die Richterin am Vormittag hatte vorspielen lassen, erzählt der Arzt in einem Interview von der Hausdurchsuchung bei ihm und dass er täglich etwa 150 Anfragen für Maskenatteste erhalten habe. Diesen Patienten in Warteliste, wie er es nennt - weil er nicht Zeit gehabt habe, alle zu sehen -, habe er deshalb unbesehen Atteste ausgestellt. Als Arzt sei es sein Job zu helfen, so rechtfertigt er die ihm zur Last gelegten Vorwürfe. Zumindest im Video - im Prozess hingegen verweigerte er am Mittwoch die Aussage.
Laut Gesetz können Ärzte in besonders schweren Fällen mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe belegt werden, wenn sie unrichtige Gesundheitszeugnisse ausstellen. Erst im Januar war in Weinheim bei Mannheim eine Ärztin zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt worden, das Amtsgericht verhängte zudem ein vorläufiges Berufsverbot. In Garmisch-Partenkirchen bestrafte das Amtsgericht eine Ärztin im August vergangenen Jahres mit zwei Jahren Haft und drei Jahren Berufsverbot. Sie hatte sogar dann noch falsche Atteste ausgestellt, als bereits gegen sie ermittelt wurde.