Der bayerische FDP-Chef Martin Hagen war der erste Landesvorsitzende einer Ampelpartei, der sich zum Ende der Berliner Regierungskoalition äußerte. „Besser neue Wahlen als neue Schulden“, ließ er sich am Donnerstagmorgen in einer Lokalzeitung zitieren. Nahezu wortgleich wie der FDP-Vorsitzende und Ex-Finanzminister Christian Lindner gab Hagen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Verantwortung für das Scheitern der Ampel. „Der Kanzler wollte Politik auf Pump statt echter Strukturreformen“, sagte Hagen, „dafür ist die FDP nicht zu haben.“ Schon am Abend zuvor hatte Hagen im BR Scholz’ Ankündigung, Lindner zu entlassen, lange geplant genannt und von einem Auftritt des Bundeskanzlers gesprochen, „der mehr was von beleidigter Leberwurst hatte“ als mit der Besonnenheit, die dieser sonst für sich in Anspruch nehme.
Dass der FDP nach den bisherigen Wahlumfragen nun die große Gefahr droht, bei der vorzeitigen Neuwahl aus dem Bundestag katapultiert zu werden, beeindruckt Hagen nicht. Bei den aktuellen Sonntagsfragen kommen die Liberalen im Bund auf gerade mal drei Prozent, bei den Landtagswahl-Umfragen im Sommer in Bayern waren es sogar nur zwei Prozent. „Wir haben jetzt eine ganz neue Dynamik“, sagte Hagen kämpferisch und ganz im Wahlkampf-Modus. „Jetzt haben die Wähler eine klare Alternative auf dem Tisch liegen. Unsere Politik bringt wieder Schwung in die Wirtschaft.“ Bei der anstehenden Neuwahl hält Linder „deutlich über fünf Prozent“ für seine Liberalen für möglich, sagt er zumindest.
Das Ende der Ampel wird auch den FDP-Landesparteitag an diesem Wochenende im oberpfälzischen Amberg dominieren. Ursprünglich standen auf dem Treffen außer Reden von Hagen und seiner Co-Vorsitzenden, der bisherigen Bundesfinanzstaatssekretärin Katja Hessel, vor allem Satzungsänderungen auf dem Programm. „Nun wird das ein ganz anderer Parteitag“, sagte Hagen und kündigte einen Dringlichkeitsantrag an die Delegierten an, „was alles in der nächsten Legislatur zu tun ist, was die neue Bundesregierung alles zu leisten hat“.
Die bayerische SPD-Vorsitzende Ronja Endres und Grünen-Chefin Eva Lettenbauer sind naturgemäß ganz anderer Ansicht als Hagen, aber wie er voll auf Linie ihrer Parteien. „Nach Lindners neuem Wirtschaftspapier war der Knatsch ja schon merklich groß“, sagte Endres. Deshalb sei sie am Mittwochabend nicht wirklich überrascht gewesen, als Scholz das Ende der Ampelkoalition verkündete. Die Verantwortung sieht sie dafür ganz klar bei Lindner, aus ihrer Sicht ist es besonders pikant, dass es der FDP-Chef den Bruch einen Tag nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten heraufbeschworen habe. Da hätte sie mehr Verantwortung von dem Liberalen verantwortet, sagte sie.
Aus dem Grund lehnt Endres schnellere oder sogar sofortige Neuwahlen ab, wie sie etwa CSU-Chef Markus Söder fordert. „Nach der US-Wahl stehen wir jetzt in einer besonderen Verantwortung“, sagte sie nicht nur mit Blick auf die Grünen, sondern auch auf CDU und CSU. „Wir können uns jetzt kein Vakuum leisten, sondern müssen wichtige Dinge aufs Gleis setzen.“ Als Beispiele nannte die bayerische SPD-Chefin die Hilfen für die Ukraine und die deutsche Wirtschaft, die in der Krise steckt. Endres hofft offenbar, dass die neue rot-grüne Minderheitsregierung die Vorhaben noch umsetzen können wird.
Was die Neuwahl selbst anbelangt, gibt sich Endres zuversichtlich. „Wir haben es ja schön öfter erlebt, dass wir in Umfragen nur auf 14 oder 15 Prozent gekommen sind“, sagte sie. So auch vor der Bundestagswahl 2021. Bei der Wahl erreichte die Partei dann gut zehn Prozent mehr und lang in der Wählergunst klar auf Platz eins. „Wir haben damals was gerissen“, sagte Endres, „und auch dieses Mal ist Musik drin.“ Die Situation in Bayern sieht Endres ebenfalls „entspannt“, und zwar obwohl ihre Partei in den Landtagswahl-Umfragen im Sommer nur noch zwischen sieben und acht Prozent Zustimmung erreichte. Ihre Kandidaten für die Bundestagswahl habe die Partei jedenfalls beisammen, der Parteitag, auf dem die Liste aufgestellt werden soll, ist laut Endres schon seit Längerem für Dezember angesetzt.
Die Grünen-Chefin ist enttäuscht von Lindner
Die bayerische Grünen-Vorsitzende Eva Lettenbauer ist sich in vielen mit Endres einig. Was die Chancen einer rot-grünen Minderheitsregierung betrifft, äußerte sie sich sehr viel vorsichtiger. Zwar lehnt sie eine sofortige Neuwahl ebenfalls klar ab. „Aber wir werden die nächsten Wochen genau hinsehen und bewerten, ob die Fortsetzung der Koalition sinnvoll ist“, sagte sie. Der Bundeshaushalt müsse schnell beschlossen werden, auch die Wirtschaft brauche rasch Unterstützung, beim Klimaschutz müsse noch einiges abgearbeitet werden.
Ansonsten zeigt sich Lettenbauer sehr enttäuscht von Lindner. Sie wirft ihm „fehlende Verantwortung“ und „Blockadepolitik“ vor. Mit seiner Weigerung, die Schuldenbremse zu lockern, habe der FDP-Mann ausschließlich die kleine Klientel seiner Partei im Blick gehabt. Es sei richtig, dass Kanzler Scholz das nicht länger geduldet habe. Wann auch immer die Neuwahl stattfindet wird, Lettenbauer sieht die Chancen ihrer zuletzt arg gebeutelten Partei ebenfalls so schlecht nicht. „Wir Grüne haben immer wieder gesehen, dass sich binnen weniger Monate oder in einem halben Jahr viel verändern kann“, sagte sie.
Die Grünen kamen in Umfragen auf Bundesebene zuletzt auf ungefähr zehn Prozent, bei Landtagswahl-Umfragen in Bayern in etwa gleich hoch. Damit im bevorstehenden Wahlkampf alles reibungslos läuft, ziehen die Grünen den Parteitag vor, auf dem sie ihre Kandidatenliste nominieren. Ursprünglich sollte er im Januar 2025 in Hirschaid bei Bamberg stattfinden. Am Mittwoch wurde er auf 14. und 15. Dezember verlegt.