"Am.mio hat mich aus meinem Loch herausgezogen. Ich hätte mich sonst hängen lassen", sagt Thomas Frenzel. Vor zwei Jahren bekam er die Diagnose Prostatakrebs. Trotz oder gerade wegen des Lochs, in das er nach dieser Nachricht rutschte, raffte er sich auf, am Amberger Modell Integrative Onkologie teilzunehmen: Am.mio. Heute ist er überzeugt: Es war eine lebenswichtige Entscheidung.
Neben konventioneller Krebstherapie bietet das Onkologische Zentrum am Klinikum Amberg seit 2017 diese integrative Behandlung an - in Bayern ein Vorreiterprojekt gegen Krebs, die zweithäufigste Todesursache in Deutschland. "Es geht darum, den ganzen Menschen zu betrachten", sagt Harald Hollnberger, Leiter des Onkologischen Zentrums in Amberg. Mehr als ein Jahr lernen Krebserkrankte in Kursen, mit ihrer Situation umzugehen. Danach sollen sie die Bewegungen, die gesunden Rezepte oder Achtsamkeitsübungen selbst in ihren Alltag integrieren. "Eine Hilfe zur Selbsthilfe", sagt Hollnberger.
Newsletter abonnieren:Mei Bayern-Newsletter
Alles Wichtige zur Landespolitik und Geschichten aus dem Freistaat - direkt in Ihrem Postfach. Kostenlos anmelden.
Zu dem Angebot gehören Bewegungstherapie, Stressbewältigung, Ernährung und psychoonkologische Begleitung. "Der positive Einfluss ist wissenschaftlich bewiesen", sagt Hollnberger. "Außer bei der Kunsttherapie", fügt er hinzu. Genau die ist es, die Thomas Frenzel besonders geholfen hat. Mit Ton, Aquarellfarben oder Kreide bringen die Patientinnen und Patienten ihre Gefühle künstlerisch zu Papier und tauschen sich aus. Frenzel sagt, er habe "etwas für sich tun dürfen" und gleichzeitig sei in den Kursen mit fünf bis zehn Leuten ein für ihn wichtiger Austausch und Sinn für Gemeinschaft entstanden: "Es gab mir meinen Optimismus zurück."
Zum Konzept gehört gesundes Kochen und die Beschäftigung mit dem eigenen Körper
Bei Diagnosen wie zum Beispiel Brustkrebs würden Patientinnen heutzutage oft nach kürzester Zeit aus dem Krankenhaus entlassen, sagt Hollnberger. Mit einem auf den Kopf gestellten Leben. Anstatt Kranke mit Ratschlägen wie "Melden Sie sich im Fitnessstudio an" oder "Sie sollten gesünder essen" abzuspeisen, begleitet das Klinikum Krebserkrankte mit Am.mio vom Yogakurs bis zum Nordic Walking oder einem eigens erstellten Kochbuch. Bei Ernährungsworkshops unterrichten Fachleute über das Immunsystem oder Darmgesundheit. Patientinnen und Patienten lernen, wie sie Ghee, eine gesündere Butteralternative, herstellen oder rohe Kürbissuppe kochen. Thomas Frenzel beschreibt es als "sehr inspirierend". Er hätte sich allein nicht so für Sport und gesunde Ernährung motivieren können, sagt er.
Mit einem grünen Smoothie, gemixt von Diätassistentin und Kursteilnehmern, stieß Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) im vergangenen Jahr auf das "Leuchtturmprojekt", wie er es selbst nannte, an. "Eine moderne Medizin benötigt ein patientenorientiertes Gesundheitswesen, in dem Schulmedizin und Naturmedizin gleichberechtigt sind", sagte er.
In Bayern ist das Amberger Modell in seiner Bandbreite an Angeboten und der medizinischen Begleitung einzigartig. Überregionale Krankenhäuser und Universitäten blicken in die Oberpfälzer Klinik. Die Amberger arbeiten eng mit dem CCC (Comprehensive Cancer Center) in Erlangen und Freerk Baumann von der Universität Köln zusammen. Der Sportwissenschaftler zählt zu den führenden Experten der onkologischen Bewegungstherapie. Im Klinikum Straubing entsteht ebenfalls eine integrative Onkologie, angelehnt an das Amberger Modell.
"Es gibt einige Patienten, die sagen, ohne Am.mio wären sie nicht mehr am Leben"
Bei einem weiteren Treffen mit Holetschek dieses Jahr kam auch die Frage der Finanzierung von Am.mio auf den Tisch. Eine halbe Million Menschen erkranken in Deutschland jedes Jahr neu an Krebs. "Die Rückmeldungen sind so gut, Am.mio müsste eigentlich auf ganz Deutschland ausgedehnt werden", sagt Heinz Donhauser. Der frühere CSU-Landtagsabgeordnete engagiert sich für das Amberger Modell. "Es gibt einige Patienten, die sagen, ohne Am.mio wären sie nicht mehr am Leben." Für die Finanzierung standen er und das Klinikum schon vor vielen verschlossenen Türen.
Rund 3000 Euro kostet das einjährige Angebot für einen Patienten. Zahlen muss der aktuell entweder selbst oder es wird über Spenden finanziert, nur wenige Krankenkassen übernehmen die Kurse. Harald Hollnberger bedauert, dass Am.mio auf den privaten Geldbeutel angewiesen ist. "Wirtschaftlichkeit sollte für die Kassen nicht nur bedeuten, Kosten einzusparen. Es heißt auch, Lebensqualität aufrecht zu erhalten."
Seit 2017 haben 180 Betroffene an dem Amberger Modell teilgenommen. Die könnten besser mit den Nebenwirkungen der Krebstherapie umgehen, hätten verbesserte Überlebenschancen und ein stärkeres Immunsystem. "Und ein besseres Selbstwertgefühl", fügt Thomas Frenzel hinzu. Er ist heute krebsfrei und rechnet das zumindest teilweise der integrativen Therapie zu.