Süddeutsche Zeitung

Angriffe durch Asylsuchende:"Ich lasse mir Amberg nicht kaputtreden"

Die einen vergleichen den Fall mit Bottrop, die anderen nervt die Aufregung um prügelnde Asylbewerber: zu Besuch bei Ambergern und dortigen Flüchtlingen.

Von Elisa Britzelmeier, Amberg

Paul Hartl möchte dann doch über Amberg reden. Weil er "beitragen will zur Entschärfung", wie er sagt, weil ihn nervt, dass "alles so aufgebauscht" wurde. Hartl ist Gastronom, er betreibt die Gaststätte am Amberger Bahnhof, wenige Meter entfernt von dem Ort, an dem es losging. Vom Bahnhof aus brach sie in dieser Woche über Amberg herein: die Gewalt, oder, je nach Blickwinkel, die Aufregung. Vier betrunkene jugendliche Asylbewerber attackieren offenbar wahllos Passanten. Am Ende fragt sich eine Kleinstadt, was da eigentlich los ist.

Hartl, in Hemd und mit langer Schürze über der Hose, führt an einen der Stehtische in seinem Lokal, legt das Handy darauf ab. Es gibt eigentlich nicht mehr viel zu sagen, er ist jetzt schon so viel gefragt worden, aber dann redet er doch sehr viel. Am vergangenen Samstag war er nicht da, er betreibt noch mehrere andere Bahnhofsbetriebe, seit 25 Jahren schon. Von dem Tumult vor seiner Tür hat er sich von seinen Mitarbeitern erzählen lassen. Er findet schlimm, was passiert ist, er will nichts verharmlosen, sagt er. Vor allem ist die Dynamik für ihn nicht nachvollziehbar, dass da offenbar aus einem Rudel heraus wahllos angegriffen werde, und dann auch noch von Flüchtlingen, die eigentlich Schutz suchen. Aber ein "Hass-Mob", hier vor seiner Tür?

Der Bahnhof von Amberg: drei Gleise, ein Schalter, ein Blumenladen am Eck. In der Bahnhofsbuchhandlung wollen sie lieber gar nicht über all das reden. Draußen hängt der Spielplan des SSV Jahn aus, dem Fußballverein aus dem nahen Regensburg. Auf den Bänken in der Wartehalle spielen sich Jugendliche gegenseitig Handymusik vor.

In Bahnhofsbetrieben, sagt Hartl drinnen, ist man Spannungen gewohnt. Alkohol wird öfter zum Problem. Er verkauft Getränke zum Mitnehmen, daneben gibt es eine Bäckertheke und mehrere Tische. Um ihn herum sitzen überwiegend Männer vor ihren Bieren, er nennt sie "Feierabendbiertrinker", auch wenn manche nachmittags schon da sitzen. Zu ihm kommen Gäste aus allen Schichten, sagt er, typisch Provinzbahnhof, vom Sozialhilfeempfänger bis zu den Geschäftsfrauen. Letztere dürften gern mehr sein. Aber um seine Miete zahlen zu können, braucht er auch biertrinkende Stammgäste. Oft kommen die Leute schon betrunken bei ihm an. Regelmäßig wirft er jemanden raus. "Geleitet", sagt er.

Er weiß schon, dass er nicht so leicht zu erschrecken ist wie andere, für ihn sind solche Situationen Alltag. Dass Einheimische vermeintlich fremd aussehende Menschen scharf ansprechen, dass es dann hoch her geht - hat er in seiner Wirtschaft alles schon öfter erlebt.

Die mutmaßlichen Schläger vom vergangenen Samstag würde er sofort abschieben, auch damit "die anderen, anständigen nicht mit ihnen in einen Topf geworfen" würden. Natürlich sei das Thema präsent jetzt. Aber bleibende Verunsicherung? Eher nicht. Hartl sagt: "Amberg ist eine supernette Stadt, das lasse ich mir nicht kaputtreden."

Im Fast-Food-Laden an der Ecke sitzt ein 19-Jähriger mit zwei Freunden, sie warten auf einen weiteren Kumpel. Der Bahnhof ist ein beliebter Treffpunkt, und im Winter, wenn es kalt ist, geht man eben hier rein. Nach dem Eislaufen zum Beispiel, dann zieht man vielleicht weiter in eine der Amberger Kneipen, in eine Disko kann man schon mit 16 Jahren.

Der 19-Jährige will seinen Namen nicht nennen, er sagt: "Das hätten genauso gut Deutsche sein können, aber dann wäre es nicht so ein Thema geworden." Klar, man rede darüber, aber auch nicht so viel. Er sieht es so: Die Täter haben viel getrunken und viel mitgemacht, und Alkohol mache Leute eben aggressiv, leider. "Soll nicht heißen, dass das nicht geahndet werden soll." Aber dass Amberg mit Bottrop in Verbindung gebracht wurde, dass NPD-Anhänger sich als Bürgerwehr inszenierten: "Komplett lächerlich." Er war auch am Bahnhof an diesem Samstagabend, sagt er, aber mitbekommen habe er nichts, er war gerade auf der anderen Seite.

Die 16-Jährige, die ihm gegenüber sitzt, bekam erst mal von ihren Eltern zu hören, dass sie lieber nicht mehr am Bahnhof herumhängen sollte. Es ist ein Thema daheim, die Eltern machen sich Sorgen. Aber, sagt sie, "ich bin eben auch ein Mädchen". Soll heißen: Da machen sich Eltern besonders viele Sorgen. Jetzt sitzt sie also wieder hier.

Die Attacken passierten im zeitlichen Abstand

Als die Schläger losschlugen, haben mehrere Jugendliche in der Filiale Zuflucht gesucht, eine Mitarbeiterin sperrte die Tür ab. Warum es zwei Stunden gedauert hat, bis die Polizei die mutmaßlichen Täter festnahm, fragen nun manche, auch in Amberg auf der Straße. Die Staatsanwaltschaft hat inzwischen mehr Details zum Tathergang bekannt gegeben. Demnach gab es mehrere Attacken mit zeitlichem Abstand: "zwei Vorfälle gegen 18.45 Uhr" und mindestens zwei weitere etwa zwei Stunden später. Die mutmaßlichen Täter sind also nicht, wie zuerst vermutete wurde, drei Stunden prügelnd rund um den Bahnhof gezogen.

Es ist ja auch nicht weit, Amberg ist nicht groß mit seinen 44.000 Einwohnern, und vom Bahnhof bis zum Ort der Festnahme braucht man fünf Minuten zu Fuß. Man kann weiter an kleinen Häusern vorbei durch die Altstadt laufen, über gepflasterte Straßen, die Namen wie "Unteres Apothekergässchen" tragen. Amberg hat drei Kilometer erhaltene Stadtmauer, aber groß angegeben wird nicht damit. Ein Kaff, ja, sagt ein Amberger, aber "hier ist die Welt noch in Ordnung". Auch jetzt noch, wo Amberg bundesweit Thema ist, seit Bundesinnenminister Horst Seehofer härteres Durchgreifen forderte und die Meldung von vermeintlichen Bürgerwehren die Runde machte. Selbst auf deren Fotos sieht Amberg nach nettem Ausflugsziel aus.

Alle reden über Amberg? Nicht in Amberg. In Amberg reden sie in der Pizzeria über Auto-Leasing-Verträge und in der Fußgängerzone über die Weihnachtsdeko. Auf dem Marktplatz wünschen sich zwei Frauen gegenseitig ein frohes neues Jahr. Dass da jetzt der bayerische Innenminister steht, beäugen manche, und gehen dann vorüber. Ein Passant stellt sich neben die Medienvertreter, die hergekommen sind, um zu hören, dass alles sehr sicher ist in Amberg.

Joachim Herrmann, im Mantel, hinter sich den Christbaum, sagt, dass ihm die Stadt besonders am Herzen liege. Sein Vater ist von hier. Sein Eindruck sei, sagt Herrmann in die Kameras, dass die Amberger vernünftig umgingen mit der Situation. Ambergs Oberbürgermeister Michael Cerny, ohne Mantel, muss derweil in der Kälte warten. Er ist als mäßigend aufgefallen in diesen Tagen. In seinen ersten Aussagen nach der Tat warnte er schon vor Überreaktionen, dafür hat er viel Hass abbekommen. Andere haben ihn hingegen gelobt, auf Facebook kann man von Ambergern lesen, die sich ihre Stadt nicht kaputtreden lassen wollen. Dann geleitet der Bürgermeister seinen Parteifreund Herrmann auch schon ins Rathaus, zum Kaffee. Auf dem Weg tätscheln sie die Löwen, die vor dem Rathauseingang stehen.

Weiter draußen, gleich neben der Polizeiinspektion, steht eine der Amberger Flüchtlingsunterkünfte, ein schmuckloser weißer Bau. Auch hier haben die vier Männer der selbsternannten Bürgerwehr mit ihren Westen für Social-Media-Fotos posiert. Die Bewohner haben das gar nicht groß mitbekommen. Von den Vorfällen am Bahnhof haben sie gehört, sagt einer, der sich Ali Jamil nennt, 17 Jahre alt, aus dem Irak. Er zeigt die Zeitungsberichte auf dem Handy-Display. Aber das ist nicht wirklich Thema in der Unterkunft. Ersten Ermittlungen zufolge waren die Täter von außerhalb nach Amberg gekommen und wohnten nicht in der Stadt. Einer aber soll in der Vergangenheit zwischenzeitlich hier gelebt haben. Jamil glaubt, ihn oberflächlich zu kennen, der sei eigentlich "ein guter Junge". Wieso er so ausrasten konnte, weiß er sich nicht zu erklären.

Der Bürgermeister bezeichnet die Integration in Amberg als eigentlich funktionierend. Die Amberger haben in der Vergangenheit schon gegen rechts demonstriert, es gab Aktionen unter dem Schlagwort "Amberg ist bunt". Für Flüchtlinge wurden verschiedene Projekte angestoßen, die Caritas erklärt Mietrecht und Kontoführung, die Handwerkskammer das duale Ausbildungssystem. Von Zwischenfällen war bislang nichts bekannt.

Er findet die Situation trotzdem schwierig, sagt ein Iraner, der vor dem Hintergebäude gerade sein Fahrrad in der Kälte abstellt. Sein Zimmermitbewohner nimmt Drogen, er hält das Zusammenwohnen kaum aus, und mit seinem Asylantrag geht immer noch nichts weiter, sagt er, obwohl er mittlerweile die Ausbildung zum Staplerfahrer fertig hat. "Ich verliere die Motivation." Aber so ausrasten wie die Jugendlichen am Hauptbahnhof würde er trotzdem nicht, sagt er. Er hat eine Erklärung dafür, wie alles kam, und der würden wohl viele Amberger zustimmen. Er sagt: "Es gibt einfach Idioten."

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