75 Jahre Kriegsende in Bayern:Die letzten Gräueltaten

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Gedenktafel zur Erinnerung an die Opfer der Altöttinger Bürgermorde vom 28. April 1945. Die Gedenkstätte, die direkt über dem Ort der Hinrichtungen errichtet wurde, ist heute in die Stiftskirche integriert. (Foto: privat)

In einigen Gemeinden Bayerns wollten Aufständische den Nazis die Macht entreißen. Die Morde von Altötting zeigen beispielhaft, wie grausam die SS sich dafür rächte.

Von Hans Kratzer, Altötting

Für die Nationalsozialisten war der Wallfahrtsort Altötting zweifellos ein schlechtes Pflaster. "Die Bevölkerung hier war größtenteils seit je gut bayerisch-patriotisch gesonnen, aber nicht nationalistisch, schon gar nicht nationalsozialistisch", sagte der damalige Stadtrat Peter Becker vor 15 Jahren in einer bis heute gültigen Rede über die furchtbaren Ereignisse in den letzten Kriegstagen 1945 und über den schwierigen Umgang mit unserer Geschichte. Die Rede ist auf der Homepage der Stadt Altötting dokumentiert. Die Nazis hielten die Altöttinger für unbelehrbar gestrig. In ihrer Wut zeterten sie, sie sehnten den Tag herbei, an dem man sich "im Schutt der Gnadenkapelle wälzen" könne.

Man muss sich dies alles vor Augen halten, wenn man die Tragödie, die sich am 28. April 1945 in Altötting ereignete, auch nur ansatzweise begreifen will. Becker äußerte die Vermutung, die geplante sinnlose Verteidigung und die dabei billigend in Kauf genommene Zerstörung Altöttings könne durchaus im Kalkül der regionalen Nazi-Größen gelegen haben, und zwar vom NSDAP-Kreisleiter Fritz Schwaegerl bis hin zum Münchner Gauleiter Paul Giesler, die Altötting und seine "schwarze Brut" hassten wie die Pest.

Die sogenannten Bürgermorde von Altötting hängen unmittelbar zusammen mit den Aktivitäten der Freiheitsaktion Bayern, die am Morgen des 28. April 1945 die Rundfunkhörer im Großraum München informierte, sie habe die Macht im Lande übernommen. "Achtung, Achtung!", tönte es aus dem Äther, "Sie hören den Sender der Freiheitsaktion Bayern (FAB) ... Beseitigt die Funktionäre der nationalsozialistischen Partei! Die FAB hat heute Nacht die Regierungsgewalt erstritten." Doch der Reichsstatthalter Ritter von Epp, auf dessen Hilfe die Gruppe baute, spielte nicht mit, die Freiheitsaktion Bayern scheiterte.

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Am 29. April 1945 erreichen US-Truppen das KZ Dachau. Was die Soldaten sehen, versetzt sie in einen Schockzustand: Tausende Tote im Güterzug, ausgemergelte Häftlinge. Aber es gibt auch den überschwänglichen Jubel der Geretteten.

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Obwohl die amerikanischen Truppen schon in Sichtweite herangerückt waren, mordeten örtliche Nazis und die SS ungerührt weiter, etwa wenn Bürger weiße Fahnen aus dem Fenster gehängt oder ein falsches Wort gesagt hatten. Wie in München wurden Ende April 1945 auch in Penzberg, Götting, Iffeldorf, Burghausen, Landshut, Rottach-Egern, Bad Wiessee sowie in Altötting zahlreiche Menschen hingerichtet.

Dass in jenen Tagen mitten auf dem Kapellplatz in Altötting Splittergräben angelegt wurden, deutete darauf hin, dass die Nazis diesen Platz und sein Heiligtum in voller Absicht zur Zielscheibe feindlicher Angriffe machen wollten. Deshalb stieß der Aufruf der Freiheitsaktion Bayern auch in Altötting auf Resonanz. Landrat Josef Kehrer ließ in den Morgenstunden des 28. April durch ihm unterstellte Polizisten Nazi-Funktionäre verhaften.

Allerdings konnten die Verhafteten durch ein Zellenfenster beobachten, wer an diesem Tag im Landratsamt verkehrte. Aus ihren Angaben erstellte die Nazis eine Liste von Männern, die später hingerichtet werden sollten. Denn der Altöttinger Aufstand kam aus Mangel an Unterstützern und Waffen schnell ins Stocken, erst recht nach dem Scheitern der Freiheitsaktion. Als eine Wehrmachtsstreife gegen Mittag am Landratsamt eintraf, fielen, kurz nachdem Landrat Kehrer mit Offizieren sein Dienstzimmer betreten hatte, Schüsse. Kehrer stürzte tödlich getroffen zu Boden.

Ob der Landrat, wie ein Offizier behauptete, mit seiner Dienstpistole Selbstmord begangen hatte, stand immer im Zweifel. Nach dem Eintreffen der SS und des NS-Kreisleiters Schwaegerl wurden die tatsächlich oder vermeintlich am Aufstand Beteiligten sofort verhaftet. Einem Teil der Gesuchten gelang die Flucht, allerdings ließ der Anführer des SS-Kommandos Angehörige der Entkommenen als Geiseln festnehmen. Sie wurden wie die übrigen Gefangenen in den Hof des Landratsamts getrieben. Unter ihnen war auch Hans Riehl, der Vater des späteren SZ-Redakteurs Herbert Riehl-Heyse. Ein ordentliches Gerichtsverfahren gab es nicht. Nach dem Augenzeugenbericht eines Polizeibeamten fragte ein SS-Führer die Gefangenen, ob sie sich des Hochverrats schuldig bekennen würden, was alle mit Nein beantworteten. Brüllend soll er ihnen dann mitgeteilt haben, dass sie zum Tode verurteilt seien und sofort erschossen würden. Unmittelbar darauf wurden die fünf Männer von einem Rollkommando durch Genickschüsse ermordet.

Der Fall Altötting zeigt exemplarisch das Problem des Widerstandes in einer Diktatur. Schlecht informiert und ohne Übersicht über die tatsächliche Lage, war es für den Einzelnen kaum möglich, mutig einzutreten und dennoch sein Leben zu retten - nicht einmal wenige Stunden vor dem Kriegsende. Ein weiteres Todesopfer gab es am 1. Mai, nachdem US-Truppen die Kapitulation von Alt- und Neuötting gefordert hatten. Als Zeichen der Übergabe sollten in der Nacht alle Lichter eingeschaltet werden. NS-Fanatiker wollten die Beleuchtung jedoch verhindern und besetzten das Elektrizitätswerk. Als Arbeiter und Anwohner des Werks vor den Toren verlangten, die Stromversorgung aufrechtzuerhalten, griff ein Offizier aus den Demonstranten willkürlich den Monteur Max Storfinger heraus und ließ ihn sofort erschießen.

Der Journalist Ulrich Völklein hat die Ereignisse von Ende April 1945 und die Bürgermorde vor mehr als 20 Jahren in dem Buch "Ein Tag im April" minutiös dargelegt. Darin ist nachzulesen, dass der Kreisleiter Schwaegerl kurz darauf Selbstmord beging, dass bei fast allen anderen Mördern aber Gnade vor Recht erging. Sein bitteres Fazit: "Die Täter von Altötting kamen kommod davon, tot waren ihre Opfer."

Nach dem Krieg wurde an jenem Ort, an dem die Altöttinger Bürger ermordet worden waren, eine Gedenkstätte errichtet, die später in die Stiftskirche integriert wurde. Außerdem wurden nach den Opfern des 28. April 1945 Straßen benannt.

© SZ vom 29.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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