Die Bürger der oberbayerischen Gemeinde Marktl am Inn haben sich in einem Bürgerentscheid unerwartet deutlich für den geplanten Windpark Altötting ausgesprochen. Von 1612 Wahlberechtigten, die sich an der Abstimmung am Sonntag beteiligten, haben laut dem vorläufigen Ergebnis 970 oder 60,17 Prozent für vier neue Windräder auf Marktler Flur im Altöttinger Forst gestimmt. 637 oder 39,52 Prozent votierten dagegen. Fünf Stimmen waren ungültig, die Wahlbeteiligung lag bei gut 70 Prozent. Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) dankte den Marktlern für ihre „breite Zustimmung“. Die sei „ein gutes Zeichen für die Energiewende im Freistaat“. Bayern brauche einen Ausbau aller erneuerbaren Energien.
Marktl mit seinen knapp 2900 Einwohnern ist eine von insgesamt sieben Kommunen im Landkreis Altötting, auf deren Gebieten die bayerische Staatsregierung, die Staatsforsten und der Projektentwickler Qair den Windpark Altötting mit ursprünglich 40 Windrädern errichten wollten. Mit zuletzt 27 Anlagen soll er immer noch der weitaus größte Windpark in Bayern werden und die äußerst energiehungrige chemische Industrie im bayerischen Chemiedreieck zumindest zu einem kleinen Teil mit klimaneutralem Strom versorgen.
In einem ersten Entscheid Ende Januar in der Gemeinde Mehring hatte eine Zwei-Drittel-Mehrheit der dortigen Bürger gegen die Pläne gestimmt. Allein auf Mehringer Gebiet hätten zehn der anfangs geplanten 40 Rotoren stehen sollen. Angesichts dieses Rückschlags und der folgenden politischen Debatten über einen mangelnden Einsatz von Wirtschaftsminister Aiwanger hatte sich dieser stärker für das Projekt ins Zeug gelegt. Zugleich hatte der auch für die Staatsforsten zuständige Aiwanger auf weitere Anlagen verzichtet, um Anwohner zu besänftigen.
So hatte Aiwanger bei einer Bürgerversammlung in Haiming verkündet, den Mindestabstand zur nächsten Siedlung von zuvor 1000 auf 1200 Meter zu vergrößern. Weil die Menschen in dem kleinen Weiler Schützing trotzdem befürchteten, künftig regelrecht von Windrädern umstellt zu sein, strich Aiwanger später zwei weitere Anlagen, die auf Neuöttinger Flur stehen sollten. Schützing selbst gehört aber zur Gemeinde Marktl. Nach Aiwangers Einlenken hatten etliche Schützinger ihre Marktler Mitbürger aufgefordert, den Plänen nun zuzustimmen.
„Dieser gute und tragfähige Kompromiss hat die Menschen in der Region überzeugt“, sagte Aiwanger. „Wenn man sich mit den Befürchtungen der Menschen vor Ort auseinandersetzt und mit ihnen in einen Dialog über die Bedeutung des Ausbaus der Windenergie geht, kann man auch für große Windprojekte im Freistaat eine Akzeptanz erreichen.“ Der Vorstandsvorsitzende der Staatsforsten, Martin Neumeyer, äußerte sich ähnlich. Das Ergebnis sei zudem ein starkes Signal für die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Bayern und das Gelingen der Energiewende insgesamt.
Ein nächster Bürgerentscheid könnte in der Gemeinde Haiming anstehen
Die Gegenposition vertritt die Initiative „Gegenwind Altötting“, die den geplanten Windpark auch in ihrer Reaktion auf die Martkler Entscheidung weiterhin als unwirtschaftlich und als schädlich für Wald und Natur bezeichnete. Sie hatte schon den Mehringer Entscheid erzwungen und auch in Marktl mehr als genügend Unterschriften gesammelt. Anders als in Mehring hatten die Marktler Gemeinderäte und Bürgermeister Benedikt Dittmann (CSU) die gleichlautende Formulierung des Bürgerbegehrens aber als unzulässig abgelehnt. Die Forderung, die Gemeinde solle „alle rechtlich möglichen Mittel“ gegen die Windpark-Pläne ins Feld führen, war den Räten zu unbestimmt. Stattdessen hatte sich die Gemeinde mit „Gegenwind“-Vertretern auf ein Ratsbegehren mit der jetzigen Fragestellung geeinigt, ob die Gemeinde dem Bau von Windrädern auf einigen genau definierten Flurstücken im Wald zustimmen soll.
Eine Podiumsdiskussion unter anderem mit Aiwanger hatten die Gegenwind-Leute trotzdem gleich zu Beginn unter Protest verlassen, weil mehr Befürworter als Gegner des Projekts auf dem Podium säßen. Dafür erhielten sie Zuspruch aus den Reihen der AfD. Die Initiative selbst agiert vergleichsweise intransparent und zeigt jedenfalls wenig Berührungsängste mit der Rechtsaußen-Partei und der Querdenker-Szene. Einige Aktive um den früheren Sprecher und auch ihr einstiger Rechtsanwalt haben sich deswegen von der Initiative abgewandt.
Die Aktivisten ziehen aus ihrer Abstimmungsniederlage in Marktl den Schluss, „dass die Menschen mehr Informationen benötigen“. Man werde „gestärkt“ weitermachen und diese Informationen liefern. Denn ein nächster Bürgerentscheid zum gleichen Thema könnte in der Gemeinde Haiming anstehen. Auch dort hat „Gegenwind“ seit geraumer Zeit Unterschriften gesammelt, sie aber bisher nicht eingereicht – womöglich, um mit dem folgenden Bürgerentscheid nicht in die Sommerferien zu geraten, so die Mutmaßung im Haiminger Rathaus.
Dass solche lokalen Bürgerentscheide überhaupt so großen Einfluss auf das weit über die jeweilige Gemeinde hinausreichende Projekt haben, liegt an einem länger zurückliegenden Aufsichtsratsbeschluss für die Staatsforsten. Demnach darf das staatseigene Unternehmen kein Windprojekt gegen den Willen der jeweiligen Kommune verwirklichen. Minister Aiwanger hatte zuletzt versichert, dass die Staatsforsten für den Windpark Altötting an diesen Beschluss gebunden blieben. Zugleich könne er nicht versprechen, dass man bis in alle Ewigkeit an der Regelung festhalten werde. Private Waldeigentümer müssen sich ohnehin nur an die gesetzlichen Regelungen des Immissionsschutzes halten.