An Exotik hat es auf den politischen Bühnen des Bayernlands noch nie gemangelt. Im Jahr 1978 kandidierte beispielsweise der Kommunistische Bund Westdeutschland (KBW) für den bayerischen Landtag, seine Mitglieder schwärmten zu Wahlkampfveranstaltungen ins ganze Land hinaus. Der KBW war eine maoistische Gruppierung, deren Anhängerschaft bis in die besseren Kreise hinein reichte. Sogar der FC Bayern-Fußballer Paul Breitner ließ sich damals mit Mao-Poster und Mao-Bibel ablichten. Auch spätere Machtpolitiker wie Jürgen Trittin, Winfried Kretschmann, Reinhold Bütikofer (allesamt Grüne) und Ulla Schmidt (SPD) rührten in ihrer Jugend als gläubige Jünger kräftig in der Mao-Soße mit.
Kurios wurde es eines Tages im Wallfahrtsort Altötting, wo gut 30 Maoisten des Kommunistischen Bundes kurz vor der Landtagswahl am Kapellplatz unangemeldet einen Infostand aufbauten und ihre Parolen auch mithilfe eines Megafons eifrig hinausbliesen: "Nieder mit Imperialismus und Reaktion. Es lebe die proletarische Weltrevolution!", schallte es über den Kapellplatz. Als kurz darauf die Kirchenglocken zu läuten begannen, verlegte die Truppe ihren Standort direkt an den Eingang der Gnadenkapelle. Dort entzündete sich rasch ein Handgemenge zwischen Maoisten und Wallfahrern. Letztlich musste die Polizei eingreifen, die KBW-ler leisteten zum Teil militanten Widerstand.
Dieser Vorfall wühlte ganz Altötting auf. Die Schlussfolgerungen fielen allerdings unterschiedlich aus. Während sich die Bürgerschaft darüber empörte, stand in der Kommunistischen Volkszeitung Folgendes zu lesen: "Auch im Hinterland der bayerischen Reaktion haben die werktätigen Massen bewiesen, dass sie imstande sind, der klerikalen Reaktion und ihren polizeilichen Bütteln wuchtige Schläge zu versetzen."
"Das war natürlich ein Fantasieartikel", gibt auch der bekennende Marxist Max Brym zu, der jetzt in München lebt, in den 70er- und 80er-Jahren aber als kommunistischer Agitator und Bürgerschreck in Waldkraiburg, Burghausen und Altötting berüchtigt war. Brym, der jetzt 62 Jahre alt ist, macht sich immer noch viele Gedanken über jene wilde Zeit, die in vielerlei Hinsicht schräg und seltsam war. "Trotzdem ist es wichtig, die damaligen Vorgänge historisch aufzuarbeiten", sagt Brym, der seinen Teil dazu beiträgt, indem er Bücher darüber schreibt. Sein jüngstes Werk trägt den Titel "Mao in der bayerischen Provinz" (erschienen im Südwestbuchverlag) und breitet ein Stück Lokalgeschichte aus, in das er persönlich stark involviert war.
Bryms Erinnerungen lassen erahnen, warum der Kommunismus in seinen vielen verqueren Spielarten damals auch auf dem Land erstaunlich präsent war, obwohl die weltweiten Massenmorde und Großverbrechen kommunistischer Tyrannen längst bekannt waren und der Großteil der bayerischen Bevölkerung grundsätzlich sehr konservativ eingestellt war. Brym kommt zugute, dass er eine Eigenschaft besitzt, die vielen Linken fehlt: Er ist durchaus zu humorvoller Distanz und zu Selbstironie fähig. Weil er seine Geschichten auf diese Weise mit Anekdoten anreichert, sind seine Schilderungen phasenweise höchst unterhaltsam.
"Schon als Kind merkte ich, dass an dieser Idylle etwas faul war"
Einmal erwähnt er, wie Vertreter der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) in den frühen 70er-Jahren viele Bauern aus Reichertsheim (Landkreis Mühldorf) überredeten, sich einer Busreise zu einer bäuerlichen Genossenschaft in der DDR anzuschließen. Allerdings zeitigte die Aktion keinen nachhaltigen Erfolg. Bei der Landtagswahl 1974 erhielt die DKP in Reichertsheim nur zehn Stimmen, zwei davon kamen von älteren, streng katholischen Damen, die später stolz erzählten, sie hätten die Deutsche Katholische Partei (DKP) gewählt.
Maoismus, Altötting, 70er-Jahre, diese Melange wirkt wie aus einer völlig anderen Zeit, was ja auch stimmt. Dass ein junger Mann wie Brym damals mitten im frommen Altötting zum Kommunisten heranwuchs, hatte gute Gründe. Schon etliche Autoren haben sich an ihrer speziellen Jugend in Altötting abgearbeitet, der preisgekrönte Autor Andreas Altmann etwa in seinem Buch "Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend".
Auch Bryms späterer Lebensweg war schon im jüdischen Elternhaus in Altötting vorgezeichnet. "Ich hatte einen Vater, der zwar die Shoa überlebt, aber seine ganze Familie bis auf einen Bruder verloren hatte. Der hatte ein- bis zweimal in der Woche Albträume, bei denen er das ganze Haus zusammen schrie." Später erfuhr Brym, dass der Vater von Auschwitz träumte. "Schon als Kind merkte ich, dass an dieser Idylle etwas faul war."
Sein Vater beschäftigt ihn heute noch. Unweigerlich kommt, wenn man sich mit Brym unterhält, die Rede auf ihn, den begnadeten Tuchhändler. Stets fragte er die braven Frauen vor seinem Laden, ob sie fleißig zur Muttergottes gebetet hätten. Ja, beteuerten sie, worauf der Vater sagte: "Das hilft dir gar nichts. Du kannst nicht beten und mich neben dran verhungern lassen. Komm, kauf mir was ab." Wie jeder frühere KZ-Häftling habe er eine Macke gehabt, sagt Brym. Sein Vater verführte reihenweise Frauen, was ihn von seinen Albträumen ablenkte. Bei einer Lesung habe ihm zuletzt eine alte Frau erklärt, er sehe ja aus wie sein Vater - "der einzige Mann, der damals charmant war und der einzige, in den ich verliebt war."
In seinem Buch verwebt Brym persönliche Erinnerungen und reale Zeitgeschichte. Gerade in Altötting und im Chemiedreieck entwickelten sich im Gefolge der Studentenbewegung von 1968 kommunistische Gruppen. "Offensichtlich hat die katholische Dogmatik aus Altötting in umgekehrter Form eine bestimmte Eigendynamik entwickelt", vermutet Brym. Auch der Katholizismus enthält soziale Elemente. Bei einigen Menschen habe diese Dynamik dann eben zu den Lehren von Karl Marx geführt.
Brym trat mit 16 in die DKP ein, die für ihn ebenso wie die DDR für ein anderes, besseres Gesellschaftssystem stand. Dass er wie viele andere junge Menschen noch nicht viel vom Marxismus und seinen schrecklichen Auswüchsen verstand, gesteht Brym heute zu. Später mischte er im Arbeiterbund mit und gab in der Region Altötting, Mühldorf, Waldkraiburg und Wasserburg jahrelang die Zeitung Der Rote Landbote heraus, die den einen oder anderen echten und vermeintlichen Skandal in den dortigen Betrieben aufdeckte.
Brym und seine Genossen waren kaum zu bremsen. "Wir ließen uns auch von der chinesischen Propaganda täuschen." Am 1. Mai pflasterten sie Waldkraiburg mit den schreiend roten Plakaten des Arbeiterbundes zu, die Stadt sah aus, als stünde die Revolution unmittelbar bevor, erinnert sich Brym. Und er hat sich mit allen angelegt, mit Alt-Nazis und Vertriebenen-Funktionären, mit der SPD und deren damaligem Bürgermeister genauso wie mit der CSU, die ihn nicht mehr in ihren Veranstaltungen reden ließ. "Herr Brym betrachten Sie Ihre Wortmeldungen als gymnastische Übung", bekam er dort zu hören.
Die vielen Aktivitäten, die eigentlich zu Verbesserungen für die Arbeiter in den Betrieben führen sollten, bewirkten trotzdem nicht, dass die Arbeiter in Scharen zu den Linken überliefen, im Gegenteil. "Unser Fehler war, dass wir diese Sympathien der Arbeiter bei konkreten Anliegen verwechselten mit Sympathien für unser maoistisches Programm." Kein Wunder, dass die linken Gruppen nach und nach wie Sektierer wirkten.
Kurios ist auch, dass Brym als Herausgeber des Roten Landboten eine Zeitlang einen Sponsor aus der CSU gewinnen konnte, der sich davon politische Vorteile versprach. Als er aber merkte, dass die Anhänger des Arbeiterbundes weniger auf Honecker als auf Mao standen, stellte er die Zahlungen sofort ein.
Brym gibt zu, er habe bei seinen Versuchen, in verschiedenen Gruppen sozialistische Politik zu machen, Fehler begangen. Er würde einiges genauso wieder machen, sagt er, sich aber die eine oder andere Blödelei ersparen. "Vor allen Dingen den Stalinismus, Mao und Enver Hodscha, die Millionen von Menschen auf dem Gewissen haben."
Falsch sei auch die damalige Einschätzung der kommunistischen Gruppen gewesen, unter Franz Josef Strauß komme der Faschismus zurück, sagt Brym. Es war eine Übertreibung. Aus jetziger Bewertung sei Strauß ein großbürgerlicher Politiker mit einem Hang zum autoritären Regieren gewesen. Dass sich junge Leute in die kommunistischen Gruppen drängen ließen, daran sei aber auch die CSU schuld gewesen, behauptet Brym. Dass die Jugend manchmal rebelliere, sei doch richtig. Dass man in den 70er-Jahren, wenn man Kritik äußerte, oft gleich als Marxist oder Maoist beschimpft wurde, habe eben dazu geführt, dass sich die jungen Leute dafür zu interessieren begannen, was eigentlich hinter diesen Begriffen steckt.