Altötting:Auf Knien vor der Schwarzen Madonna

Gnadenkapelle Altötting

Im Gebet versunken: ein Pilger in Altötting

(Foto: Sebastian Beck)

An Mariä Himmelfahrt wird die Gnadenkapelle wieder Tausende Pilger anlocken. Kein anderer Ort in Bayern straht eine vergleichbare Kraft aus- auch auf weniger Gläubige.

Von Sebastian Beck

Es sind diese regnerischen Abende, an denen sich das Geheimnis von Altötting offenbart. Wenn die Wallfahrer und ihre Busse verschwunden sind, der Wind über den weitläufigen Kapellplatz fährt und die Menschen in der Dämmerung mit dem Schirm zur Gnadenkapelle huschen. Wer an einem solchen Abend die Kapelle betritt, der wird eingesaugt von der Dunkelheit des Altarraums, der kaum mehr ist als eine enge, achteckige Kammer mit der Schwarzen Madonna in der Mitte.

An Mariä Himmelfahrt aber wird sie wieder Heerscharen von Gläubigen anlocken.

Es gibt keinen anderen Ort in Bayern, der eine vergleichbare Kraft ausstrahlt wie die Gnadenkapelle von Altötting. Man muss nicht einmal gläubiger Katholik sein, um die Aura zu spüren. Es ist ein Ort, an dem sich Verzweiflung und Hoffnung in ganz eigener Weise ineinander verschlingen - wenn die Welt brennt, wie in diesem Sommer, vielleicht noch mehr als sonst. In lauter Zeit suchen die Menschen hier die Stille.

Wenn es draußen vor der Kapelle so dunkel ist wie drinnen und nur noch der Regen zu hören ist, dann kommen die Menschen, die ganz alleine sein möchten. Diejenigen, die von Not und Schuldgefühl buchstäblich niedergedrückt werden. Sie laden sich eines der Holzkreuze, die an der Nordseite lehnen, auf die Schultern und umrunden die Kapelle, manche rutschen auf den Knien. Zehn Mal. Vierzig Mal. Eine Selbstkasteiung nachts um drei im Regen, ein archaisches Ritual der Reinigung und Buße, bei dem nur einer ihr Zeuge ist: der Nachtwächter.

Wer den Freistaat verstehen will, der sollte wenigstens einmal den Wallfahrtsort 90 Kilometer östlich von München besucht haben. Wie in einem Brennglas bündelt sich hier die Geschichte: Die Gnadenkapelle zählt zu den ältesten Bauwerken Bayerns. Sie stand hier schon Jahrzehnte, bevor sich Karl der Große in Aachen im Jahr 800 zum ersten Deutschen Kaiser krönen ließ. In den Wandnischen ruhen die Urnen mit den Herzen von 13 Kurfürsten, Königen und von Kaiser Karl Albrecht VII.

Es ist auch kein Zufall, dass der große Gerhard Polt in Altötting aufgewachsen ist. Das Verdruckste, Hinterfotzige war immer schon die Kehrseite der Frömmigkeit. Und deshalb durchaus kabaretttauglich. Hier versammelt sich das gottgefällige Volk weiterhin zu Messen im Stundentakt. In keiner Minute des Tages verstummt das Gebet. Doch die Zahl der Pilger schwindet auch in Altötting dramatisch, und man fragt sich: Wie lange noch wird das bayerische Welttheater dort aufgeführt werden?

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