Süddeutsche Zeitung

Alte Bahnhöfe in Bayern:Nächster Halt Schmuddeldorf

Hunderte Bahnhöfe in Bayern vergammeln. Viele davon wurden vor Jahren an einen britischen Finanzinvestor verkauft - und der hat offenbar kein Interesse an den Gebäuden. Die SPD verlangt nun den Rückkauf.

Oliver Hollenstein

Der Gestank von Urin hat die Eigenart, ziemlich lange nachzuwirken. Wer mit dem Regionalzug in Bayern unterwegs ist, kann das erleben. Das beißende Odeur aus den Unterführungen liegt dem Bahnfahrer noch in der Nase, wenn er längst im Zug sitzt. Seit die Deutsche Bahn in den 1990er Jahren beschlossen hat, dass Bahnhofsgebäude nicht "betriebsnotwendig" sind, vergammeln Hunderte Bahnhöfe in Bayern.

Viele davon wurden vor Jahren an einen Großinvestor verkauft. Der lasse die Bahnhöfe verfallen, und weder Bahn noch Staatsregierung fühlten sich für das Problem zuständig, kritisiert nun die SPD im Landtag. Bayern müsse über den Rückkauf der Bahnhöfe diskutieren und die Sanierungen stärker fördern. Doch der Investitionsbedarf ist riesig.

Früher waren Bahnhöfe für Einheimische das Tor zur Welt, für Besucher das Tor zur Stadt, die Visitenkarte eines Ortes. Es war eine Zeit, in der Fracht abgefertigt werden musste, Weichen von Hand gestellt wurden und jeder Bahnhof Dienstwohnungen brauchte. Wer wissen will, was heute ein Bahnhof ist, findet die Antwort in einer Grafik der Bahn: "Aufbau eines Bahnhofs" steht darüber. Links ist der Bahnsteig mit Unterführung, Sitzplätzen. Verkehrsstation, nennt die Bahn das. Rechts das Empfangsgebäude, rot. "Häufig für Bahnbetrieb nicht vollumfänglich erforderlich", steht fett gedruckt darin. Das ist die zentrale Unterscheidung für die Bahn.

Deswegen hat sie entschieden, 700 der 1300 Empfangsgebäude bundesweit zu verkaufen. In Bayern besitzt die DB Netze AG heute noch 248 Bahnhöfe, 91 will sie so schnell wie möglich loswerden. An Privatleute, vielleicht Bahnfans, oder Kommunen, sagt Günther Pichler, Chef der Bahninfrastruktur in Bayern. 300 bayerische Bahnhöfe hat die Bahn bereits verkauft, mehr als die Hälfte davon an einen Finanzinvestor - nicht nur zum Unmut der SPD. "Das ist eine Altlast", räumt Pichler ein.

Gebäude sind kurz vorm Einsturz

Eine Altlast, deren Geschichte im Jahr 2000 beginnt, als die Bahn bundesweit 500 Bahnhöfe an den Investor First Rail Property verkauft, darunter 42 bayerische Bahnhofsgebäude. Vier Jahre später ist die Firma pleite. Der britische Finanzinvestor Patron Capital übernimmt die Bahnhöfe, kauft 2008 noch einmal 490 hinzu, davon 132 in Bayern. 28 der 174 bayerischen Bahnhofsgebäude hat die Patron Capital nach Informationen des bayerischen Wirtschaftsministeriums bisher weiterverkauft. In neun Bahnhöfe hat der Investor insgesamt eine Million Euro investiert, antwortete das Ministerium auf eine Anfrage von SPD-Verkehrsexperte Thomas Beyer.

Das sei ernüchternd, sagt der. Bei den Investitionen könne es sich eigentlich nur um Maßnahmen zum Erhalt der Gebäude handeln - dringend notwendige Reparaturen, die einen Einsturz verhindern, also. Auch die Bahn sieht Investitionsbedarf in anderen Dimensionen: Die Kosten für die Sanierung der knapp 250 bahneigenen Gebäude in Bayern würden wohl zwischen 500 Millionen und einer Milliarde Euro betragen, schätzt Pichler.

Trotz des Investitionsbedarfs und der geringen Verkaufsquote scheint die Patron Capital AG aber nur mäßiges Interesse an Käufern zu haben - zumindest, wenn es sich um bayerische Kommunen handelt, die ihre Bahnhöfe übernehmen wollen, sagt Beyer. Für sie sei die für die Bahnhöfe zuständige deutsche Tochter Main Asset Management GmbH oft nicht ansprechbar.

Ein Beispiel ist die fränkische Kreisstadt Weißenburg. Seit Jahren will die Stadt den 140 Jahre alten Bahnhof kaufen, an dem es für die 2000 täglichen Bahnfahrer nicht einmal mehr eine Toilette gibt. Aber immer wieder gab es Probleme: Die Stadt wurde von der Main Asset Management hingehalten, mit absurden Nutzungs- und Preisvorstellungen konfrontiert, außerdem wechselten ständig die Ansprechpartner, berichtete Bürgermeister Jürgen Schröppel. Das Unternehmen war für eine Stellungnahme zu den Vorwürfen nicht zu erreichen. Nach Ansicht der SPD ist Weißenburg aber kein Einzelfall: Beyer will nun eine Liste mit Kommunen erstellen, die ähnliche Probleme mit dem Investor hatten.

Orte mit abschreckender Wirkung

Die SPD gibt auch der Staatsregierung eine Mitschuld an dem desaströsen Zustand der Bahnhöfe. Sie spiele ein "Schwarze-Peter-Spiel" und verweise immer nur auf Bund und Bahn. Tatsächlich schreibt das Wirtschaftsministerium, es "mahne stets", dass sich beide Partner stärker um die Bahnhöfe kümmern. Beyer fordert nun mehr Engagement. Der Druck auf die Bahn müsse erhöht werden, schließlich bekomme sie für den Regionalverkehr jährlich fast eine Milliarde Euro vom Freistaat.

Diskutiert werden könne beispielsweise ein Rückkauf der Bahnhöfe. Zum anderen biete es sich an, die Bahnhöfe stärker in das Städtebauförderprogramm einzubinden. Die Bahnhöfe seien das Aushängeschild der Orte, sagt Beyer. Der derzeitige Zustand schrecke aber eher vom Bahnfahren ab. "Das nimmt vielen - Frauen, älteren Menschen - die Lust am Bahnfahren." Wer den Urin-Geruch der bayerischen Regionalbahnunterführungen kennt, wird da kaum widersprechen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1443370
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 17.08.2012/infu
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.