Süddeutsche Zeitung

Alpen:Der Steinbock ist in Bayern auf dem Vormarsch

  • In den bayerischen Alpen leben wieder deutlich mehr Steinböcke.
  • Der Bestand hat sich in den vergangenen sechs Jahren um etwa 350 Tiere erhöht.
  • Experten nennen den Klimawandel als Hauptgrund dafür, dass sich die Steinböcke in Bayern wieder vermehren.

Von Christian Sebald

Wer in Oberbayern Steinböcke in freier Wildbahn erleben will, der muss nur zur Benediktenwand hinaufsteigen. An dem 1800 Meter hohen Berg kann man die bis zu 120 Kilogramm schweren Kletterkünstler mit ihren mächtigen, bis zu einem Meter langen Hörnern sehr gut beobachten. Die Steinböcke dort sind so zutraulich, dass sie sich oft ganz nah an die Tutzinger Hütte heranwagen, wo an schönen Tagen Hunderte Wanderer Rast machen.

An der Südseite, am Einstieg zum Altweibersteig, ist sogar eine Hinweistafel auf sie angebracht. Wenigstens 74 Steinböcke leben an der Benediktenwand, so haben es in diesem Sommer Förster und Jäger ermittelt. Die Kolonie geht auf Auswilderungen in den Jahren 1967 und 1971 zurück und ist sehr stabil.

Steinböcke sind Tiere des Hochgebirges und ganzjährig geschützt. Für gewöhnlich leben sie oberhalb der Baumgrenze in Lagen bis zu 4500 Metern Höhe. Dort tummeln sich die Tiere, die zur Gattung der Ziegen zählen, in den Felsen. Nur in sehr harten Wintern wandern sie in die oberste Bergwaldregion hinunter. Insgesamt, so schätzen Experten, gibt es in den Alpen gut 45 000 Steinböcke, zwei Drittel davon in den Schweizer und den italienischen Hochalpen. In Frankreich sind es ungefähr 10 000. Und in Österreich, wo Steinböcke erst 1924 wieder angesiedelt worden sind, sollen es etwa 4500 sein.

In Bayern, das mit seinen eher sanften Bergen eigentlich kein klassisches Steinbockland ist, sind die Steinböcke seit einiger Zeit auf dem Vormarsch. Binnen sechs Jahren, so teilt Forstminister Helmut Brunner (CSU), mit, hat sich der Bestand um 350 Tiere erhöht. Bei der offiziellen Zählung 2010 ermittelten Förster und Jäger 450 Steinböcke in Bayerns Bergen. In diesem Sommer waren es 730. Da man aber nie wirklich alle Tiere zu Gesicht bekommt, rechnen Experten mit 800 Steinböcken in den Bergen im Freistaat.

Auch das Laien-Monitoring, zu dem der Vogelschutzbund LBV, der bayerische Jagdverband und die Staatsforsten seit August aufrufen, hat sehr viel mehr und vor allem bessere Ergebnisse erbracht, als Henning Werth erwartet hatte. "Binnen eines Vierteljahres sind 322 Meldungen bei uns eingegangen", sagt der Biologe, der das Laien-Monitoring betreut. "Die Teilnehmer sichteten 803 Mal männliche Tiere, 275 Mal weibliche und 189 Mal Jungtiere."

Die Tiere kommen besser durch den Winter

Hinzu kamen 867 Sichtungen, bei denen die Teilnehmer keine Aussage über Geschlecht und Alter der jeweiligen Steinböcke machen konnten. "Zwar sind das keine harten wissenschaftlichen Daten, und es sind auch keine Bestandszahlen, weil die Teilnehmer ja auch immer wieder die gleichen Tiere gemeldet haben", sagt Werth. "Dennoch wurden unsere Hoffnungen übertroffen." Zumal sich aus dem LBV-Monitoring und Brunners offizieller Zählung die gleichen Trends ergeben.

Die meisten bayerischen Steinböcke leben demnach in den Allgäuer Hochalpen bei Oberstdorf - 441 Stück. Die Berchtesgadener Alpen - vor allem das Lattengebirge - sind die Heimat von 210 Steinböcken. Darin ist auch die kleine Kolonie eingerechnet, die sich seit wenigen Jahren am Watzmann niedergelassen hat. Noch nicht lange beobachtet werden die fünf bis sechs Steinböcke, die jeden Sommer von Tiroler Seite her ins Ammergebirge wechseln. Auch am Brünnstein gibt es eine Kolonie mit wenigstens 20 erwachsenen Tieren. Sie geht - wie die an der Benediktenwand - auf eine Auswilderung zurück. Anders als dort, wo die Steinböcke ein isoliertes Dasein fristen, stoßen zu der Kolonie am Brünnstein aber immer wieder welche aus Tirol hinzu.

Als Grund für den Vormarsch der Steinböcke nennt der Biologe Werth den Klimawandel. "Die Winter werden immer milder, selbst in den Hochlagen liegt immer weniger Schnee", sagt er. "Das aber bedeutet, dass die Steinböcke viel besser durch die kalte Jahreszeit kommen, sei es, weil sie an Südhängen leichter Nahrung finden, wenn dort weniger Schnee liegt, sei es, weil immer weniger Steinböcke von Lawinen mitgerissen werden." Und weil der Klimawandel fortschreitet, ist sich Werth ziemlich sicher, dass die Zahl der Steinböcke in den bayerischen Bergen weiter ansteigen wird.

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SZ vom 05.12.2016/vewo
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