Der Parkplatz "Auf der Höh" im Hintersteiner Tal liegt direkt am Rand des Naturschutzgebiets Allgäuer Hochalpen. Er ist Startpunkt für zahlreiche Touren, rüber zum Schrecksee, rauf zum Gipfel des Hochvogel. Allein der Parkplatz ist eigentlich schon eine Reise wert, mit den Kühen im Vordergrund und dem Bergpanorama im Hintergrund. Er ist deshalb allerdings auch ziemlich beliebt. "Der Parkplatz", sagt der stellvertretende Bürgermeister von Bad Hindelang, Eric Enders, "ist morgens um 6.30 Uhr dicht." Um 6.30 Uhr? "In der Hochsaison, ja."
Das Allgäu hat wie viele Urlaubsregionen gerade in Zeiten von Covid-19 wieder enormen Zulauf. Manche sagen: zu viel Zulauf. Den Touristikern ist schon wichtig zu betonen, dass sich das nur auf einzelne Hotspots bezieht, nicht auf die gesamte Region. Am Schrecksee aber, in der Breitachklamm, auf dem Rubihorn, da wandern die Leute jetzt im Sommer auch manchmal im Gänsemarsch, weil es so eng wird. Zu den Ausflugsorten, die in Mode sind, hat sich deshalb nun ein Modebegriff gesellt: "Besucherlenkung" soll helfen, Hotspots zu entlasten. Viele Touristiker setzen dabei Hoffnung in das Forschungsprojekt "Bayerncloud" des Landesforschungsinstituts des Freistaats "Fortiss": Durch eine zentrale digitale Plattform sollen Datensätze über freie Parkplätze, verstopfte Straßen, geöffnete Hütten und gesperrte Wanderwege künftig leichter zugänglich werden - und die Übernachtungsgäste wie Tagestouristen davon abhalten, ausgerechnet dort hinzufahren, wo es eh schon voll ist.
Tourismus in Bayern:So funktioniert Aiwangers Ausflugsticker
Mit dem System will der Wirtschaftsminister die Touristenströme lenken und verhindern, dass einzelne Regionen überrannt werden, während anderswo genügend Platz ist.
"Am Ende geht es darum: Wie schaffen wir es, eine Datendrehscheibe zu generieren, die uns das Leben einfacher macht?" So formuliert Stefan Egenter das Ziel der Bayerncloud. Egenter ist Marketingleiter bei der Allgäu GmbH, die den Tourismus in der Region promotet. Das mit der Besucherlenkung funktioniert in vielerlei Hinsicht noch nicht optimal, das gilt auch fürs Digitale. Wenn zum Beispiel rund um Oberstdorf ein Wanderweg gesperrt wird, dann findet der Gast diese Information wahrscheinlich auf der Homepage des Ortes. Auf Plattformen wie Outdooractive aber, auf der viele Wanderer ihre Touren planen, wird der Wanderweg erst Tage später, wenn überhaupt, als gesperrt gekennzeichnet. Das liegt daran, dass all die Outdoor-Plattformen und auch zentrale Tourismusorganisationen wie die Allgäu GmbH nicht alle Daten von allen Orten, Seilbahnen, Hütten oder auch Parkplätzen ständig im Blick haben können. Und wenn einer dann die Information mitbekommt, muss sie ein Mitarbeiter erst händisch einpflegen.
Hier setzt die Bayerncloud an, die künftig all diese Informationen in Echtzeit anbieten will. "Sie soll keine Portale ersetzen, sondern besser machen", erläutert Egenter. Die Bayerncloud soll ein technischer Dienstleister werden und keine Endanwendung, also App oder Homepage, von der der Ausflügler seine Informationen zieht. Dass all die Informationen so schwer zugänglich sind, scheitert bislang schlicht an der Komplexität: Es gibt verschiedene Schnittstellen, verschiedene Datensysteme, oft auch überhaupt keine Daten. Es gibt auch viele verschiedene Spieler im Tourismus, große Hotels, mittelständische Unternehmen, aber ebenso den kleinen Hüttenwirt. Das Projekt Bayerncloud will in der Modellregion Allgäu nun alle notwendigen Daten vereinheitlichen und maschinell lesbar machen.
Erst vor Kurzem ist der Ausflugsticker in Oberbayern online gegangen
Das Landesforschungsinstitut Fortiss arbeitet deshalb unter anderem mit der Allgäu GmbH, der Hochschule Kempten und der Bayern Tourismus Marketing GmbH zusammen - die Bayerncloud soll schließlich einmal helfen, den Tourismus im gesamten Freistaat zu managen. Vier Millionen Euro hat das Wirtschaftsministerium bislang in das Forschungsprojekt investiert, das auch anderen Branchen nutzen soll: der Baubranche etwa oder auch Handwerkern, die so leichter Informationen über ihre Angebote und Öffnungszeiten verbreiten können. Im Tourismus soll das Projekt nächstes Jahr in die Praxis umgesetzt werden - was nicht so einfach ist.
Für die Entwickler, sagt Projektleiter Norman Schaffer, gehe es darum, Daten in Echtzeit bereitstellen zu können und auch alle Kleinakteure im Tourismus nicht zu überfordern. "Touristiker und Touristen sollen ja profitieren." Erst vor Kurzem ist der Ausflugsticker in Oberbayern online gegangen, der ebenfalls Informationen für Ausflügler bereithält, aber händisch gepflegt werden muss und dementsprechend langsam ist. Mit der Bayerncloud soll es möglich sein, morgens aufs Handy zu schauen und zu sehen, dass es auf dem Rubihorn wieder voll werden wird, auf dem nahen Entschenkopf aber nicht. Dass die eine Hütte noch Sitzplätze frei haben wird, die andere aber ausgebucht ist. Und dass der Parkplatz bis zur Ankunft wohl überbelegt ist. Dabei sollen auch Prognosemodelle helfen: Sie könnten anhand von Daten, etwa wie voll die Straßen sind und welches Wetter herrscht, berechnen, wann ein Parkplatz dichtmachen muss.
Die Datensätze sollen Appentwicklern zunächst frei zur Verfügung stehen. Das Wirtschaftsministerium hofft so auch auf einen Innovationsschub in der Branche. Die Nutzung der Daten wird europäischem Recht unterliegen, was dem Datenschutz förderlich ist. Viel wichtiger für Touristiker wie Jörn Homburg von den Kleinwalsertal Bergbahnen ist es aber, nur noch einen Pool mit Daten befüllen zu müssen. Die Bayerncloud könne ein Baustein sein, sagt er, um die Erholungsqualität in der Region zu fördern - neben etwa dem Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel.
"Je verlässlicher es funktioniert, desto besser wird es angenommen." Homburg sieht allerdings schon noch einige Hürden: Welcher Parkplatzbetreiber, fragt er, werde wirklich Daten weitergeben, dass sein Areal schon voll sei, wenn er damit Gäste vergraule? "Bis der nächste Gast kommt, sind ja vielleicht schon wieder vier Autos weggefahren." Dennoch sei ein "verzahntes System definitiv der Weg, wo es hingeht", sagt Eric Enders aus Bad Hindelang. Kommunikation sei der Schlüssel zum Erfolg, und da erreiche man die Generation "30 minus" eben besser digital.
"Der erhobene Zeigefinger wird uns nicht weiterbringen, wenn es zu voll wird", sagt Enders. Das Projekt Bayerncloud dagegen vielleicht schon.