Tourismus:Pläne für Erlebniswelt in den Alpen gestoppt

Tourismus: Der Grünten gilt wegen seiner exponierten Lage als "Wächter des Allgäus" - auch deshalb standen die umstrittenen Pläne so im Fokus.

Der Grünten gilt wegen seiner exponierten Lage als "Wächter des Allgäus" - auch deshalb standen die umstrittenen Pläne so im Fokus.

(Foto: imago images/MiS)

Investoren wollten mit neuen Attraktionen Touristen zum Grünten im Allgäu locken. Die Pläne sind nun vom Tisch: Solche Großprojekte im Gebirge, frohlocken Kritiker, seien der Bevölkerung nicht mehr vermittelbar.

Von Florian Fuchs

Nikolaus Weißinger nennt es "einen Schock", als er am Mittwoch bekannt gibt, dass die Grüntenlifte und das dazugehörige Ski- und Wandergebiet nicht wie von der Investorenfamilie Hagenauer geplant ausgebaut und modernisiert werden. "Das Projekt ist gestorben", sagt der Erste Bürgermeister also im Rathaus von Rettenberg, seiner Laune zuträglich ist diese Neuigkeit sichtlich nicht. Das sieht draußen, vor dem Rathaus, deutlich anders aus. Vertreter des Bundes Naturschutz (BN) und der Bürgerinitiative "Rettet den Grünten" lachen und jubeln. Thomas Frey, BN-Regionalreferent für Schwaben, sagt: "Das ist ein Freudentag."

Bereits seit Jahren entzweit das Vorhaben der Investorenfamilie am Grünten Einheimische wie Auswärtige. Deutschlandweit ist der Plan durch die Medien gegangen, betont auch Bürgermeister Weißinger noch einmal, die maroden Liftanlagen aus den 1960er-Jahren zu erneuern und am Berg mit neuer Gastronomie und neuen Attraktionen im Winter wie auch im Sommer die Touristen anzuziehen. Der Grünten stand plötzlich beispielhaft für die Debatte, ob das Allgäu nicht inzwischen zu sehr von Touristen überrannt werde.

Für den Ort ist das gescheiterte Projekt nun in den Worten Weißingers "ein Rieseninvestitionsverlust". Für die Naturschützer ist es nach dem Aus für die Skischaukel am Riedberger Horn ein weiterer Beweis, dass "Großerschließungspläne in den bayerischen Alpen in der Bevölkerung nicht mehr durchsetzbar" seien, so sagt es BN-Landesvorsitzender Richard Mergner. Der Bund Naturschutz fordert deshalb von Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW), die Millionen für das Seilbahnförderprogramm, von denen auch das Projekt am Grünten hätte profitieren sollen, in naturnahe Tourismusvorhaben umzulenken. Ein solches Konzept will die Gemeinde Rettenberg nun auch für den Grünten entwickeln.

Einen Freizeitpark am Berg nennt BN-Regionalreferent Frey die jetzt beendeten Planungen der Investoren. Ein Projekt, das aus seiner Sicht "jedes Maß verloren" hat. Er zählt noch einmal auf, was ursprünglich geplant und auch bis zuletzt beim Landratsamt zur Genehmigung eingereicht gewesen war: eine neue Zehnergondelbahn auf neuer Trasse im Landschaftsschutzgebiet, im Zuge dessen neue Gebäude an der Talstation inklusive vierstöckigem Parkhaus, der Mittelstation und der Bergstation. Drei neue Gastronomien mit Veranstaltungen und Feiern bis in die Nacht, eine Vergrößerung der künstlichen Beschneiung von neun auf 24 Hektar, ein zwei Fußballfelder großes, neues Speicherbecken sowie mehr als 100 neue Beschneiungsschächte für Schneekanonen. Einen Massenansturm prophezeiten die Kritiker und verwiesen dazu auf die nahe gelegene "Alpsee Bergwelt", wo die Investorenfamilie unter anderem Deutschlands längste Ganzjahres-Rodelbahn betreibt - und wo vor allem die Tagesgäste viel Verkehr verursachen.

Bei einer Demonstration am Grünten kamen vor Jahren mehr als 1000 Teilnehmer, 2000 Einwendungen gegen die Ausbaupläne gingen beim Landratsamt ein, eine Petition der Projektgegner unterschrieben 70 000 Menschen. "Der Stopp der Pläne ist ein Verdienst der gesellschaftlichen Bewegung, die sich gebildet hat", sagt Frey. Der Bund Naturschutz und der Landesbund für Vogelschutz hatten wiederholt gedroht, gegen eine Umsetzung der Ausbaupläne umfangreich zu klagen. Rettenbergs Bürgermeister Weißinger hat es deshalb von seinem Amtsantritt an im Jahr 2020 als seine Aufgabe betrachtet, den verfahrenen Streit zu befrieden.

Tourismus: Nikolaus Weißinger, Erster Bürgermeister von Rettenberg, hätte die abgespeckten Pläne der Investoren gerne umgesetzt, um den Tourismus im Ort anzukurbeln.

Nikolaus Weißinger, Erster Bürgermeister von Rettenberg, hätte die abgespeckten Pläne der Investoren gerne umgesetzt, um den Tourismus im Ort anzukurbeln.

(Foto: Florian Fuchs)

Er betont, dass die vom BN vor dem Rathaus skizzierten Pläne ohnehin nicht mehr zur Debatte gestanden hätten. Tatsächlich haben sich die Inverstoren wiederholt bereit erklärt, ihre Planungen abzuspecken. So stand früh der Entschluss fest, auf eine sogenannte Walderlebnisbahn zu verzichten, an der Besucher teils durch den Wald hätten ins Tal rutschen können. Weißinger wollte das Projekt gesundschrumpfen, am Ende stand in Absprache mit den Investoren der Plan, etwa Liftkapazitäten abzubauen, auf die Parkgarage zu verzichten, Rodungen zu minimieren, den Beschneiungsteich zu streichen sowie die anvisierte Gastronomie zu verkleinern. Das Landratsamt organisierte einen runden Tisch mit Befürwortern und Kritikern, den ein Mediator leitete. Und Weißinger führte lange Gespräche mit den mehr als 50 Eigentümern und den Alpgenossenschaften, die am Berg Grundstücke besitzen - und deren Flächen bei neuem Betrieb hätten genutzt oder gequert werden müssen.

Doch das Misstrauen blieb offenbar groß. Die Kritiker etwa befürchteten immer wieder eine Salamitaktik der Investoren, also dass die abgespeckten Pläne bei laufendem Betrieb doch wieder ausgedehnt würden - und dies dann schwieriger zu verhindern sei. "Außerdem wären bei so einem Kompromiss trotzdem weiter Massen den Berg hoch transportiert worden", klagt Frey. An einigen der Grundeigentümer scheiterten die Bemühungen des Bürgermeisters nun. Die stellten laut Weißinger Nutzungsbedingungen für ihre Grundstücke, die der Betreiberfamilie keine wirtschaftliche Betriebsführung erlaubt hätten. Die Investoren haben ihm deshalb angekündigt, ihre Planungen fallen zu lassen. Selbst äußern wollen sie sich nicht. Bislang nicht geklärt ist, ob die alten, maroden Lifte abgebaut werden.

"Wir werden nun versuchen, mit den Eigentümern und Verbänden gemeinsam ein neues, naturverträgliches Projekt zu zimmern", sagt Erster Bürgermeister Weißinger. Ideen gebe es, wie etwa einen Themenweg, auf jeden Fall will er eine vernünftige Besucherlenkung auf den Weg bringen. Adrian Gioja, Sprecher der Bürgerinitiative "Rettet den Grünten", betont, dass sich seine Mitstreiter gerne an der Entwicklung eines nachhaltigen Zukunftsprojekts beteiligen wollen. Und auch der Bund Naturschutz kündigt an, die Gemeinde dabei zu unterstützen, einen skiunabhängigen Tourismus aufzubauen.

Das Wirtschaftsministerium sei nun gefordert, "unabhängig von Aufrüstungsstrukturen" Geld für Besucherlenkung bereitzustellen, sagt BN-Regionalreferent Frey. Am Riedberger Horn habe es auch eine kräftige Finanzspritze für naturnahe Angebote gegeben, als die Planungen für die kritisierte Skischaukel vom Tisch waren, betont Weißinger. "Das würde uns natürlich auch gut tun."

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