Süddeutsche Zeitung

Skandal um Tierquälerei:Tierärzte fordern mehr Kontrollen

Lesezeit: 4 min

Von Pia Ratzesberger und Christian Sebald, München

Der Tierschutz-Skandal um den Endres-Hof im Allgäu wird zu einem Fall für den Landtag. Auf Verlangen von Grünen und SPD trifft sich der Umweltausschuss noch vor der Sommerpause zu einer Sondersitzung. In ihr muss Umweltminister Thorsten Glauber (FW), der auch für Tierschutz zuständig ist, über die massiven Vorwürfe gegenüber dem Milchviehhof in Bad Grönenbach berichten. "Die Kontrollbehörden klagen seit Jahren über Überlastung - passiert ist bisher nichts", sagt die Vorsitzende des Umweltausschusses, Rosi Steinberger (Grüne). "Die furchtbaren Bilder aus dem Riesenbetrieb sind nun die Quittung dafür." Für Florian von Brunn (SPD) geht es darum, "dass Minister Glauber erklären muss, ob Staatsregierung und Behörden hier bei den Kontrollen versagt haben". Wenn ja, müsse dies Konsequenzen haben.

Damit rücken die Tierschutz-Kontrollen in der bayerischen Landwirtschaft in den Fokus des Skandals. Ebenfalls am Mittwoch stellte sich heraus, dass der Milchvieh-Betrieb, der mit 1800 Kühen zu den größten in Bayern zählt, in den vergangenen fünf Jahren 34 Mal von Amtsveterinären aufgesucht worden ist. 19 Mal zu sogenannten Regelkontrollen, also Überprüfungen, die in einem bestimmten Turnus erfolgen, bei denen aber nicht der Tierschutz im Vordergrund steht. Und 15 Mal zu anlassbezogenen Kontrollen. Bei dieser Art Kontrollen gehen die Veterinäre Hinweisen auf Verstöße gegen gesetzliche Vorgaben nach. Zehn anlassbezogene Kontrollen hatten laut Landratsamt damit zu tun, ob auf dem Hof die Tierschutz-Vorgaben eingehalten werden. Die Kontrollen seien "selbstverständlich unangemeldet erfolgt", sagte der Unterallgäuer Landrat Hans-Joachim Weirather (FW). Bisher war davon die Rede, dass in den vergangenen fünf Jahren insgesamt 15 Regel- und anlassbezogene Kontrollen auf dem Hof stattgefunden haben.

Bei den 15 anlassbezogenen Kontrollen wurden dem Landratsamt zufolge zwölf Verstöße gegen gesetzliche Vorgaben festgestellt. Neun davon hätten den Tierschutz betroffen. Allerdings hätten sich diese im "gering- bis mittelgradigen Bereich" bewegt. Mit den Aufnahmen, welche die Tierrechtsorganisation Soko Tierschutz der Süddeutschen Zeitung sowie den ARD-Politmagazinen "Report Mainz" und "Fakt" übergeben hat, seien sie nicht zu vergleichen. "Von der Dimension der Verstöße haben wir durch das Bildmaterial der Tierschutzorganisation erfahren", hieß es. "Diese waren bei keiner Kontrolle ersichtlich." Wenn die Mitarbeiter Mängel festgestellt hatten, hatte der Landwirt stets genaue Auflagen erhalten, bis wann sie beseitigt werden müssen. Bauer Endres habe die Auflagen stets eingehalten.

Die Bilder der Soko Tierschutz dokumentieren, wie auf dem Hof Kühe wie leblose Gegenstände von einem Ort zum nächsten geschleift wurden oder in einem Krankenstall verendet sind. Außerdem kamen Kühe aus dem Krankenstall später noch zu einem Schlachthof in Buchloe - und damit in den Handel. Mitte Juni wurde ein notgeschlachtetes Tier zu dem Schlachthof gebracht. Ein weiteres Tier, das Mitte Juni auf den Schlachthof kam, ist ebenfalls auf den Videos zu sehen - wie es im Krankenstall liegt. Besonders brutal sind die Filmsequenzen, in denen zu sehen ist, wie eine lebende Kuh mit zusammengebundenen Beinen an einer Baggerschaufel über ein Gatter gezerrt wird und mit dem Kopf am Boden aufschlägt. All dies sind massive Verstöße gegen den Tierschutz.

In der Vergangenheit sind bereits mehrmals Bußgelder gegen den Hof verhängt worden. Am Montag hieß es noch vom Landratsamt Unterallgäu wegen "Verstößen gegen die Tiergesundheit". Am Mittwoch spezifizierte die Kreisbehörde "wegen Verstößen gegen Tierseuchenrecht". Es habe sich stets um fehlende Bestätigungen gehandelt, dass Rinder, die in den Stall hinein- oder aus dem Stall hinausgebracht worden seien, frei von Infektionskrankheiten waren, sagte eine Sprecherin. Unklar blieb, ob der Landwirt Endres die Bestätigungen nachgereicht hat. Außerdem hat das Landratsamt nach eigenen Angaben den Landwirt zwei Mal wegen Hinweisen auf eine Straftat bei der Staatsanwaltschaft beziehungsweise der Polizei angezeigt. Die Staatsanwaltschaft Memmingen hat am Dienstag bekanntgegeben, dass sie wegen der Tierquälerei-Vorwürfe Ermittlungen aufgenommen hat.

Tierschutzkontrollen müssen verschärft werden

Für den "Landesverband der beamteten Tierärzte in Bayern" ist der neue Skandal Anlass, von der Staatsregierung einmal mehr spezielle Tierschutz-Regelkontrollen auf Bauernhöfen einzufordern. "Bisher finden Tierschutzkontrollen in der Nutztierhaltung praktisch nur statt, wenn uns jemand einen Hinweis auf Verstöße gibt", sagt der Verbandsvorsitzende und Chef des Veterinäramts am Landratsamt Traunstein, Jürgen Schmid. "Regelmäßige Kontrollen, die ausschließlich überprüfen, ob die Tierschutzvorgaben eingehalten werden, sind nicht vorgesehen und finden deshalb nicht statt. Das ist ungenügend."

Der Grund für den Missstand sei, dass für solche Regelkontrollen das Personal an den Veterinärämtern verstärkt werden müsste. Das aber wollten der Freistaat und die anderen Bundesländer aus Kostengründen vermeiden. Ohne dichteres Kontrollnetz seien aber Verbesserungen im Tierschutz nicht möglich. Dabei sind die Forderungen von Schmids Verband vergleichsweise moderat. Sie lauten, dass jedes Jahr zehn Prozent der Nutztierhalter kontrolliert werden sollten, ob sie die Tierschutz-Vorgaben einhalten. "Das heißt, dass jeder Betrieb einmal alle zehn Jahre geprüft wird", sagt Schmid. "Das ist nicht wirklich viel, aber es wäre ein Anfang."

Schmid verteidigt denn auch seine Kollegen am Landratsamt Unterallgäu. "Das Veterinäramt dort hat 3,5 Planstellen für Amtstierärzte", sagt er. "Die Kollegen dort können einfach keine Komplettkontrolle eines Riesenbetriebs sicherstellen, wie der Endres-Hof einer ist." Zudem verweist Schmid darauf, dass Veterinärkontrollen immer nur "Momentaufnahmen" sein können. "Sie dokumentieren die Verhältnisse auf dem Hof zu dem Zeitpunkt, an dem die Kontrolle stattfindet", sagt er. "Mehr ist für uns nicht möglich." Vor allem weil Tierschutz-Verstöße in aller Regel ja nicht stattfänden, wenn gerade die Amtsveterinäre auf dem jeweiligen Hof seien. Im Gegenteil, sie würden dann tunlichst vermieden. "Das ist wie bei allen anderen Delikten oder Straftaten", sagt Schmid. "Zum Beispiel wird ein Autofahrer, der immer wieder bei Rot über die Ampel fährt, das nicht tun, wenn hinter ihm die Polizei steht."

Gerade deshalb ist es aus Schmids Sicht zentral, dass der Freistaat die Tierschutzkontrollen in der Landwirtschaft verschärft und dafür das Personal an den Veterinärämtern aufstockt. "Denn die Bilder der Soko Tierschutz von dem Hof im Unterallgäu sind sehr bedrückend", sagt der Amtsveterinär. "Da stellt es einem sämtliche Haare auf. Solche Missstände dürfen einfach nicht sein."

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SZ vom 11.07.2019
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