Nische mit Tradition:Wie die alten Meister

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Konrad Neßlers Arbeitsweise ist sehr traditionell. Seinen Beruf des Schmieds gibt es offiziell gar nicht mehr. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Im Allgäu haben sich fast 50 Handwerker, die überlieferte Arbeitsweisen pflegen, zu einem Verein zusammengetan. Ihre Produkte sind oft nicht billig, aber durchaus gefragt. Denn viele Kunden setzen wieder auf Bewährtes.

Von Frederick Mersi/dpa, Legau

Wenn Sattlerin Marlies Bek einen neuen Auftrag annimmt, dann kann sie eines gar nicht brauchen: Zeitdruck. "Es darf bei mir nicht pressieren, damit es am Ende gut wird", macht sie am Telefon sofort klar. Dafür nimmt die 56-Jährige in Kauf, dass die potenzielle Kundin am anderen Ende der Leitung nicht den Weg in ihre kleine Werkstatt in Legau im Landkreis Unterallgäu findet. Denn für Marlies Bek ist klar, wie sie als Sattlerin arbeiten will: von Hand und wenn sie Freude daran hat.

"Das A und O ist die Lust drauf", sagt Bek, während sie einen Pferdesattel stopft. Weil Leder sie so faszinierte, begann die damalige Hauswirtschaftsmeisterin mit 35 Jahren eine neue Ausbildung und kämpfte sich durch ein von Männern dominiertes Arbeitsumfeld. Sie machte sich selbständig - und mindestens einen Finger dauerhaft krumm. Darauf, dass die Kuppe ihres linken Zeigefingers wegen des Kraftaufwands inzwischen schief aussieht, ist Marlies Bek aber stolz: "Das ist schon eine Knochenarbeit, es ist nicht umsonst ein Männerberuf gewesen." Trotzdem näht sie lieber von Hand und passt Sättel mit einem eigens für sie gefertigten Füllstock an.

Doch Bek ist nicht die einzige Handwerkerin im Allgäu, die im Beruf freiwillig auf Entlastung durch moderne Technik verzichtet. Wer in Bad Hindelang im Landkreis Oberallgäu die Werkstatt von Konrad Neßler betritt, fühlt sich ins Mittelalter zurückversetzt: Neßler arbeitet in seiner Schmiede mit einem Steinofen, schweren Holzhämmern und der Wasserkraft eines Triebwerkkanals an der nahe gelegenen Ostrach - ganz ähnlich wie dort schon vor rund 500 Jahren Waffen in großem Stil produziert wurden. Heute stellt Neßler unter anderem Eisenpfannen her.

"Ich war als Kind oft in der Schmiede", sagt der 57-Jährige. "Das hat damals schon Spaß gemacht." Sein Großvater habe sich in den Betrieb eingekauft, sein Vater arbeitete später ebenfalls dort. Seit rund 20 Jahren ist Neßler selbst in der Schmiede aktiv und führt sie als Ein-Mann-Betrieb. "Der Beruf ist schon etwas Besonderes", sagt er. "Von der Zeichnung bis zum fertigen Produkt kann ich alles selbst machen." Und das, obwohl es Schmied als Berufsbezeichnung heute eigentlich nicht mehr gibt. Neßler ist offiziell Metallbauer.

Marlies Bek stopft einen Ledersattel mit Füllmaterial. Die 56-Jährige verzichtet dabei gern auf moderneTechnik. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Bek und Neßler gehören einem Verein an, der solche aussterbenden Berufe erhalten und fördern will. Unter dem Namen "LandHand" haben sich 49 Handwerker im Allgäu zusammengeschlossen. 17 von ihnen sind hauptberuflich tätig, sagt die Vereinsvorsitzende Siglinde Neßler, Konrads Schwester. "Häufig können dabei keine oder nur eingeschränkt Maschinen zum Einsatz kommen", erklärt sie. "Die Arbeitszeiten sind dadurch viel länger, was unsere Produkte hochpreisiger macht." Ein wichtiger Verkaufsweg sind dabei Handwerkermärkte, die derzeit wegen der Coronapandemie aber nicht stattfinden. "Der Internethandel ist recht und gut für Dinge, die immer gleich aussehen", sagt Siglinde Neßler. "Viele unserer Produkte sind aber Unikate, das macht es schwieriger." Wichtig sei auch, dass die Kunden die Arbeit der Handwerker sehen können.

Die Nachfrage sei in den vergangenen Jahren gestiegen, sagt Siglinde Neßler. "Man setzt wieder auf Bewährtes." Ihr Bruder Konrad und Marlies Bek berichten ebenfalls von steigendem Interesse. Die Sattlerin repariert nicht nur Geräte für den Reitsport, sondern auch Taschen, Gürtel oder mal einen Antriebsriemen für ein Sägewerk. "Das macht so sonst keiner mehr", sagt sie. "Auf dem Land muss man vielseitig sein." Das nötige Wissen habe sie sich über die Jahre mühsam zusammengetragen: "In der Ausbildung lernt man nicht alles." Das Sattler-Handwerk hat sich in den vergangenen Jahren vor allem auf drei Bereiche spezialisiert: Reitsport, Fahrzeugausstattung und feine Lederwaren wie Koffer, Taschen und Etuis. Besonders im Reitsport gebe es eine große Nachfrage, sagt Inge Hafner, Geschäftsführerin des Bundesverbands Fahrzeugausstattung und Reitsportausrüstung. Auch beim Nachwuchs sei die Situation noch gut: "Unser Meisterkurs ist bis 2023 ausgebucht."

Doch für traditionelle Handwerker wie Marlies Bek ist es schwer, Nachwuchs für die eigene Werkstatt zu finden. "Mein Sohn wird auf jeden Fall nicht weitermachen", sagt sie. "Und wenn man wirtschaftlich arbeiten will, muss man sich eigentlich spezialisieren." Für sie sei mit der Werkstatt ein Lebenstraum in Erfüllung gegangen. "Aber ich werde nicht reich dabei." Auch für Konrad Neßler ist in der Hammerschmiede kein Nachfolger in Sicht. "Ich kann keine Lehrlinge einstellen, weil die alten Maschinen nicht den heutigen Vorschriften entsprechen", sagt der 57-Jährige. "Wenn jemand das übernehmen will, muss er es von Anfang an eigenverantwortlich tun." Er selbst wolle in der Schmiede so lange weiter Metall bearbeiten, wie es irgendwie geht: "Ich liebe diesen Beruf."

© SZ vom 13.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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