Bahnverkehr:Unter Strom durchs Allgäu

Bahn fährt unter Strom durchs Allgäu

Der Schweizer Hochgeschwindigkeitszug 'Astoro' fährt auf der neu elektrifizierten Strecke in rund vier Stunden von München über Lindau nach Zürich.

(Foto: dpa)

Nur noch vier Stunden dauert die Bahnfahrt von München nach Zürich, am Sonntag fährt nach jahrzehntelanger Planung der erste Zug auf der elektrifizierten Strecke. Doch es gibt auch Kritik an dem Jahrhundertprojekt.

Von Florian Fuchs

So eine Lärmschutzwand ist eine feine Sache, denn das Geräusch einer durchrauschenden Bahn mag nicht jedermann, schon gar nicht beim Sonnenbaden im heimischen Garten. In Lindau aber ist beim Thema Lärmschutz während der Planung für die Elektrifizierung der Strecke von München nach Lindau ein Zielkonflikt entstanden.

Die Lärmschutzwand ist auch für Lindauer Hauseigentümer eine feine Sache, das schon. Der unverstellte Blick aufs Wasser gehört aber auch zum Lebensgefühl am Bodensee. Also haben sie sich etwas einfallen lassen, erzählt der frühere Bürgermeister Gerhard Ecker: "Wir haben der Bahn Wände raus geleiert, die am oberen Ende transparent sind." Jetzt haben die Anwohner ihren Lärmschutz, und durch die Glaswand dürfen sie weiter die Schiffchen auf dem See betrachten.

Man muss auch auf die kleinen Dinge achten bei einem "Jahrhundertprojekt", das eine "Trendwende" darstellen soll: Kleiner geht es nicht, wenn man mit Leuten von der Bahn und aus dem Allgäu über die elektrifizierte Strecke spricht. Am Sonntag um 6.55 Uhr startet der erste Zug, zwölf Fahrten pro Tag gibt es. Die Züge werden von München nach Zürich vier Stunden brauchen und nicht wie vorher 30 Minuten länger. In einem Jahr, wenn noch die Signaltechnik nachgerüstet ist, werden es nur noch dreieinhalb Stunden sein.

"Das ist ein ganz wichtiger Lückenschluss im internationalen Bahnverkehr", sagt DB-Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla. "Der Ausbau ist nach der Eröffnung der Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen München und Berlin für das bayerische Bahnnetz die wichtigste umgesetzte Maßnahme der letzten 20 Jahre", sagt Verkehrsministerin Kerstin Schreyer. Da haben beide recht, trotzdem gibt es leise Kritik. Und die große Befürchtung, dass weitere Elektrifizierungen wieder so lange dauern werden wie bei diesem 500-Millionen-Projekt: Laut ersten Plänen hatte die Strecke bereits 1985 elektrifiziert sein sollen.

160 km/h

fahren die Hochgeschwindigkeitszüge vom Typ "Astoro" auf der neuen Strecke zwischen München und Lindau als Höchsttempo. Auf dem kurvenreichen Gleisverlauf im Allgäu ist das enorm sportlich, die Züge sind vor allem in Kurven spurtstark und holen dort im Vergleich zu den alten Loks Zeit heraus. Auch der Regionalverkehr wird schneller: Die Fahrt zwischen Memmingen und München dauert künftig nur noch rund eine Stunde, zwischen Kißlegg und München sind exakt eine Stunde und 37 Minuten Fahrzeit eingeplant.

Sie hätten ja eigentlich große Feiern geplant gehabt, sagt Bahn-Sprecher Michael-Ernst Schmidt. Die Party fällt Corona-bedingt aus, die Lokführer freuen sich trotzdem. Es sind viele dabei, die bislang die schweren Dieselloks durchs Allgäu gekurvt haben. Jetzt haben sie mit dem Schweizer Zug "Astoro" einen Flitzer unterm Steuerpult, auch wenn sie sich ein bisschen umgewöhnen müssen: Die wichtigen Instrumente sind links und nicht wie in den alten Loks rechts angeordnet. Auf den Übungsfahrten in den vergangenen Monaten ist aber alles glatt gegangen, auch mit der Neigetechnik: Automatisiert mit vier Grad legt sich der Astoro in die Kurven, das bringt Vorteile beim Tempo. Er kann sogar acht Grad, aber da braucht es signaltechnische Absicherungen, weshalb abschnittsweise im nächsten Jahr noch Magnetresponder im Gleis verbaut werden, die teils mit Satelliten kommunizieren: Dann wird auch die Fahrtzeit von dreieinhalb Stunden nach Zürich möglich sein.

Das ist für die Bahn immens wichtig, denn von einer Fahrzeit von vier Stunden an, so lautet die Regel, steigen Fahrgäste vom Flugzeug um, weil sie mit An- und Abfahrt zum Flughafen mindestens gleich schnell sind. Von München nach Berlin zum Beispiel oder von Stuttgart nach Paris hat das gut geklappt. Insofern ist die Fertigstellung des "Schwarzgeld-Expresses", wie sie die Strecke nach Zürich im Allgäu liebevoll nennen, tatsächlich eine Trendwende in Bayern. Der Bund hat weitere Projekte in Auftrag gegeben, in ähnlicher oder zum Teil größerer Dimension: Elektrifizierungen zwischen Hof und Regensburg, von Nürnberg zur tschechischen Grenze oder auch zwischen München, Mühldorf und Freilassing.

Die Elektrifizierung der Bahntrasse sorgt nicht für Kritik - aber für andere Verbindungen hat sie durchaus negative Effekte

Im Allgäu sind sie froh, dass sie ihrem Ruf vom Dieselloch nun ein wenig entkommen, auch wenn genau da die Kritik ansetzt. Kritik, sagt Kaufbeurens Bürgermeister Stefan Bosse, nicht an der Elektrifizierung der Strecke über Memmingen nach Lindau. "Das ist natürlich eine tolle Sache." Sondern eher an den Umständen, die das Projekt für andere Strecken mit sich bringt: 60 Prozent aller Reisenden aus dem südlichen Allgäu, sagt Bosse, müssen künftig in Buchloe umsteigen, weil die stinkenden Dieselloks, mit denen sie von dort kommen, nicht unterm E-Netz nach München weiter fahren sollen. "Das kostet Komfort und dadurch Passagiere."

22 07 2018 Kaufbeuren im Allgäu Bayern Bürgerentscheid zur Moschee die Mehrheit spricht sich ge

Kaufbeurens Bürgermeister Stefan Bosse sieht neben allen Vorteilen auch negative Effekte der elektrifizierten Trasse.

(Foto: Imago)

Bosse ist Vorsitzender des Regionalen Planungsverbands Allgäu; es ist sein Job, sich für weitere Elektrifizierungen einzusetzen. Dass solch ein Vorhaben ein dickes Brett ist, ist ihm klar. Wenigstens aber die Strecke Buchloe - Augsburg soll seiner Ansicht nach unter Strom gesetzt werden. 120 Millionen würde das kosten, hat er errechnet. "Das wäre ein Einstieg in eine Grundelektrifizierung", sagt er.

Bahn-Sprecher Schmidt ist skeptisch, was solche Wünsche betrifft. Die Bahn hinkt in Bayern im bundesdeutschen Vergleich hinterher, was Elektrifizierungen betrifft, das ist nicht zu bestreiten. Das liegt auch daran, dass vor der Wende wenig in grenznahe Gebiete investiert wurde. Schmidt aber rechnet anders: Die Hauptstrecken seien vielfach elektrifiziert, da also, wo die meisten Passagiere fahren. "90 Prozent der Fahrgäste fahren bereits elektrisch", sagt er. Im Dieselloch Allgäu verweist er für die Zukunft eher auf Hybridtechniken, also auf Züge, die Teilstrecken mit Batterien bewältigen. Oder auf Wasserstoffzüge. Da ist allerdings Bosse wiederum skeptisch: Im Allgäu ist es hügelig, da reicht entweder die Batterie nicht oder der Antrieb vom Wasserstoffzug ist zu schwach.

Die Bahn wird auf der Strecke zwischen München und Lindau planmäßig ohnehin nicht fahren, den Regionalverkehr übernimmt von Ende 2021 an der Konkurrent Go-Ahead. Dann sind auch in Lindau selbst weitere Baumaßnahmen für Regionalzüge abgeschlossen, auf dem Festland hat die Bahn nach zwei Bürgerentscheiden extra einen neuen Fernverkehrsbahnhof hingestellt, der nun ebenfalls in Betrieb geht. Die schnellen Züge kommen so schneller durchs Grenzgebiet, weil sie nicht mehr auf die Insel fahren müssen.

Der historische Bahnhof dort wird teilweise rückgebaut, wodurch die Insel Lindau ein völlig neues Gesicht bekommen wird: Sie haben nun am Wasser Platz, um ein ganz neues Viertel entstehen zu lassen. Und der Fernbahnhof "Reutin" ermöglicht weitere Planungen für eine Bodensee-S-Bahn, die sich die Anwohner am See schon lange erhoffen. In Baden-Württemberg baut die Bahn die Südbahn am Bodensee entlang von Lindau Richtung Friedrichshafen und dann nach Ulm zurzeit ebenfalls aus.

In Bayern hat die Bahn 155 Kilometer Strecke zwischen München und dem Bodensee elektrifiziert, alle Vorarbeiten eingerechnet hat das Vorhaben sogar 850 Millionen Euro gekostet. Zahlreiche Bahnübergänge wurden erneuert, viele Brücken instand gesetzt oder neu gebaut, darunter ein 116 Meter langes Bauwerk in Wangen, das wohl größte Brückenbauwerk im Allgäu. Dafür, dass die ersten Planungen für die Elektrifizierung von 1975 überliefert sind, ging es am Ende ziemlich schnell: Die reine Bauzeit betrug nur zweieinhalb Jahre.

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