Süddeutsche Zeitung

Investition in der Provinz:Wie Amazon einen Ort spaltet

Das Unternehmen will in Allersberg ein Logistikzentrum errichten. Noch ist die Entscheidung nicht gefallen, trotzdem gibt es Streit in der Gemeinde: Die einen hoffen auf Geld für Kitas und Schwimmbad, die anderen warnen vor dem Ausverkauf.

Von Uwe Ritzer, Allersberg

Zwei Stunden lang ging es giftig hin und her, von vorweihnachtlichem Frieden keine Spur. Einigermaßen entsetzt beschrieb ein Lokalreporter "gegenseitige Vorwürfe, Schuldzuweisungen und Gehässigkeiten" im Gemeinderat von Allersberg kurz vor Heiligabend 2019. 8400 Menschen leben in dem Ort bei Nürnberg nahe der A 9 Richtung München. Seit Monaten allerdings ist er gespalten und es ist fraglich, ob ein für den 17. Mai angesetzter Bürgerentscheid die Gräben zuschütten kann. In der fränkischen Gemeinde bündeln sich Konflikte, wie sie vielerorts die Menschen umtreiben, wenn sie nicht gerade ein Virus in Schockstarre versetzt hat.

Vordergründig wird in Allersberg über ein neues Gewerbe- und Industriegebiet gestritten, auf dem der Versandriese Amazon ein Sortierzentrum bauen will. Streng genommen geht es aber um Grundsätzliches. Die Balance zwischen Wachstum, Wohlstand und Ökologie, aber auch das wachsende Misstrauen gegenüber Großprojekten, Konzernen und asiatischen Investoren. Und, ja, es geht auch um die Angst vor dem Ausverkauf von Heimat.

"Wo fange ich am besten an?", überlegt Bürgermeister Daniel Horndasch einen Moment lang am Telefon. Besucher würde er, statt zu Erklärungen auszuholen, in das marode Freibad führen, ihnen die Schule, den Kindergarten, ein Stadtpalais und einiges mehr zeigen, das dringend hergerichtet werden muss. "Unser Sanierungsstau ist riesig", sagt er. Doch Allersberg habe kein Geld. Die Kommune ist hoch verschuldet. Schon zweimal hat das Landratsamt Roth als Rechtsaufsichtsbehörde der Gemeinde den Haushaltsnotstand attestiert. Also forciert Bürgermeister Horndasch seit seiner Wahl 2017 mit der Mehrheit im Gemeinderat den Plan, einen hauptsächlich auf Logistik ausgelegten Industriepark auf den Weg zu bringen. Und zwar gleich an der Autobahnausfahrt, neben der ICE-Strecke Nürnberg-München und unweit vom Bahnhof. In dieser verkehrsgünstigen Lage stehen die Chancen gut, Firmen anzulocken und ihnen die insgesamt 33 Hektar teuer zu verkaufen. "Wo soll das Geld denn sonst herkommen, wenn nicht über mehr Gewerbe, damit verbundene Steuereinnahmen und die Erlöse aus dem Verkauf der Flächen?", sagt Horndasch.

Also kratzte die klamme Gemeinde sieben Millionen Euro zusammen, um das Grünland zu kaufen. Die größere von zwei Teilflächen umfasst 19 Hektar und schnell machte die Runde, wer darauf spekuliert und auf wen die Planungen mutmaßlich von Anfang an ausgerichtet waren: Amazon. Der Versandriese will in Allersberg ein neues Sortierzentrum errichten. Niemand, nicht der Freie-Wähler-Bürgermeister, nicht Amazon und auch nicht die Firma P3 Logistic Parks, die als Entwicklerin des Industrieparks auftritt, will dies offiziell bestätigen. Die Geheimniskrämerei trägt nicht gerade zur allgemeinen Beruhigung bei, zumal der Gemeinde eine entlarvende Panne unterlief. Auf Planungsunterlagen, die sie im Internet veröffentlichte, tauchte der Name "Amazon" auf. Hinzu kommt, dass P3 Logistic Parks ein Spezialentwickler für Logistikimmobilien ist, der oft mit Amazon zusammenarbeitet. Kritiker in Allersberg begegnen aber auch P3 Logistic Parks selbst mit Misstrauen, weil das Unternehmen eine hundertprozentige Tochter von GIC ist, der Government of Singapore Investment Corporation, dem Staatsfonds von Singapur.

Asiaten also auf Einkaufstour in der fränkischen Provinz für einen US-Onlineriesen? "Mit P3 begeben wir uns in die Hände ausländischer und speziell asiatischer Investoren", sagt Gerd Decker, Sprecher der Bürgerinitiative, in der sich die Gegner des Projektes zusammengeschlossen haben. Zeige aber nicht gerade die Corona-Krise, dass die Abhängigkeit vom Ausland und von Asien reduziert werden müsse? "Wir sollten lieber einheimische Firmen unterstützen", sagt Decker.

"Bei dem Argument fällt es mir schwer, ruhig zu bleiben, denn es erinnert mich an schlimme Zeiten", sagt Sönke Kewitz, Deutschland-Chef von P3 Logistic Parks. "In der heutigen Zeit sind Unternehmen nun mal weltweit verflochten", sagt er. "Wir sind ein völlig autarkes, europäisches Unternehmen mit Sitz in Prag." Und ganz abgesehen davon hätten "viele Leute eine falsche Vorstellung, wenn sie an Logistik denken, nämlich Dreck, Lärm und nur große 40-Tonner." Tatsächlich halten es Skeptiker wie der örtliche Unternehmer Gerd Vieregge für "absolut falsch, Allersberg zu einem verkehrsintensiven Logistikstandort zu machen. Das geben unsere Verkehrsknotenpunkte nicht her, das bringt nur Belastungen für die Gemeinde und die bestehende Infrastruktur." P3-Manager Kewitz versichert derweil, sein Unternehmen wolle "nichts Böses tun, wir wollen hingehen, bleiben und gemocht werden."

Knapp eine Million Euro habe man bereits in die Planung investiert, auf eigenes Risiko. "Es ist noch nichts unterschrieben, es gibt weder einen Vorvertrag, noch wurde uns Exklusivität zugesichert", sagt Kewitz. Auch Bürgermeister Horndasch versichert, die Gemeinde sei frei in ihrer Entscheidung. "Am Ende entscheiden wir seriös auf Basis der Fakten. Es ist noch nichts verkauft oder vergeben." Erst nach dem Bürgerentscheid könne man "entscheiden, wer die Flächen bekommt und sich dort ansiedelt". Gerd Decker von der Bürgerinitiative aber vermutet: "Die Sache ist in Wirklichkeit weit gediehen. Deswegen wird auch so auf's Tempo gedrückt."

Über all dies wird seit Monaten wenig zimperlich gestritten, auf Bürgerversammlungen, in sozialen Netzwerken, in Statements und Leserbriefen im Hilpoltsteiner Kurier. Decker und seine Mitstreiter sammelten 1100 Unterschriften gegen die Pläne, eine zweite Bürgerinitiative 1300 dafür. Die Unterstützer argumentieren, auf einen Schlag wäre Allersberg seine finanziellen Sorgen los. Die Gegner warnen vor Gier auf schnelles Geld, das auch schnell verbraucht sei. Außerdem sei der Ruf von Amazon als Arbeitgeber und Steuerzahler überschaubar. Naturschützer warnen vor ökologischen Folgen. Ihnen hält Bürgermeister Horndasch wiederum entgegen: "Wer dort lieber ein Biotop möchte, muss auch der Bevölkerung erklären, warum wir das Freibad zusperren oder den Hort nicht renovieren können."

Doch auch Herbert Eckstein, Landrat des Kreises Roth, warnt "vor einer absolut falschen Entwicklung". Nichts gegen ein Gewerbegebiet an der Autobahnauffahrt, "aber man sollte auf eine organische und langsame Entwicklung mit kleinen und mittelständischen Firmen setzen und nicht nur auf einen großen Logistiker, der mit einem Schlag den Großteil der Fläche voll macht." In Zeiten von Klimawandel und Bodenfraß "geht man mit Flächen anders um", mahnt der SPD-Landrat.

Die regionale Wirtschaft scheint gespalten. Viele Unternehmer unterstützen die Pläne der Gemeinde. Anderen geht es wie Karl Scheuerlein, Wirtschaftsförderer und als solcher Chef der Rother Unternehmerfabrik. "Die Art und Weise wie hier Fakten geschaffen werden, beunruhigt uns seit Beginn des Projektes. Wichtig ist, die beste, langfristige Lösung zu finden und nicht kurzfristig Kasse zu machen", sagt er. Die Entscheidung darüber fällen übernächsten Sonntag die Allersberger Bürger. Ihre Abstimmung wird unabhängig vom Ergebnis ein Novum sein. Sie votieren ausschließlich per Briefwahl.

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Quelle:
SZ vom 05.05.2020
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