Ausstellung in Ingolstadt:Ein Künstler, der lebenslang provoziert

hermann Nitsch
Gesamtkunstwerk

Rekonstruktion von Nitschs 20. Malaktion in Ingolstadt

(Foto: Daniel McLaughlin, VG Bildkunst 2019)

Der Aktionskünstler Hermann Nitsch weiß mit seinen Werken zu schockieren. Tote Tiere sind in seiner neuen Ausstellung ausnahmsweise nicht zu sehen - um Provokation geht es dem Wiener aber trotzdem.

Von Sabine Reithmaier

Kunstberserker, Körperquäler, barbarischer Blutaktionist - Etiketten gibt es viele für Hermann Nitsch. Irgendwie wollen sie alle nicht so recht zu dem freundlichen, alten Mann passen, der schwer auf seinem Stuhl lastet und die letzten Aufbauarbeiten im Ingolstädter Lechner-Museum beobachtet. Er ist zufrieden mit dem, was er sieht. "Gefällt mir sehr gut", sagt er und nimmt einen Schluck Wasser. Das Erdgeschoß der ehemaligen Fabrikhalle eignet sich ausgezeichnet für die Rekonstruktion seiner berühmten 20. Malaktion, die 1987 in der Wiener Secession stattfand. Riesige Schüttbilder füllen umlaufend drei Wände und den Boden, nur die Glasfassade ist ausgespart.

Triefendes Rot, wohin man blickt, auch auf den teils in die Bilder collagierten, teils in Kreuzrahmen gespannten Malhemden, die Nitsch während der Aktionen trug. Dazu Altäre und Monstranzen - Relikte, die die Nähe zum liturgischen Kult unterstreichen. Eine imposante Installation, allein schon der berauschenden Farbe wegen. Und ein einfacher Einstieg in den Nitsch-Kosmos. Denn es fehlt alles, was schwer auszuhalten sein könnte: tote Tiere, nackte Menschen, Schreichor, Blutgeruch.

Dafür hat die 20. Aktion den Vorteil, dass sie fast vollständig rekonstruierbar ist, es fehlen nur zwei oder drei Bilder. Eine Seltenheit bei Nitsch, der seine aufwendigen Projekte aus dem Verkauf der Bilder nach Aktionsende finanziert. "Das zeigt, wie wichtig sie ihm war", sagt Kurator Michael Karrer, zugleich künstlerischer Leiter des Nitsch-Museums im österreichischen Mistelbach.

Nitsch zu Ehren hat Daniel McLaughlin, Geschäftsführer der Alf-Lechner-Stiftung, sämtliche Werke seines Vaters aus dem Museum geräumt. Zwar gab es nie eine persönliche Beziehung zwischen den beiden Künstlern, aber Nitsch sei seinen künstlerischen Weg genauso unbeirrt gegangen wie sein Vater, sagt McLaughlin. Abgesehen von dieser vermuteten Gemeinsamkeit verfolgt er mit der Ausstellung sein Konzept weiter, den Stahlbildhauer Lechner in anderen Kontexten zu verorten und wichtige Positionen der Kunst nach 1945 zu zeigen. Und da passt Nitsch, der mit seinen Aktionen Kunstgeschichte geschrieben hat, zweifellos gut in den Plan.

Natürlich habe er die Werke Lechners gekannt, sagt Nitsch. Schließlich lebte er von 1968 an fast zehn Jahre in und um München. Eine gute Zeit, "nur der Wein hat mir gefehlt". In seiner Heimat war Nitsch damals nicht so gern gesehen. Mehrmals saß der Protagonist der Wiener Aktionisten wegen seiner Tabuverletzungen im Gefängnis, genauso wie seine Künstlerkollegen Günter Brus, Otto Muehl und Rudolf Schwarzkogler. Für die österreichische Gesellschaft der Sechzigerjahre, noch konservativer als die bundesrepublikanische, waren ihre Schlachtfeste und Orgien dann doch zu drastisch.

Die Zeiten haben sich geändert. Inzwischen hat der österreichische Staatspreisträger 155 Aktionen hinter sich, ist in der Hochkultur und auf dem Kunstmarkt angekommen, auch wenn sich immer wieder Menschen, vor allem Tierschützer, über ihn aufregen, und, wie 2015 in Mexiko City, Ausstellungen sogar abgesagt werden. Die Empörung könne er gar nicht verstehen, sagt Nitsch und hebt kurz den Kopf. "Wer sich in meine Aktionen hineinversetzt, der merkt, dass da für die Schöpfung, für das Tier gekämpft wird, nicht dagegen."

"Das Ausweiden eines Tieres ist für mich auch ein Malakt, ein wunderschöner Vorgang."

Überhaupt seien die Tiere, die er verwende, nach allen Regeln der Metzgerzunft geschlachtet. Nitsch seufzt und beginnt die Tiere aufzuzählen, mit denen er auf Schloss Prinzendorf lebt: Eine Ziege, fünf Katzen, 30 Pfauen, Hühner in Unmengen, zwei Hunde. "Wir lieben Tiere." Was er nicht mag, sind große "Tierfabriken", deren Massentierhaltung und das Internet, speziell die sozialen Netzwerke. Verständlich, es erleichtert den Feinden seiner Kunst, Hass und Ablehnung über ihn auszuschütten. "Ist oft so ein Wirbel", sagt Nitsch, zögert kurz und ergänzt dann verschmitzt: "Leider Gottes nützen sie mir fast, weil sie so viel Propaganda machen."

Im Obergeschoss präsentiert sich sein "Gesamtkunstwerk" mit Zeichnungen, philosophischen Texten, Partituren, Bildern - ebenfalls Relikte früherer Aktionen. Das komplexe, theoretisch unterfütterte Konzept hat Nitsch schon von 1957 an entwickelt; 1973 taufte er es auf den Namen "Orgien Mysterien Theater". "Jetzt dreht er in den Teilbereichen nur mehr an den Schrauben", sagt Karrer.

Hermann Nitsch, Portrit

"Ich wusste immer, dass das, was ich mache, wichtig und notwendig ist": der Pionier der Performancekunst, Hermann Nitsch.

(Foto: Werner Huthmacher)

Dem Zufall überlässt der Zeremonienmeister in seinen Inszenierungen nichts - das macht der Rundgang klar. In seinen Texten setzt er sich mit griechischer Mythologie genauso wie mit christlicher Theologie auseinander, mit Psychoanalyse ebenso wie mit Existenzialismus. Beeindruckend die architektonischen Zeichnungen für sein unterirdisches Theater: Lauter Katakomben und Zellen, untereinander im Erdreich gestapelt. Eine große Wand füllen die Partituren, darunter die 9. Sinfonie, "Die Ägyptische". Unter der riesigen Farbskala, mit der er Töne wiedergibt, stehen zwei Sessel, eine Einladung, um Nitschs Musik zu hören. Unweit davon ist eine Geruchs- und Geschmacksapotheke aufgebaut. Alle Sinne anzusprechen, wie Nitsch es eigentlich fordert, gelingt in der musealen Präsentation aber nicht.

Allein der Prozess zähle, sagt Nitsch, nach seinen Malaktionen befragt. "Zuerst erregt sich der Maler durch die Substanz der Farbe. Der nächste Schritt ist das Verlassen des Bildes, das Hinausgehen in die Welt." Da braucht es dann statt Farbe Blut. Und vielleicht ein paar Innereien. "Das Ausweiden eines Tieres ist für mich auch ein Malakt, ein wunderschöner Vorgang." Hauptsache, es passiere unterbewusst, intensiv und unmittelbar, das Resultat ist zweitrangig. "Die Zufallsprodukte sind ihm wichtiger als etwas Abbildartiges oder etwas Komponiertes", bestätigt Karrer und berichtet, dass der Meister immer noch unentwegt arbeitet.

Woher nimmt er die Kraft? "Ist nicht mehr so viel da", sagt Nitsch lakonisch. "Was sollte ich sonst tun? Fußballspielen oder Skifahren?" Seit geraumer Zeit - Karrer sagt seit fünf Jahren, Nitsch sagt seit jeher und vermutlich haben beide irgendwo recht - arbeitet er am zweiten Sechs-Tage-Spiel, einer sechs Tage und Nächte andauernden Aktion, die erstmals 1998 in Schloss Prinzendorf stattfand. Wieder spannt er den ganz großen Rahmen mit Tod, Leid, Wollust, Freude, Schmerz. "Leben ist Passion und Kunst ist verdichtete Passion", sagt der Meister und hustet angestrengt. Eigentlich war das Spiel schon zu seinem 80. Geburtstag im Vorjahr geplant, jetzt soll es 2021 stattfinden. Die Finanzierung ist nicht einfach, Nitsch muss das Geld für die Inszenierung und die wochenlangen Proben mit bis zu 400 Leuten allein aufbringen.

Lebenslang provozieren und Anfeindungen durchstehen - hatte er nie das Gefühl, es reicht? Was für eine Frage - Nitsch reagiert mit heftigem Kopfschütteln. "Ich wusste doch immer, dass das, was ich mache, wichtig und notwendig ist."

Hermann Nitsch: Das Gesamtkunstwerk, 16.3. (17 Uhr) bis 23.6., Alf-Lechner-Museum, Ingolstadt

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