Alexander Thal vom Flüchtlingsrat:"Es ist beschämend, wie unser Staat mit Menschen umgeht"

Alexander Thal vom Flüchtlingsrat: Verlässt Bayern: Alexander Thal vom Flüchtlingsrat.

Verlässt Bayern: Alexander Thal vom Flüchtlingsrat.

(Foto: Stephan Rumpf)

Er stehe nicht auf Schmusekurs, sagt Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat. Um die Lebensbedingungen von Asylbewerbern zu verbessern, sucht er bei den Parteien Mitstreiter - auch bei der CSU.

Von Bernd Kastner

Es war längst dunkel, und die Straßenmusiker, die Stunden zuvor noch so was wie Wärme verbreitet hatten an diesem kalten Sommerabend, waren verschwunden. Alexander Thal stand an der unteren Ecke des Rindermarktes, und eine Laterne ließ die Tränen in seinen Augen schimmern. Er war am Ende, mit der Kraft, mit den Nerven. Er schüttelte den Kopf, immer wieder, und zog an seiner Selbstgedrehten.

Den ganzen Tag über hatte er hinter den Kulissen versucht zu vermitteln zwischen den Flüchtlingen im Camp, den Behörden und der Politik. Es ging um 49 Menschen, die seit einer Woche im Hungerstreik waren, es ging darum, den Protest ohne Polizei und ohne Tote zu Ende zu bringen und den Menschen unter den Plastikplanen eine Perspektive zu eröffnen. Aber jetzt waren die letzten Gespräche gescheitert. Der Mann mit den glasigen Augen befürchtete das Schlimmste in dieser Nacht.

Rückblickend, und mit ein wenig Mut zur Phantasie, darf man sagen, dass ein Detail jenes dramatischen Wochenendes Ende Juni 2013 eine Perspektive eröffnet hat, eine ganz neue. Denn seither sagen sie "du": Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat und Martin Neumeyer von der CSU.

Sie sind zu Partnern geworden, sie haben gemeinsam für ein gutes Ende des lebensgefährlichen Protestes gekämpft und sind sich dabei nahe gekommen. Der Alex und der Martin. Der Integrationsbeauftragte einer Staatsregierung, die seit Jahren wegen ihrer Asyl- und Ausländerpolitik in der Kritik steht; und einer der engagiertesten Flüchtlingslobbyisten, der keine Gelegenheit ausließ, eben diese CSU zu geißeln.

"Ich stehe nicht auf Schmusekurs"

Wer Thal kennt, weiß, dass diese neue Partnerschaft nicht falsch zu verstehen ist. "Ich stehe nicht auf Schmusekurs." Er sitzt in einem Café im Bahnhofsviertel, wo er nicht nur beruflich zu Hause ist, sondern auch emotional, weil hier noch alles so bunt ist, weder schicki, noch micki. Thal hält seine Finger in Bewegung, mal zupft er an seinem Bart, mal dreht er eine Zigarette.

Es ist, als suche sich die Anspannung der vergangenen Monate ein Ventil. "Im Flüchtlingsrat bin ich eher der Diplomat." Das ist natürlich relativ, denn der Flüchtlingsrat steht weit links, zumindest für Münchner Verhältnisse. Auch der Diplomat Thal sagt, was Sache ist, "anders dringt man nicht durch". Und doch ist mit ihm gut Kirschen essen, die schmecken sogar Neumeyer, dem Schwarzen.

"Vertrauensvoll" nennt denn auch Neumeyer seine Zusammenarbeit mit Thal. Sie pflegten einen sehr offenen Umgang miteinander, sagt der CSU-Mann, was übersetzt heißt: Sie zoffen sich bisweilen mordsmäßig. Beiden aber darf man abnehmen, dass sie es gut meinen. Für CSU-Verhältnisse ist Neumeyer kein Hardliner, er tut sich ja mit einem Linken wie Thal zusammen. "Er hat mich noch nicht enttäuscht", sagt der Martin über den Alex.

Lässig, bissig, bunt

Thal ist 39 und wirkt vermutlich auch in 20 Jahren noch wie ein Student. Er kann lässig, er kann bissig, er kleidet sich gern bunt. Trägt zum Beispiel ein grünes T-Shirt unter einer blauen Trainingsjacke zur dunklen Bundfaltenhose. So würden in dem Dorf in der Nähe von Stuttgart, in dem er aufgewachsen ist, nicht viele rumlaufen.

Er war selbst Außenseiter in seiner Jugend, und als er der Enge seines Dorfes entfliehen wollte, verschlug es ihn zum Zivildienst nach Starnberg. Weil er am liebsten bei denen ist, die am Rande der Gesellschaft leben, kümmerte er sich dort um behinderte Kinder, später ging er nach München, um Sozialpädagogik zu studieren. Dort hat er zum ersten Mal ein "Lager" gesehen, es muss 1999 gewesen sein. Alexander Thal war schockiert.

Seither kämpft er gegen diese Lager, wie er und die Seinen im Flüchtlingsrat jene Häuser nennen, zu denen Behörden euphemistisch "Gemeinschaftsunterkunft" sagen. Thal will nicht akzeptieren, dass der Staat Menschen, die hier Zuflucht suchen, in Massenunterkünften mit Essenspaketen abspeist, sie lange Monate nicht arbeiten lässt, und sie aus dem ihnen zugewiesenen Bezirk nicht rauslässt. Residenzpflicht. Noch so ein Behördenwort, über das Thal nur bitter lachen kann. Bayernkaserne. Was erinnert dort schon an eine Residenz?

"Hier werden Menschen psychisch fertig gemacht", sagt Thal und erzählt von einem Flüchtling im Norden Bayerns, der viele, viele Jahren in einem "Lager" leben musste, immer in Unsicherheit, immer in Angst vor der Abschiebung. Jetzt erst sei klar, dass der Mann bleiben dürfe. Krank sei er geworden in der Unterkunft, "ein psychisches Wrack". Und weil man ihn in seiner Heimat nicht behandeln könne, dürfe er jetzt bleiben, als kranker Mann. "Es ist beschämend, wie unser Staat mit Menschen umgeht."

Jetzt, da in Germering die Asylunterkunft gebrannt hat, verlangt er von diesem Staat und seinen Behörden, dass sie die Hintergründe ermitteln. Noch ist nichts klar, aber Thal hat eine Vermutung: "Angesichts der Zunahme von fremdenfeindlich motivierten Übergriffen gegen Asylbewerber und Flüchtlingslager in den vergangenen beiden Jahren liegt es nahe, dass organisierte Neonazis und Rassisten hinter diesem neuerlichen Anschlag stecken."

Protest der Machtlosen

Mit seiner diplomatischen Radikalität hat Thal viel zu tun in dieser Zeit. Er ist nicht nur für die Politik ein gefragter Gesprächspartner, beim Zappen entdeckt man ihn gar in einer österreichischen Talkshow. Denn seit dem Hungerstreik auf dem Rindermarkt hört es nicht mehr auf mit dem Protest der Machtlosen: Sie marschieren durch ganz Bayern, besetzen das Gewerkschaftshaus, campieren vor dem Brandenburger Tor und vor dem bayerischen Sozialministerium.

Jede Aktion ist ein Hilferuf, und Thal versucht, ihn so zu übersetzen, dass auch die Mächtigen verstehen. Jedoch, er ist nicht eingebunden in die Planung der "Non Citizens", wie sich diese besonders energische und selbständige Gruppe unter den Flüchtlingen nennt, sonst hätte er ihnen vielleicht einmal gesagt, dass sie mit dieser oder jener Aktion nicht weiterkommen.

"Das ist dumpfer Populismus"

Manchmal ist Thal auch Verstärker für jene, die ganz leise sind. Die einfach nur durchkommen wollen und auf ein besseres Leben hoffen. Mit Armutsmigranten hat Thal zu tun, weil er neben seiner Arbeit im Flüchtlingsrat noch eine halbe Stelle bei der Caritas hat: Sozialberatung, Landwehrstraße. Natürlich ist er auch für arme Deutsche da, aber weil in diesem Viertel viele Migranten leben, weil dort die Taglöhner jeden Morgen warten, gehören auch Bulgaren und Rumänen zu seinen Klienten.

Ganz unten sieht er sie sitzen, sobald er das Büro verlässt, Menschen, die ihre Hände aufhalten und nach oben schauen müssen. Wo aber ist die Flut, fragt er. Jene Flut, die nun die CSU an die Wand malt. "Das hat mit der Realität gar nichts zu tun, das ist dumpfer Populismus."

Wer zu ihm kommt, den berät Thal. Dem zeigt er den Weg in die Kleiderkammer oder zur Tafel, beides leitet er. Immer wieder hilft er umzugehen mit Behördenschreiben, auf denen was vom "Bayerischen Straßen- und Wegegesetz" steht, gegen das der Klient verstoßen habe. Dann schreibt Thal Briefe an die Ämter, um Bußgelder vom Tisch zu bekommen.

Er lacht über ein Land, dessen Beamte einer Romni, die beim Betteln in der Sonnenstraße erwischt wurde, schreiben: "Durch diese Handlungsweise wurde die Gebrauchsmöglichkeit des in diesem Bereich stark frequentierten Bürgersteigs in erheblicher Weise eingeschränkt." Macht 123,50 Euro, einzutreiben bei einer Frau, die nichts hat, die sich in München ihre Unterkunft mit Ungeziefer teilen muss und ihre Miete an einen zahlt, der gut von den so gefürchteten Armutsmigranten lebt. Wenn in den Medien von der "Bettelmafia" die Rede ist, "dann packt mich der heilige Zorn".

Reisen und kämpfen

Und jetzt geht Thal. Er verlässt München, und das ganz freiwillig. Alexander Thal zieht im Frühjahr nach Nürnberg, um dort künftig Vollzeit für den Bayerischen Flüchtlingsrat zu arbeiten. Dann wird einer weniger die Finger in die Wunden Münchens legen. Für die Flüchtlingsarbeit aber ist es, strategisch betrachtet, ein Gewinn, denn Thal wird für das Projekt "Bleib in Bayern" arbeiten. In Berufsschulen sollen vermehrt Klassen für junge Flüchtlinge eingerichtet werden, damit sie den Weg in eine Ausbildung finden. Es geht um ihre Perspektiven in Bayern, Europäische Union und Bundessozialministerium fördern es.

Thal wird also verstärkt als Diplomat durch die Lande reisen, wird nebenher seinen alten Kampf weiter kämpfen. Gegen die "Lagerpflicht" zum Beispiel. Und er wird, man ahnt es, auch immer wieder scheitern als Vermittler. Wie an jenem kalten Sommerabend auf dem Rindermarkt, als auch Martin Neumeyer nichts ausrichten konnte. Die Polizei ist am nächsten Morgen gekommen und musste bei manchen fest zupacken. Ein Trost ist für Thal, dass alle überlebt haben.

Es hat geknirscht, aber sie haben geredet

Und kaum waren die Schlafsäcke und Planen weggeräumt, haben sie angefangen sich zu bewegen in der CSU. Sie haben aus einem Gesetz den Satz gestrichen, in dem sich das Ziel der Abschreckung manifestierte. Neumeyer ist gekommen und hat mit Flüchtlingen diskutiert. Es hat geknirscht, aber immerhin haben sie miteinander geredet, und der CSU-Mann hat zu verstehen gegeben, dass auch er kein Freund der Essenspakete ist. Es dauerte nicht lang, dann war eine neue Sozialministerin im Amt, und die hat gleich erkennen lassen, dass für sie Asylpolitik nicht gegen die Flüchtlinge gerichtet sein muss. Sie hat das Ende der Essenspakete angekündigt.

Alexander Thal ist raus gegangen auf die Landwehrstraße, im Café nutzt die Selbstgedrehte ja nichts. Als Teil der außerparlamentarischen Opposition in Bayern verstehe er sich, sagt er. Und dass Neumeyer halt leider in der falschen Partei sei. Thal dreht wieder, zündet sich die nächste an. "Es gibt aber in jeder Partei Leute, mit denen man reden kann."

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