Populismus:Prosit aus dem Totenschädel

Populismus: Der Totenkopf-Krug von Albert Gäch ist nach seinem Tod 1926 noch eine Weile im Wirtshaus geblieben. Sein Sohn trank daraus. Nun geht er ins neue Museum.

Der Totenkopf-Krug von Albert Gäch ist nach seinem Tod 1926 noch eine Weile im Wirtshaus geblieben. Sein Sohn trank daraus. Nun geht er ins neue Museum.

(Foto: Haus der bayerischen Geschichte)

Im 19. Jahrhundert provozierte der Bayerische Bauernbund mit radikalen Ideen und populistischem Auftreten. Der Innenminister hatte gar den Eindruck, "als sei der Geisteszustand des einen oder anderen kein vollständig normaler".

Von Stefanie Huschle

Schwarzach in Niederbayern, 1893. Zwei Männer sitzen bei schummrigem Licht im Gasthaus Wittmann und schmieden politische Pläne. Der eine trägt einen buschigen Schnurrbart, der andere hat eine Halbglatze und einen Bierkrug vor sich stehen, der die Blicke der anderen Gäste auf sich zieht: Das matte Biskuitporzellan hat die Form eines Totenkopfs, ist beige, braun, grau bemalt - knochenfarben. Das Gebiss grinst, als wolle es gleich flüstern: Mit meinem Besitzer solltest du dich lieber nicht anlegen!

Zeitsprung, 2018: "Hier war früher das Gasthaus Wittmann", sagt Rupert Venus und zeigt auf ein großes Geschäft, in dem Harley-Davidson-Motorräder verkauft werden. "Das Gasthaus hat einmal meinem Urgroßvater gehört", sagt er. Ein paar Bierkrüge, die vor mehr als hundert Jahren im Gasthaus standen, stehen jetzt bei dem pensionierten Lehrer im Wohnzimmer. "Früher hatten alle Stammgäste in einem Lokal ihren Krug", sagt Venus. Manchmal waren die Krüge aufwendig gestaltet. Aber nur der von Albert Gäch hatte die Form eines Totenkopfs.

Populismus: Albert Gäch.

Albert Gäch.

(Foto: Haus der bayerischen Geschichte)

Albert Gäch und Franz Wieland, der Mann mit dem Schnurrbart, waren Freunde und Gründungsmitglieder des 1893 gegründeten Niederbayerischen Bauernbunds, der sich 1895 mit anderen Organisationen zum Bayerischen Bauernbund zusammenschloss. Dieser kämpfte nicht nur mit protektionistischen Forderungen für den Schutz der heimischen Landwirtschaft, sondern auch für damals radikal anmutende Ideen wie die Trennung von Kirche und Staat. Er forderte eine stärkere Besteuerung des Großkapitals und eine Entlastung des Kleingewerbes. Obwohl der Bauernbund im ländlich-katholischen Milieu verwurzelt war, richtete sich sein Programm gegen den Klerus. Besonders Gäch und Wieland waren für ihre antiklerikale Haltung berüchtigt. Doch nicht nur die Kirche, auch die Bürokratie, die Staatsmänner, der Adel - kurz: alle "die da oben" - wurden kritisch vom Bauernbund beäugt.

"Hochgradig leidenschaftliche und aufreizende Sprache"

Die Partei polarisierte - so sehr, dass der damalige Innenminister Maximilian von Feilitzsch ein Gutachten für den Prinzregenten verfasste, in dem er deren führenden Köpfe charakterisierte. Er schrieb, die Bauernbündler würden sich einer "hochgradig leidenschaftlichen und aufreizenden Sprache" bedienen und "nicht nur einzelne Personen, sondern auch ganze Stände" beschimpfen. Manchmal errege ihr Auftreten den Verdacht, "als sei der Geisteszustand des einen oder anderen kein vollständig normaler." Heutzutage würde Feilitzsch wohl von Populismus sprechen.

Als der Bayerische Bauernbund noch am Anfang stand, war Franz Wieland Vorsitzender der Partei, von 1896 bis 1900. Wieland war ein streitbarer Politiker, sogar ein knapp 300 Seiten umfassendes Buch wurde über ihn geschrieben. Titel: Der Bauernrebell, veröffentlicht 2010. Wieland war ein großartiger Redner, das Gesicht der Partei. Etwas weniger sichtbar, doch nicht weniger wichtig, war sein enger Freund Albert Gäch, geboren 1852, ein Arzt mit Praxis in Schwarzach. Gäch liebte es, zu provozieren - sein Totenkopfkrug war dafür das exemplarischste Beispiel. Wegen Beleidigung musste er einmal für 30 Tage ins Gefängnis.

Gäch war nicht nur Wielands Vertrauter, er war sein Spin-Doctor, wie man heute sagen würde. Mit Wielands Worten aus dem 19. Jahrhundert war Gäch "eine große politische Nothwendigkeit", da er "für uns vorzüglich in der Presse thätig ist, und wenn wir diese nicht haben, sind wir verloren von A bis Z".

"Manche bestellen sich heute noch eine Doktorhoibe"

Wieland und Gäch waren in der Partei bekannt für ihre radikal linken Positionen, genannt die "Wieland-Gäch'sche Richtung". Die Augsburger Abendzeitung kündigte die beiden 1895 in einem Artikel als Castor und Pollux an, so sehr waren sie politisch verbunden. Wieland erntete für seine Verbundenheit zu Gäch durchaus Kritik. Ein Bauernbündler warf ihm vor, dass er sich zu sehr von Gäch beeinflussen lasse, besonders was seinen Antiklerikalismus betreffe. Die Donau-Zeitung bezeichnete Gäch 1901 als Wielands "bösen Geist", der ihn beeinflusst habe, die gemäßigte Richtung im Bauernbund zu bekämpfen.

Gäch war Wielands intellektuelle Unterstützung, Wieland war Gächs Sprachrohr. "Gäch hatte einen Sprachfehler, von dem sich manche noch heute in Schwarzach erzählen", sagt Venus, der die Schwarzacher Lokalgeschichte intensiv studiert hat. "Wahrscheinlich ließ er seine politischen Botschaften deswegen gerne von Wieland verkünden." Gäch machte nicht nur Politik und führte eine Arztpraxis, er kümmerte sich auch um einen kleinen Bauernhof. "Gäch war ein engagierter Bürger. Er hat zum Beispiel versucht, die Schwarzacher mit Kochkursen für eine gesündere Ernährung zu begeistern", sagt Venus.

Gäch ging auch gerne mal einen trinken, das schrieb zumindest der damalige Innenminister in missbilligendem Tonfall in seinem Gutachten über ihn. "Der Überlieferung nach hat Doktor Gäch sich das Bier immer nur zur Hälfte und dafür mit viel Schaum in seinen Totenkopfkrug einschenken lassen, damit es besonders frisch schmeckt", sagt Venus. Das konnte sich nicht jeder leisten. Ein auf diese Art eingeschenktes Bier wurde in Schwarzach bald nur noch "Doktorhoibe" genannt.

1933 löste der Bayerische Bauernbund sich auf

Mit einer solchen stieß Gäch mit Sicherheit an, als der Bauernbund bei der Landtagswahl 1907 zum ersten Mal mehr als zehn Prozent der Stimmen erreichte. Das schaffte er nur noch ein weiteres Mal, bei der Wahl 1928. Fünf Jahre später war der Erfolg vorbei: Die Mitglieder wanderten ab zur Bayerischen Volkspartei und zur NSDAP. 1933 löste der Bayerische Bauernbund sich auf. Gäch musste das nicht mehr miterleben, er starb 1926.

Den Schwarzachern ist Gäch noch immer in Erinnerung. "Manche bestellen sich heute noch eine Doktorhoibe", sagt Venus. Ein Enkel des Politikers, Kurt Gäch, ein Neurologe und Psychiater, gründete in Schwarzach die Sozialsiedlung Bühel, in der Menschen mit Behinderung ein Zuhause finden. Auf dem Schwarzacher Friedhof befindet sich ein großes Familiengrab mit einem Denkmal aus Stein: Ein Arzt sitzt am Krankenbett einer Frau und hält ihr die Hand. Unweit vom Friedhof befindet sich die Dr.-Gäch-Straße. Die Gächs haben Geschichte geschrieben in Schwarzach.

Das Exponat wurde dem Museum der Bayerischen Geschichte in Regensburg zur Verfügung gestellt, das im Mai 2019 eröffnen soll. Näheres unter www.hdbg.de

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