AKW-Debatte:Das Tabu gegen die Panik

Was passiert in München bei einem GAU im Reaktor Ohu? Die Suche nach Informationen für den Katastrophenfall ist eine Odysee durch die Behörden - denn dort scheint der Gedanke an den GAU verboten.

Bernd Kastner

Am Anfang steht die Beruhigung: "Ein nach westlichen Standards gebautes und genehmigtes Kernkraftwerk kann aus physikalischen Gründen nicht explodieren." Das ist die erste amtliche Antwort auf eine Frage, die einem damit fast schon überflüssig vorkommt: Was passiert mit München, wenn es in Ohu zum GAU kommt. Wenn aus dem Atomkraftwerk Isar 1 oder Isar 2 in der Nähe von Landshut nach einer Kernschmelze Radioaktivität austritt. München liegt keine 100 Kilometer entfernt.

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Der GAU scheint tabu: Da München in der "Fernzone" von Ohu liegt, werden dort auch keine Broschüren für den Fall der Fälle verteilt.

(Foto: ddp)

Es ist eine Frage, die den Freunden der Atomkraft ketzerisch erscheinen mag; Atom-Gegner wiederum halten sie für angebracht, schließlich ist Isar 1 einer der ältesten Reaktoren Deutschlands, über dessen Sicherheit heftig gestritten wird. Eigentlich sollte er 2011 vom Netz, nach den Plänen der Bundesregierung darf er nun aber bis mindestens 2019 weiterlaufen.

So heftig der politische Streit um die Restlaufzeiten ist, konkrete Katastrophenszenarien werden dabei nicht diskutiert. Wer dennoch nach ihnen fragt, begibt sich auf eine Odyssee durch Behörden und Institutionen. Man hört da schon mal die Gegenfrage, ob man denn mit einem solchen Bericht "Panik" erzeugen wolle.

Die Annäherung an eine Auskunft beginnt im bayerischen Umweltministerium: Wir sind nicht zuständig für den Katastrophenfall, heißt es. Das machen die Kollegen im Innenministerium. Dort verschickt der Sprecher bereitwillig einen "Ratgeber", eine Broschüre, auf der vorne das Logo von Eon prangt, dem Ohu-Betreiber. Der Ministeriumssprecher beeilt sich zu betonen, dass "der Inhalt von uns ist", von den Behörden. Explodieren könne also nichts, heißt es dort.

Warum aber folgen dann 14 Seiten mit Tipps für den Fall der Fälle, der aber nie beim Namen genannt wird? Der GAU scheint tabu.

Das Papier wurde "an sämtliche Haushalte" verteilt. Aber nicht in München, nur an die Bewohner im Zehn-Kilometer-Radius um den Reaktor. Heißt das, dass jemand, der elf Kilometer entfernt wohnt, schon nichts mehr zu befürchten hat? Stellt man diese Frage der Eon-Zentrale, reagiert die Sprecherin recht pikiert: "Das ist nicht besonders fair, dass Sie so etwas fragen." Eon sei schließlich nicht für den Katastrophenschutz zuständig, man habe nur den Druck der Broschüre finanziert.

Katastrophenschutzszenarien vorbereitet

Im Innenministerium verweist man auf Rahmenempfehlungen des Bundes, und dass man irgendwo ja die Grenze ziehen müsse. München liegt in der "Fernzone" bis 100 Kilometer und ist fein raus: Eine Gefährdung Münchens sei "fast ausgeschlossen, aus diesem Grund wurden die Broschüren in München nicht verteilt". So weit weg ist die Landeshauptstadt, dass man den Münchnern den Ohu-"Ratgeber" nicht einmal im Internet anbietet.

Dabei sind auch für die Fernzone "abgestufte Katastrophenschutzszenarien vorbereitet", welche "die Mitarbeit und die Selbsthilfe der Bevölkerung erforderlich" machten. Der Ratgeber enthält interessante Tipps. Dass die Bürger je nach Lage im Haus bleiben sollten, am besten im Keller, die Schuhe vor der Tür stehen lassen, möglichst nur noch Lebensmittel essen sollten, die sie schon im Haus haben, und Obst und Gemüse aus dem Garten vermeiden.

Das klingt nun gar nicht mehr beruhigend. Kann es sein, dass man die Millionenstadt in der "Fernzone" nicht beunruhigen will? Nein, nein, erklärt der Sprecher des Innenministeriums, "die Bürger können sich an alle offiziellen Stellen wenden" mit ihren Fragen. Außerdem mache man ja immer wieder Aufsehen erregende Katastrophenschutzübungen, von Verheimlichen könne keine Rede sein.

Sicher sei, dass die Münchner Jodtabletten bekommen sollen im Ernstfall. Die sollen die Schilddrüse so sättigen, dass sie kein verstrahltes Jod mehr aufnehmen kann. Etwa 40 Millionen Tabletten seien in Bayern eingelagert, an geheimen Orten, und nach einem GAU kann man sie in jeder der gut 400 Apotheken in der Stadt bekommen, kostenlos. Einnehmen aber bitte nur nach amtlicher Aufforderung.

Man erfährt dann noch, dass im Katastrophenfall die Aktionen im Innenministerium koordiniert würden, dass gegebenenfalls auch die Bezirksregierungen mitarbeiten würden, und dass für alles weitere die Stadt München zuständig sei. Dort wiederum kümmert sich die Berufsfeuerwehr um Katastrophen aller Art. Auf der städtischen Internetseite erfährt man manches über den Katastrophenschutz, dass es dafür ein eigenes EDV-Programm gibt namens Basis, dass ein Gefahrenabwehrstab existiert und eine integrierte Leitstelle und der Oberbürgermeister der oberste Verantwortliche ist.

Bunker aus dem Kalten Krieg

Über einen Katastrophenschutzplan für einen GAU in Ohu findet sich nichts. Dabei gebe es ihn, sagt Feuerwehrchef Wolfgang Schäuble, um gleich hinzuzufügen: Das meiste sei "Verschlusssache", er darf also nicht viel verraten. Eine Evakuierung würde man "eher nicht" anordnen, weil es schlicht in wenigen Stunden nicht möglich sei, zwei Millionen Menschen im Großraum in Sicherheit zu bringen. Die obersten Verantwortlichen in der Stadt würden in einem der Bunker untergebracht, die noch vom Kalten Krieg übrig und mit Telefonen und Computern ausgerüstet sind.

Vermutlich findet sich dort auch das Regelwerk für die Katastrophe, "das wird aufgeklappt und dann geht's los". Da stehe etwa drin, wie man an die nötigen Ärzte komme, welche Verhaltenstipps für die Bürger man wann über die Medien herausgebe. Kurzum alles, "was man im Vorfeld regeln kann, ohne zu wissen, was auf einen zukommt".

Nun kann man sich lebhaft ausmalen, dass es auch ohne eine amtliche Evakuierung zum Chaos auf den Straßen kommt: Wer bleibt schon in der Stadt, wenn aus Ohu eine radioaktive Wolke austritt? Was dann? Wer regelt den Verkehr? Das sei Sache der Polizei, sagt der Feuerwehrchef und erklärt dann noch, dass man in solch einer Katastrophensituation nur den Beginn der Schutzmaßnahmen halbwegs planen und trainieren könne, wie der Fußballer den Freistoß: Sobald der Ball im Spiel ist, muss man spontan handeln. Bloß dass der Gegner dann die Wolke ist.

Ja, sagt Schäuble, es gebe in Kreisen der Katastrophenschützer schon immer diese Diskussion: Soll man dem Bürger alles mitteilen, was in dieser Welt so alles geschehen kann? Oder doch nur das Nötigste? Er selbst jedenfalls wolle nun darüber nachdenken, den offiziellen Behörden-"Ratgeber" für Isar 1 und 2 mit dem Eon-Logo auf die städtische Internetseite zu stellen.

Das AKW Gundremmingen bei Günzburg, dessen Haupteigner RWE ist, hat dies mit einem praktisch inhaltsgleichen Ratgeber längst getan. Unter www.kkw-gundremmingen.de erfahren auch Münchner, was Sache ist nach einem GAU. Beruhigung inklusive: "Bei allen Arten von Störfällen" könne "ein nennenswerter Schaden in der Umgebung vermieden werden".

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