Aktion im bayerischen Wunsiedel:"Die Neonazi-Szene ist eine ironiefreie Zone"

Aktion im bayerischen Wunsiedel: Kreative Plakate gegen den Neonazi-Aufmarsch in Wunsiedel.

Kreative Plakate gegen den Neonazi-Aufmarsch in Wunsiedel.

(Foto: AFP)

Aus einem Nazi-Aufmarsch hat Martin Becher einen Spendenlauf gegen rechts gemacht: Der Leiter der Projektstelle gegen Neonazis steckt hinter der phantasievollen Aktion in Wunsiedel. Schon jetzt überlegt er, wie er die Rechten im kommenden Jahr empfangen soll.

Von Katja Auer

Ironie findet Martin Becher wichtig, besonders dann, wenn er mit Neonazis zu tun hat. Und das hat er oft. Becher, 53, ist Leiter der Projektstelle gegen Rechtsextremismus im oberfränkischen Bad Alexandersbad und schon von Berufs wegen Gegendemonstrant. Am Wochenende hat er eine derart kreative Veranstaltung gegen 250 Rechtsextremisten organisiert, dass er am Montag schwer zu erreichen ist, weil Gratulanten und Journalisten schon am Morgen die Telefonleitung blockieren.

Einen Spendenlauf haben Becher und seine Mitstreiter aus dem martialischen Trauermarsch der Neonazis gemacht, die jedes Jahr vor dem Volkstrauertag zum Heldengedenken durch Wunsiedel im Fichtelgebirge ziehen. Start und Ziel waren markiert und die Strecke säumten Transparente mit provozierenden Aufschriften wie "Endspurt statt Endsieg".

An einem Verpflegungsstand, der mit "Mein Mampf" gekennzeichnet war, verteilten die Veranstalter Bananen. Mit jedem Meter, den die Rechtsextremisten zurücklegten, flossen zehn Euro auf ein Spendenkonto der Initiative Exit Deutschland, die Neonazis beim Ausstieg aus der Szene unterstützt. 10 000 Euro hatten die Veranstalter dafür bei Unternehmen und Privatleuten gesammelt.

Widerstand gegen Nazis verbindet Menschen

"Die Neonazi-Szene ist eine ironiefreie Zone", sagt Becher, deswegen findet er den Protest auf diese Weise besonders wirksam. Die Rechtsextremisten hatten die etwa 500 Gegendemonstranten und ihre Aktion zwar ignoriert, aber Becher ist sich sicher, ihnen einen üblen Tag beschert zu haben. Und das freut ihn sehr. Denn ihm beschert seine Arbeit tatsächlich "einen Lustgewinn", wie er sagt, vor allem dann, wenn er im Widerstand gegen Rechts die unterschiedlichsten Menschen zusammenbringen kann. Wie die fränkische Metzgersfrau, die vor ein paar Jahren spontan einen türkischen Mann umarmte, als der ankündigte, eine Gegendemo mit einer Menge türkischer Pizza zu unterstützen. "Das wäre ohne Neonazis nicht passiert", sagt er.

Aktion im bayerischen Wunsiedel: Der Kopf hinter der Aktion: Martin Becher ist Leiter der Projektstelle gegen Rechtsextremismus im oberfränkischen Bad Alexandersbad.

Der Kopf hinter der Aktion: Martin Becher ist Leiter der Projektstelle gegen Rechtsextremismus im oberfränkischen Bad Alexandersbad.

(Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Martin Becher leitet die Projektstelle seit fast vier Jahren und mit Widerstand kennt er sich aus. Als Student der Pädagogik und Politik in Berlin arbeitete er in der Gedenkstätte deutscher Widerstand mit. An die deutschen Täter zu erinnern sei damals schwierig gewesen, sagt er, "wir wurden anfangs vom Verfassungsschutz und von der Stasi beobachtet". Nach dem Mauerfall beschäftigte er sich mit dem Thema Rechtsextremismus, bis vor ein paar Jahren die Anfrage aus Bayern kam.

Becher kehrte zurück, er stammt aus Münchberg in Oberfranken. Er hatte bis dahin nur aus der Ferne beobachtet, wie sich Wunsiedel zu einem Anziehungspunkt für Neonazis entwickelte, weil dort seit 1988 Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß begraben lag. Die Bürger setzten sich zur Wehr, ihr Widerstand wurde zum Vorbild für zivilgesellschaftliches Engagement. Das Heß-Grab wurde 2011 aufgelöst, die Rechtsextremisten kommen nur noch einmal im Jahr. Martin Becher überlegt schon, wie er sie beim nächsten Mal empfängt.

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