Aichach-Friedberg:Eine Landesausstellung und der Streit um ihren Titel

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Vertraten unterschiedliche Auffassungen, was den Namen der Landesausstellung betraf: Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern und Richard Loibl, Direktor des Hauses der Bayerischen Geschichte. (Foto: Florian Peljak/Sebastian Beck)

"Stadtluft macht frei" sollte die Schau ursprünglich heißen. Doch sie musste umbenannt werden

"Stadtluft macht frei" - so lautete der ursprüngliche Titel der Landesausstellung 2020. "Für die Historikerzunft lag er auf der Hand", sagt Richard Loibl, der Direktor des Hauses der Bayerischen Geschichte. Seit dem 19. Jahrhundert benennt diese Formel den in mittelalterlichen Quellen gut belegten Sachverhalt, dass der Aufenthalt in der Stadt Untertanen binnen Jahr und Tag von den Ansprüchen früherer Leibherren befreite. Der große Unterschied zwischen Stadt und Land lag in eben dieser Freiheit.

Bis heute wird der Satz "Stadtluft macht frei" an den Universitäten gelehrt. Im März 2019 kam jedoch in einer Redaktionskonferenz des Bayerischen Rundfunks die Idee auf, dass er ja so ähnlich klinge wie "Arbeit macht frei", jener menschenverachtende Nazi-Spruch, der auf Toren von Konzentrationslagern zu lesen war. Das Haus der Bayerischen Geschichte war dagegen der Meinung, beide Sätze hätten ungefähr so viel miteinander zu tun wie die aufgeklärt-liberale gelehrte Tradition Deutschlands mit dem Nationalsozialismus. Schließlich wies eine BR-Journalistin Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, auf die Nähe der beiden Sätze hin. Daraufhin forderte Knobloch spontan die Umbenennung der Landesausstellung. "Dieser Ausdruck tut jedem weh, der damit zu tun hatte."

Der Zusammenhang, den es zuvor nicht gegeben hatte, war plötzlich durch eine Autorität der Erlebnisgeneration des NS-Terrors und des Völkermords hergestellt. Loibl wies nochmals darauf hin, dass die Sätze "Stadtluft macht frei" und "Arbeit macht frei" inhaltlich in keiner Weise zusammenhängen. "Stadtluft macht frei" sei einer der großen Rechtssätze des Mittelalters.

Angesichts dieser liberalen Tradition des Satzes herrschte allenthalben Unverständnis über Knoblochs Kritik. Der Friedberger Bürgermeister Roland Eichmann (SPD) bedauerte, dass allgemein so wenig Kenntnis über die Bedeutung dieses Rechtssatzes vorhanden sei, der zu den prägendsten Sätze der deutschen Rechtshistorie und der europäischen Freiheitsgeschichte zähle.

Die Umbenennung der Ausstellung war trotzdem unumgänglich. "Das war eine bittere Lektion, weil wir uns wider besseres Wissen beugen mussten", sagt Loibl. In einem Gespräch mit Kunstminister Bernd Sibler und Charlotte Knobloch wurde der neue Titel "Stadt befreit" festgelegt.

Dieser stieß wiederum bei Politikern und Historikern auf Kritik. "Das wundert mich sehr", sagte der Mediävist Johannes Fried. Er habe von jüdischer Seite noch nie einen Hinweis gehört, dass der Spruch "Stadtluft macht frei" für sie problematisch sei. Fried reagierte auch reserviert auf den neuen Titel. Die Stadt habe die Menschen im strengen Sinne nicht befreit, sagte er, aber unter bestimmten Voraussetzungen hätten die Leibeigenen dort die Freiheit erhalten. Freiheit durch die Stadt. Das hätte er für besser gehalten.

© SZ vom 30.04.2020 / hak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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