Versetzung:Amtsarzt legt sich mit dem Freistaat an

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Der Epidemiologe Friedrich Pürner eckt mit seinen Äußerungen an. (Foto: Privat)

Friedrich Pürner, Chef des Gesundheitsamts in Aichach-Friedberg, muss umgehend seinen Posten räumen. Zuvor hatte er wiederholt Zweifel an der Corona-Politik von Ministerpräsident Söder geäußert.

Von Christian Sebald, München

Am Tag danach versucht Gesundheitsstaatssekretär Klaus Holetschek den Ball möglichst flach zu halten. Man solle sich jetzt doch "auf die Sache konzentrieren, statt eine Personalie hochzuspielen, an der es nichts hochzuspielen gibt," sagt der CSU-Politiker, der im Haus von Gesundheitsministerin Melanie Huml die Taskforce Corona-Pandemie koordiniert. Schließlich werde der Leiter des Gesundheitsamts im schwäbischen Landkreis Aichach-Friedberg, Friedrich Pürner, am Landesamt für Gesundheitsamt und Lebensmittelsicherheit (LGL) eine wichtige neue Abteilung für den öffentlichen Gesundheitsdienst aufbauen. Dafür brauche man einen Mann mit großer Erfahrung, wie sie Pürner zweifellos habe.

Pürner selbst sieht seine Abordnung ganz anders. Der 53-jährige Mediziner spricht von einer "Strafversetzung". Der Grund ist aus seiner Sicht, dass er sich in den vergangenen Monaten immer wieder kritisch mit der Anti-Corona-Politik von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) auseinandergesetzt hat - in behördeninternen Runden, in Stellungnahmen für Zeitungen und den Rundfunk, aber auch in den sozialen Medien. Deshalb werde nun an ihm ein "Exempel statuiert", sagt Pürner. "Meine Abordnung ist ein Signal an alle anderen Amtsärzte in Bayern, dass sie fachlich auf keinen Fall andere Einschätzungen als die offizielle politische Linie äußern dürfen."

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Der Mediziner setzt sich tatsächlich seit Anbeginn der Pandemie immer wieder kritisch mit den Gegenmaßnahmen auseinander. Insbesondere zieht er den Nutzen von Alltagsmasken in Zweifel. Aus seiner Sicht gibt es keinen harten wissenschaftlichen Beleg dafür, dass die überwiegend getragenen Stoffmasken oder Community-Masken ausreichenden Schutz vor dem Virus bieten. Sie taugten eher als Symbol der Solidarität, wer sie trage, zeige, dass ihm die Gesundheit der anderen wichtig sei, erklärte Pürner unlängst in einem Interview. Besonders stört ihn die Maskenpflicht für Kinder. Seine Mitarbeiter hätten schon verzweifelte Mütter am Telefon gehabt, deren Kinder wegen einer falsch sitzenden Maske massiv von den Lehrern gerügt worden seien, sagt Pürner. Einige Kinder seien sogar mit der Frage unter Druck gesetzt worden, "ob sie wollten, dass ihre Oma oder Opa sterben". Das könne es nicht sein, dagegen wehre er sich schon als Vater von drei Buben. Zumal die Erfahrungen auch im Landkreis Aichach-Friedberg zeigten, dass Kinder bisher sehr wenig zum Pandemiegeschehen beitragen würden.

Außerdem kritisiert Pürner die sogenannte Inzidenzzahl. Das ist die Zahl der Infektionen je 100 000 Einwohner in einer Stadt oder einem Landkreis in den zurückliegenden sieben Tagen. Die bundesweit massiv gestiegenen Inzidenzzahlen sind die Basis für Beschränkungen des öffentlichen Lebens und seit Montag auch für den partiellen Lockdown. Aus Pürners Sicht ist der Inzidenzwert viel zu wenig aussagekräftig, um so massive Einschränkungen zu rechtfertigen. "Denn ihm liegt einzig die absolute Zahl der positiven Corona-Tests zugrunde", sagt er. "Andere wichtige Parameter, etwa ob ein Infizierter erkrankt, ob er ins Krankenhaus muss oder sogar intensivmedizinisch behandelt werden muss, spielen eine zu geringe Rolle." Sie seien aber unerlässlich für die realistische Beurteilung des Infektionsgeschehens und den Erlass von Maßnahmen.

Pürner ist zweifellos ein Fachmann, der weiß, wovon er spricht. Vor seiner Berufung auf den Chefposten des Aichacher Gesundheitsamts arbeitete der Mediziner bereits am LGL. Er leitete dort die Abteilung Epidemiologie und war Chef der Taskforce Infektiologie. Das sind die beiden Einheiten des LGL, die zentral sind für die Bewältigung der Corona-Pandemie in Bayern. Am Landratsamt Aichach-Friedberg waren sie denn auch stets sehr zufrieden mit ihrem Gesundheitsamtschef. Landrat Klaus Metzger (CSU) bedankt sich sogar ausdrücklich bei dem Arzt "für den außergewöhnlichen Einsatz", mit dem dieser und sein Team die Anti-Corona-Maßnahmen in der Region umgesetzt hätten.

Andere betonen, dass Pürner seine kritischen fachlichen Einschätzungen und seine dienstlichen Aufgaben stets sauber voneinander getrennt habe. Im Landkreis Aichach-Friedberg sind laut Landratsamt alle Anti-Corona-Vorgaben des Bundes und des Freistaats immer "eins zu eins" umgesetzt worden.

Pürner selbst hat in der Vergangenheit stets erklärt, dass er kein Corona-Leugner sei und auch die Gefahren durch die Pandemie keineswegs kleinreden wolle. Auch sei er weder ein Impfgegner, noch rechtsextrem. Er wolle sich für keine Partei instrumentalisieren lassen, erklärte er einmal im BR. "Am allerwenigsten für die AfD." Allerdings nehme er für sich in Anspruch, seine fachliche Meinung kundzutun, betonte Pürner am Mittwoch. "Das will ich mir auch nicht nehmen lassen." Und zwar trotz der Abordnung an das LGL. Pürner wurde davon völlig überrascht, sagt er. Schon am nächsten Montag soll er seine neue Stelle am LGL antreten. Informiert worden ist der Mediziner davon am Dienstag - durch einen kurzen Anruf von der Regierung von Schwaben.

© SZ vom 05.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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