Süddeutsche Zeitung

Im Visier des Geheimdiensts:AfD will gegen Beobachtung klagen

Die Entscheidung des Verfassungsschutzes könnte für die Partei in Bayern zum Problem werden. Bisherige Sympathisanten könnten bei der Landtagswahl 2023 von der Fahne gehen, andere auf einen geplanten Parteieintritt verzichten.

Von Andreas Glas, Johann Osel und Klaus Ott

Wer für den Freistaat arbeiten will, und sei es nur im Nebenjob, der muss viele Kreuze machen. Genauer gesagt, viele Kreuzchen in einem umfangreichen Fragebogen. "Sind Sie oder waren Sie Mitglied (...) extremistisch beeinflusster Organisationen", wollen Bayerns Behörden und andere staatliche Arbeitgeber wissen. "Unterstützen Sie eine oder mehrere extremistische oder extremistisch beeinflusste Organisationen oder andere verfassungsfeindliche Bestrebungen oder haben Sie solche unterstützt", lautet die nächste Frage. Nur diejenigen, die zwölf Mal die richtige Antwort ankreuzen, nämlich "Nein", und zudem per Unterschrift ihre Verfassungstreue bekunden, werden genommen.

Dem Fragebogen beigefügt ist eine Liste mit mehr als 200 vom Innenministerium als extremistisch eingestuften Organisationen, auch Linksextremisten oder Islamisten. Und im Verzeichnis steht bisher die Junge Alternative (JA), die Jugendorganisation der AfD, unter der Rubrik Rechtsextremismus. Was ist aber mit der AfD selbst? Kommt die nun auch auf diese Liste, nachdem sie neuerdings vom Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet wird?

Diese Frage stellt sich seit dem späten Dienstagabend, als die Beobachtung bekannt wurde. AfD-Landeschef Stephan Protschka hat bereits angekündigt, dagegen zu klagen. Man werde den Verfassungsschutzbericht "genau studieren und rechtliche Schritte" einleiten, teilte Protschka am Mittwoch mit - und gab sich demonstrativ optimistisch, dass die Gerichte seiner Partei letztlich "recht geben". Wie schon in seiner ersten Reaktion am Dienstagabend sprach Protschka von einer "politisch motivierten Beobachtung".

Ein AfD-Mitglied muss beim Freistaat nun keinen Rauswurf fürchten

Mit dem Schritt, die bayerische AfD zu beobachten, will der Verfassungsschutz aufklären, ob in der Partei "Bestrebungen vorliegen, die den Kernbestand des Grundgesetzes zu beeinträchtigen oder zu beseitigen versuchen", wie es aus dem Innenministerium hieß. Das bedeutet, unter anderem: Im Verdachtsfall AfD kann der Verfassungsschutz nun nachrichtendienstliche Mittel anwenden. Zum Beispiel Telefongespräche abhören oder V-Leute einsetzen, die sich verdeckt Informationen beschaffen. Und im Gespräch ist eben auch, ob die AfD künftig als Gesamtpartei im sogenannten Verzeichnis extremistischer oder extremistisch beeinflusster Organisationen steht - jene Liste, die ankreuzen muss, wer für den Freistaat arbeiten möchte. Abgeordnete der Partei sind von der Beobachtung ausgenommen.

Zwar muss ein AfD-Mitglied, das bereits beim Freistaat beschäftigt ist, nun wegen der Beobachtung keinen Rauswurf fürchten. Hierfür braucht es schon ein individuelles Fehlverhalten, das disziplinarrechtlich belangt werden kann. Allerdings könnte der Beobachtungsstatus ein AfD-Mitglied im Staatsdienst davon abhalten, sich sichtbar in der Partei zu engagieren. Und AfD-Sympathisanten, die sich für einen Job beim Staat interessieren, werden womöglich erst gar keine Mitgliedschaft abschließen.

Als die Republikaner beobachtet wurden, verschreckte das die Wähler

Für die AfD könnte die Entscheidung des Verfassungsschutzes also zu einem nachhaltigen Problem werden, zumal mit Blick auf die Landtagswahl 2023. Landeschef Protschka sagt: "Es ändert sich für uns nichts." Er habe auch "keine großen Bedenken, dass die Wähler das so ernst nehmen".

Der Rückblick in die Neunzigerjahre könnte der bayerischen AfD allerdings Sorge bereiten. Damals nahm sich der Verfassungsschutz die Republikaner vor - was deren bürgerliche Wählerschaft offenkundig verschreckte. Und in den Bundesländern, in denen die AfD schon länger beobachtet wird, gab es immer wieder Berichte über Parteiaustritte von Polizeibeamten oder auch Jägern, die fürchteten, ihre Waffenerlaubnis zu verlieren. Wie viele Mitglieder der bayerischen AfD genau im Staatsdienst beschäftigt sind, lässt sich schwer überprüfen. Die Partei selbst rühmt sich bei Veranstaltungen aber immer wieder für die Polizisten unter ihren Mitgliedern. In der 17-köpfigen Landtagsfraktion gibt es einen Hauptkommissar und einen früheren Polizeiobermeister.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz führt die AfD schon länger als Verdachtsfall. Die Partei hat dagegen geklagt, ist aber in erster Instanz gescheitert und hat Berufung eingelegt. Auf Länderebene hatte zuletzt der hessische Verfassungsschutz entschieden, die AfD zu beobachten - auch dort will der Landesverband klagen. In Bayern waren bislang nur die JA und mögliche Nachfolgeaktivitäten der formal aufgelösten rechtsnationalen AfD-Gruppe "Flügel" beobachtet worden. Dass dies nun mit der gesamten bayerischen AfD geschieht, ist für Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze "mehr als überfällig" und eine "Notbremsung in letzter Sekunde". Sie nennt die AfD einen "Feind unseres Grundgesetzes" und eine "Gefahr für die innere Sicherheit".

Auch CSU-Generalsekretär Martin Huber findet es "konsequent und richtig", dass die AfD nun beobachtet wird. "Unser politisches Ziel ist klar: Die AfD muss 2023 aus dem bayerischen Landtag fliegen", sagt Huber auf SZ-Nachfrage. "Für Verfassungsfeinde darf es keinen Platz geben in unseren Parlamenten." Ministerpräsident Markus Söder (CSU) verwies darauf, dass es eine Entscheidung der zuständigen Behörde sei, die politisch unabhängig nach Gefährdungslage agiere. Er glaube aber, "dass die AfD in Bayern ein besonders harter, rechtsradikaler, zu Rechtsradikalität neigender Klub ist".

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