AfD in Bayern:Alternative für Drohkulissen

Europawahl 2014 in Deutschland - Wahlparty AfD in München

Andre Wächter, der bayerische Landesvorsitzende der Partei Alternative für Deutschland (AfD), bei der AfD-Wahlparty am Abend der Europawahl.

(Foto: dpa)

In der AfD lebe man das Ideal, sagt der bayerische Landesvorsitzende Wächter. Seine Partei gibt sich gern als Paradebeispiel für direkte Demokratie. Doch Mitglieder, die durch interne Kritik auffallen, werden laut Zeugenaussagen durch Mobbing-Attacken zermürbt.

Von Kai Ober

Die AfD ist in Siegeslaune. Acht Prozent holte die noch junge Partei in Bayern. Die harte Aufbauarbeit habe sich gelohnt, sagte André Wächter der SZ. Wächter ist mehr der ruhige und sachliche Typ. Er arbeitet als Wirtschaftsprüfer bei der Deutschen Bundesbank in München und ist zugleich bayerischer Landesvorsitzender der Alternative für Deutschland. Wenn er über die Partei spricht, dann beginnt er aber zu schwärmen. Die AfD stehe für schweizerische Verhältnisse, für direkte Demokratie. In seiner Partei lebe man dieses Ideal, sagt Wächter.

Das freilich passt nicht zu dem Bild, das andere von der AfD im Freistaat zeichnen. Da ist von Mobbing die Rede, von Repressalien. Gegen zwei Mitglieder laufen Parteiausschlussverfahren. Die AfD erscheint in Bayern so zerstritten, dass die von ihr geschmähte Europäische Union dagegen geradezu wie ein monolithischer Block wirkt. Gerade die Liberalen kommen sich in der Partei zunehmend fremd vor. Ein ehemaliger Kreisvorsitzender sagt: "Der Landesverband richtet sich gerade selbst zugrunde." Wächter dagegen wiegelt ab: Es gebe kein Mobbing-System im Landesverband.

Auslöser des Streits war ein offener Brief

Doch offen reden will niemand. Wenn man sich an der Basis umhört, dann bekommt das Bild der vermeintlich urdemokratischen Partei aber große Risse. Das jedenfalls legen interne Dokumente nahe, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen. Es herrscht offenkundig Wut und Frust. Jemand, der mal zum Führungszirkel gehörte, charakterisiert die bayerische Parteispitze als eine machthungrige Clique: "Der Landesvorstand betreibt organisiertes Mobbing gegen parteiinterne Kritiker."

Auch Martina Geiger aus Rieden im Ostallgäu sieht sich als Opfer dieses Systems. Offen reden will die Vorsitzende des örtlichen Kreisverbands jedoch nicht, weil sie Angst hat. Gegen sie läuft ein Parteiausschlussverfahren. Seit bald einem Jahr kämpft Geiger gegen ihre eigene Partei. Im Januar hat sie Revision gegen ihren Parteiausschluss vor dem Bundesschiedsgericht eingelegt. Bis heute ist darüber nicht entschieden worden. Obwohl das Verfahren in der Schwebe ist und sie offiziell noch Kreisvorsitzende ist, wird sie seitdem als persona non grata behandelt.

Auslöser des Streits war ein offener Brief, den sie im Juni des vergangenen Jahres an ihre Parteikollegen schickte. Darin beschreibt die Anlagen- und Vermögensberaterin die finanziellen Probleme ihres Kreisverbandes. Zu der damaligen Zeit sammelte die Partei Unterschriften, um bei der Bundestagswahl antreten zu dürfen. Geiger klagt in dem Schreiben darüber, dass das Geld für den Bundestagswahlkampf nicht reiche, und stellt die Frage, ob andere Kreisverbände in einer ähnlichen Situation steckten.

Der Bezirksvorstand übernahm kurzerhand die Geschäfte

Damit geriet Geiger auf die "Abschussliste" des Vorstands, wie es ein Parteifunktionär ausdrückt, der ebenfalls ungenannt bleiben möchte. Sie blieb standfest und stellte weiter Fragen. Das hatte Konsequenzen. Der Bezirksvorstand übernahm im Herbst 2013 kurzerhand die Geschäfte des Kreises und erklärte den Kreisvorstand für abgesetzt. Geiger wehrte sich vor dem Landesschiedsgericht erfolgreich. Doch das half hier nicht viel. Das Urteil wird konsequent missachtet.

Danach wurde es ziemlich unappetitlich. Sie selbst sieht sich als Opfer einer Rufmordkampagne. Ein oberbayerischer Kreischef warf Geiger in einer Rundmail vom Juni 2013 angebliche rechtsextremistische Äußerungen vor - konkret wurde er allerdings nicht. Wenig später entschuldigte er sich in einer Mail: "Ich hatte ein völlig falsches Bild von Frau Geiger." Im März 2014 kursierte eine Mail des Landesvorstands, in der Wächter Bezug nehmend auf eine Kontaktseite für Sadomaso-Sex schreibt: "Kann mal jemand schauen, ob wir da vielleicht auch die Geiger finden?"

Ärger gibt es auch in Mittelfranken. Dort ist Wolfgang Dörner Vorsitzender des Parteibezirks - noch. In einem Urteil des Landesschiedsgerichts wird seine Wahl zum Bezirksvorsitzenden für ungültig erklärt. Ein Parteimitglied tauchte vor einigen Wochen plötzlich auf und legte gegen die Vorstandswahlen in Mittelfranken, die mehr als ein Jahr zurückliegen, Beschwerde ein. Parteichef Wächter erklärt dazu: "Bei den Vorstandswahlen wurden damals Fehler vom Wahlleiter gemacht, so dass die Wahl nun anfechtbar ist."

Im AfD-Bezirk Mittelfranken herrscht Ausnahmezustand

Dörner ist momentan gesundheitlich angeschlagen. Er schweigt zu den genauen Umständen des Konflikts. Womöglich könnte es dem Landesvorstand übel aufgestoßen sein, dass Dörner die Kandidatur Martin Sicherts für den Kreisvorsitz Nürnberg zugelassen hatte. Sichert ist beim AfD kein Unbekannter:Auf dem Landesparteitag in Ingolstadt hatte er den Vorstand heftig kritisiert und "mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auch nach innen" gefordert.

Er gewann prompt eine unangekündigte Kampfkandidatur gegen den damaligen Landeschef Wolf-Joachim Schünemann, die im Anschluss für ungültig erklärt wurde. Auf einer Mitgliederversammlung des Bezirks im Februar wurde Dörner dafür angegriffen, dass er die Kandidatur Sicherts nicht verhinderte. Dörner weigerte sich zurückzutreten. Dann kam das Parteimitglied mit Vorstandsambitionen und klagte vor dem Schiedsgericht.

Im Bezirk Mittelfranken herrscht mittlerweile der Ausnahmezustand. Am 23. Mai lud der Landesvorsitzende Wächter die Kreisvorsitzenden zu einem Gespräch nach Nürnberg. Dörner selbst war dort nicht zugegen. Ergebnis dieses Treffens: Der gesamte Bezirksvorstand wird des Amtes enthoben. Nach dem Willen des Landesvorstandes soll ein Notvorstand eingesetzt werden. In einer E-Mail vom Montag an die Parteimitglieder schreibt Wächter: "Dieser wird sich bei Ihnen nach seiner Benennung vorstellen." Zudem untersagt er dem enthobenen Bezirksvorstand, die Parteimitglieder des Bezirks anzuschreiben. Dabei steht die Entscheidung des Landesschiedsgerichts in der Sache noch aus.

Der Bundesverband scheint wie gelähmt

Wächter weist alle Anschuldigungen gegen den Parteivorstand entschieden zurück. "Es ist völlig realitätsfern zu glauben, dass ein Landesvorstand bei über fünfzig Kreisen und zirka 3000 Parteimitglieder alles und jeden steuern könnte." Das der Vorstand in Bayern einen straffen Führungsapparat aufgebaut habe, sei grober Unfug. Derzeit gebe es lediglich zwei Parteiausschlussverfahren.

Neben Geiger richtet sich ein weiteres Verfahren gegen die Straubinger AfD-Kreisvorsitzende Corinna Miazga. Sie hatte mit Parteifreunden Fundamentalkritik am Finanzgebaren der AfD in Bayern geübt und die Beschlussfähigkeit des Landesvorstands angezweifelt. Vor den Parteischiedsgerichten scheiterten sie. Kurz darauf wurde gegen Miazga ein Parteiausschlussverfahren eröffnet.

Die Liste der Enttäuschten in der Partei könnten man beliebig weiterführen. Der Bundesverband der Partei scheint wie gelähmt angesichts der Verhältnisse in Bayern. Das Bundesschiedsgericht ist chronisch überlastet. Zeitweise war das Gericht nur mit einer Person besetzt. Die Fälle stapelten sich. Auf diesem Stapel liegen momentan auch die Parteiausschlussverfahren gegen Miazga und Geiger und die Amtsenthebung von Dörner.

Der Bundesvorstand scheint auch keine Antwort auf die Zustände in Bayern zu haben. In einer E-Mail von Parteichef Bernd Lucke adressiert an Geiger heißt es: "Ich komme leider mit meinen Mails nicht mehr hinterher." Es seien einfach zu viele, schreibt Lucke weiter. Die E-Mail endet mit dem Satz: "Bitte versuche Sie es entweder erneut oder überlegen Sie, ob Sie Ihr Anliegen anderweitig lösen können."

Die Enttäuschten in der Partei entscheiden sich jetzt für letzteres. Während der Wahlkämpfe sahen sie sich noch an innerparteilichen Burgfrieden gebunden. Nach der Europawahl ist damit Schluss. Sie gehen nun den Weg an ordentliche Gerichte und haben Anfang dieser Woche Strafanzeigen gegen den Landesvorstand und das Landesschiedsgericht wegen Nötigung und Rechtsbeugung gestellt.

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