Süddeutsche Zeitung

Bayerischer Landtag:Die AfD verheddert sich in ihrer Satzung

Der Vorstand der zerstrittenen Fraktion steht aktuell ohne Mehrheit da. Ein Machtwechsel ist dennoch nicht in Sicht, Grund sind die Statuten. Und für "Korinthenkackerei" hat man in der AfD schon seit jeher eine unbändige Leidenschaft.

Von Johann Osel

Die Lieblingslektüre eines jeden AfD-Politikers? Wohl eher nichts Literarisches, zumindest hat sich auf diesem Feld der Bundesvorsitzende Tino Chrupalla mal famos blamiert. Im Interview mit einem Kinderreporter hatte er gefordert, dass wieder mehr deutsche Gedichte gelernt werden: Die deutschen Dichter und Denker müssten in den Schulen gewürdigt werden. Auf Nachfrage des Buben, was denn sein Lieblingsgedicht sei, geriet er ins Stammeln - "fällt mir jetzt gerade keins ein". Nun gilt Chrupalla, mit Verlaub, nicht als die intellektuelle Speerspitze der AfD. Und ohnehin kursiert in der Partei ein ganz anderer Witz, was Mitglieder und Funktionäre denn am liebsten lesen. Klar, die Satzung!

Wer auf AfD-Parteitagen immer wieder erlebt, wie die Statuten da rauf und runter gebetet werden und die Stunde der Paragrafenreiter schlägt, weiß das. Und manche Mitglieder kokettieren ja selbst damit. Die einen behaupten: Man sei "Rechtsstaatspartei" - und wer strengste Regelauslegung etwa bei Zuwanderung und Abschiebung fordere, der müsse bei eigenen Angelegenheiten maximal penibel sein. Andere in der AfD räumen freimütig ein, dass bei ihnen "Korinthenkackerei zur DNA" gehöre; vielleicht als Erbe der Professoren in der Gründungszeit, bevor die AfD immer weiter nach rechts rutschte.

Am Mittwoch könnte es wieder knallen

In der bayerischen Landtagsfraktion ist in diesen Wochen jedenfalls wieder mal die Satzung der Star. Da beugen sich gerade alle drüber, interpretieren herum, suchen ein Schlupfloch. 14 Druckseiten hat die Satzung in aktuell gültiger Fassung, sie regelt etwa Rechte und Pflichten der Mitglieder - und die Bildung des Vorstands. Darum ist nun erneut Streit entbrannt. Es ist die Fortsetzung des Dauerclinchs zwischen dem Lager um die früheren Fraktionsvorsitzenden Katrin Ebner-Steiner und Ingo Hahn, das mehrheitlich dem formal aufgelösten völkischen "Flügel" nahesteht, und der nach eigener Lesart moderateren amtierenden Spitze: Fraktionschef Ulrich Singer mit seinen beiden Stellvertretern Gerd Mannes und Franz Bergmüller. Darüber hinaus geht es stark um persönliche Animositäten. Diesen Mittwoch zur Fraktionssitzung im Landtag könnte es wieder knallen. Und mittenmang steht die Satzung.

Im Herbst 2021 war die jetzige Führung ans Ruder gekommen, Ebner-Steiner und Hahn mussten ihre Chefsessel räumen. Durch einen Nachrücker nach einem Todesfall sowie Austritte, darunter von Singers Co-Fraktionschef Christian Klingen, hat sich inzwischen die Mehrheit verschoben. Die aktuelle Spitze kann nur noch auf acht der 17 Abgeordneten zählen, das Gegenlager auf neun. Abgewählt werden kann der Vorstand nicht so einfach, dazu wäre laut Satzung außerhalb turnusmäßiger Wahlen eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig. Mit seiner knappen Mehrheit würde das Lager um Ebner-Steiner aber offenbar gern den vakanten Co-Vorsitz (ehemals Klingen) nachbesetzen. Und einen ihrer Vertreter wählen, laut Fraktionskreisen wird regelmäßig Ingo Hahn dafür gehandelt. Theoretisch möglich, bei neun zu acht Stimmen. Doch jetzt wird's, siehe Satzung, kompliziert - und Korinthenkackerei ist Trumpf.

Auch der Posten des stellvertretenden parlamentarischen Geschäftsführers ist momentan unbesetzt, ebenfalls nach einem Fraktions- und Parteiaustritt. Dieser Job ist anders als ein optionaler zweiter Vorsitzender verbindlich in der Satzung vorgesehen. Würde man nun beide Posten nachbesetzen, säße mehr als ein Drittel aller Fraktionsmitglieder im Vorstand. Und das würde wiederum mit Paragraf 10, Absatz 1 der Satzung kollidieren, wo genau das untersagt ist. Demnach kann also gar kein Chef gewählt werden. Für eine Änderung von Paragraf 10 bräuchte es wiederum eine Zwei-Drittel-Mehrheit (Paragraf 19, Absatz 2). Über die verfügt eh keines der Lager. Eine Lösung des Konflikts ist nicht in Sicht.

"Durchregieren" ohne Mehrheit

Die AfD-Satzung räumt vor allem dem Vorstand eine ziemlich starke Stellung ein. Kurioserweise hat das Regelwerk die alte Führung um Ebner-Steiner geschaffen - damals wohl nicht ahnend, dass man irgendwann mal nicht mehr das Sagen haben könnte. Groß reden will niemand über die verfahrene Situation. Im Vorstandslager ist - nicht ohne genüssliche Note - zumindest zu vernehmen, Satzung sei eben Satzung, die dürfe man "nicht verbiegen". Wo käme man da hin!

Ein AfD-Mann, der nah dran ist, aber nicht direkt involviert, sagt: "Der Vorstand hockt sich ganz breit auf die Satzung und hält die anderen klein bis zur nächsten Landtagswahl." Ein "Durchregieren" also, auch ohne Mehrheit. So kleinkrämerisch die Satzungsexegese auch sein möge, "so ist halt das Geschäft". Immerhin sei es dem Lager um Ebner-Steiner anzurechnen, so der Insider, "nicht groß öffentlich Radau zu schlagen" - Stunk in den Medien vor der Landtagswahl brauche keiner. Dem Vernehmen nach nutzt die Neuner-Gruppe ihre knappe Mehrheit im Alltag aber schon zuweilen, zum Beispiel um umstrittene Landtagsanträge durchzukriegen, oder die Führung anderweitig zu piesacken. Oder schon bei der Tagesordnung von Fraktionssitzungen, die per Mehrheit beschlossen werden muss. Was angeblich öfters scheitert.

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