Christian Klingen und Markus Bayerbach haben ihre Fotos auf Facebook aktualisiert: Zwei blanke Porträtbilder stehen da am Montag, Gesichter ohne den sonst in der AfD üblichen Firlefanz aus Parteilogo oder knalligen Slogans. Weitere Erklärungen vermisst man. Die Fraktion selbst verschickt ein paar dürre Zeilen zu dem, was am Vortag die Runde machte: Klingen, einer der zwei Fraktionschefs, und Bayerbach, stellvertretender parlamentarischer Geschäftsführer, sind aus der AfD ausgetreten - und damit aus der Fraktion.
"Wir bedauern die Entscheidung der beiden ehemaligen Fraktionsmitglieder und fordern sie auf, ihr Landtagsmandat unverzüglich zurückzugeben", teilt der Sprecher mit. Ansonsten werde die AfD ihre Arbeit "im Interesse Deutschlands und Bayerns" fortsetzen.
Fast nichts gewesen, Übergang zur Tagesordnung? So einfach wird es nicht sein. Die AfD schrumpft weiter, von 22 Abgeordneten im Jahr 2018 auf nur noch 16. Und der erst im Herbst angetretene neue Fraktionsvorstand steht ohne Mehrheit da. Klingen löste damals mit Ulrich Singer die bisherige Spitze aus Katrin Ebner-Steiner und Ingo Hahn ab. Die Fraktion ist tief gespalten, zuvor hatte es einen Dauerkonflikt zwischen den beiden Lagern gegeben.
Der Montag ist ansonsten ein Tag des Rätselratens: sogar bei den eigenen Leuten, vorher informiert will keiner gewesen sein, wen man auch fragt in Fraktion oder Partei. Bayerbach selbst sagte der SZ, er sei "keiner für schmutzige Wäsche in der Öffentlichkeit", wolle den genauen Anlass nicht nennen. Es sei aber "keine Spontan-Reaktion", so was baue sich auf, "bis ein Punkt erreicht ist". Klingen teilte mit, es gebe "Entwicklungen", die er nicht mehr mittragen wolle.
Medien spekulierten über jüngste Aussagen in der AfD pro Putin oder die Aufnahme von Mitgliedern aus rechtsradikalen Vereinigungen. Da sich extremistische Vorfälle in der AfD seit Jahren zutragen, erscheint es aber unwahrscheinlich, dass ausgerechnet das nun der Anlass war.
Eine offene Erklärung in der Fraktion wird es wohl nicht geben. Schon in der nächsten Sitzung werden Klingen und Bayerbach nicht mehr dabei sein - und viele Ex-Kollegen betonen, mit denen eh kein Wort mehr zu reden. Und doch kommt in der Deutung kundiger Leute in Fraktion und Partei am Montag ein mögliches Motiv für die Austritte immer wieder: "Schiss". Gemeint ist: "Als Beamte die Hosen voll." Beide sind im Staatsdienst. Klingen war bis 2018 als Diplom-Verwaltungswirt an der Universität Würzburg Mitarbeiter für Arbeitssicherheit, der Augsburger Bayerbach ist Förderlehrer.
Kürzlich hat ein Gericht entschieden, dass der Verfassungsschutz die AfD als Verdachtsfall einstufen darf, es gebe "ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen". Damit könnte es in einem nächsten Schritt zur offiziellen Beobachtung der Gesamtpartei kommen - was ein Problem darstellen dürfte für Beamte, für deren Rückkehr nach dem Mandat oder gar für Pensionsansprüche. Von "Absetzbewegungen" aus diesem Grund reden daher viele in der AfD. Klingen und Bayerbach waren zwar zur Landtagswahl 2018 Spitzenkandidaten in Unterfranken und Schwaben - eine erneute Aufstellung aber ist nicht ausgemacht. Ebenso, ob die AfD mit ihren zuletzt sieben Prozent in Umfragen (Tendenz sinkend), überhaupt erneut in den Landtag kommt. Beide Abgeordnete, 59 und 57 Jahre alt, hätten noch einige Berufsjahre.
Klingen galt früher als Mann des völkischen "Flügels" in der AfD und Freund von Björn Höcke - just mit der Beobachtung des Flügels durch den Verfassungsschutz setzte er sich schon dort ab und stieß im Landtag zur "gemäßigteren" Gruppe, die im Herbst ans Ruder kam. Klingens Gattin, Kommunalpolitikerin der AfD, ist übrigens mit ihm ausgetreten. Bayerbach hadere auch damit, hört man, dass er für die Chat-Affäre "den Kopf hinhalten" musste.
Im Winter gab es Trubel, nachdem Umsturzfantasien aus einer AfD-Gruppe publik wurden. Folge war, dass Bayerbach, eigentlich stets als Liberaler auftretend, als Vorsitzender des Bildungsausschusses im Landtag abgesetzt wurde. Manche sagen, schon sein Eintritt in die AfD sei "ein Geburtsfehler" gewesen.
Unschönes wird den beiden nachgerufen. In einschlägigen AfD-Kanälen im Netz überschlagen sich die Wutreden über "Verrat" und "Rückgratlosigkeit". Dass es um Bayerbachs Expertise in der Bildung schade sei, wird zuweilen attestiert. Bei Klingen ist das anders. Da werde inhaltlich nichts fehlen, sagt einer, seine Anträge wie zur Begrünung von Bushäuschen in Unterfranken hätten eh keinen Mehrwert. "Mit Klingen verlässt uns nicht nur ein intellektueller Leuchtturm, sondern auch eine Stilikone", ätzt etwa der Bundestagsabgeordnete und Ex-Landeschef Petr Bystron; er meint wohl Klingens gerne behäbige Reden und bunte Krawatten.
Bemerkenswert: Es ist bereits der fünfte und sechste Austritt aus der AfD-Fraktion. Früh nahmen Markus Plenk, damals auch als Fraktionschef, und Raimund Swoboda Reißaus, sie rügten rechtsradikale Töne. Ende 2020 bei Ralph Müller waren es persönliche Differenzen. Zuletzt verließ Josef Seidl die Fraktion, der einige Monate später starb. Sein Nachrücker Oskar Atzinger ist vorerst fraktionslos, soll aber nach Beseitigung von Satzungshürden noch eintreten.
Aktuell steht es zwischen den Lagern acht zu acht. Wenn Atzinger dazustößt, würde wohl das Ebner-Steiner-Lager auf neun Leute wachsen. Abgewählt werden kann die jetzige Führung nicht, hierfür wäre eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig. Ebner-Steiner und Mitstreiter könnten aber Tagesordnungen bestimmen oder Rednerlisten und vieles blockieren. Der alte Konflikt dürfte die AfD aufs Neue lähmen. Konkrete Pläne für eine Nachwahl der Posten von Klingen und Bayerbach soll es noch nicht geben. In der Fraktion hieß es, man müsse sich "erst mal schütteln".