Süddeutsche Zeitung

AfD-Wahlprogramm:Ein "Risiko, dass das jemand liest"

Das Wahlprogramm der AfD in Bayern stößt selbst in der eigenen Partei auf Skepsis. Die gröbsten Peinlichkeiten wurden allerdings inzwischen beseitigt. Eine kritische Analyse.

Von Johann Osel

Die letzten Tage des Wahlkampfs verbringt Gerhard Großkurth mit dem Verteilen von Flyern. Der AfD-Kandidat aus Neu-Ulm will über seine Positionen und über sich informieren. Da geht es etwa um "zügellose Zuwanderung in die Sozialsysteme" und die "politische Amokfahrt" der Regierung. Parallel ist Großkurths Bekanntheitsgrad stark gewachsen, in sozialen Netzwerken, mit viel Spott flankiert. Denn in einer internen Online-Gruppe der AfD hatte er geschrieben: Nachdem er sich einen Eindruck vom Wahlprogramm verschafft habe, "sehe ich ein, dass es wohl besser ist, dieses nicht unnötig unter die Leute zu bringen. Mit zunehmender Verbreitung steigt das Risiko, dass das jemand liest". Flyer in Kurzform wolle er verwenden. Ein Kandidat warnt vor dem eigenen Programm?

Nachgefragt. Eine "Kohorte linksgrüner Verschwörungstheoretiker", meint Großkurth, versuche, seine Sätze "umzudeuten"; dabei sei er nur unzufrieden mit der "sprachlichen Umsetzung", meldet er kurz und knapp; der Wahlkampf ruft.

Zumindest ist das Programm mittlerweile ohne Peinlichkeiten. Den ursprünglichen Entwurf wollten die Mitglieder bei einem Parteitag in Nürnberg nicht verabschieden, viele schämten sich für zahlreiche Rechtschreib- und Grammatikfehler. Und für manch kuriosen Inhalt: Die AfD forderte zum Beispiel "Biertrinken für Bayern" - die Biersteuer solle in einen Staatsfonds fließen, der den "Ausverkauf" heimischer Firmen verhindere. Landeschef Martin Sichert riss dann die Sache an sich, überarbeitete das Programm und machte es - ohne Parteitag, wie eigentlich geplant - öffentlich. Doch auch das offizielle Programm hat keineswegs nur Freunde in der AfD. Dass die Kirchen darin als "Lobbygruppen" gegeißelt werden und staatliche Zuwendungen, vor allem für Bischöfe, wegfallen sollen, bringt Wahlkämpfer in den katholischen Landstrichen in Erklärungsnot vor konservativen Bürgern.

Die Forderung nach einer "Bayernrente", fix 1300 Euro, hat den Neoliberalen in der AfD die Sprache verschlagen. Dass das Programm den Landtag zum Teilzeitparlament mit nebenberuflichen Abgeordneten machen will, verstört jene, die von Karriereoptionen mehr getrieben sind als von politischem Ehrgeiz. Dennoch: Das Programm klingt insgesamt recht gediegen - im Vergleich zum realen Wahlkampf. So plädiert der Text für Ordnung in der Asylpolitik, Grenzschutz und Abschiebungen. Im Jargon vieler AfD-Leute heißt es dagegen, die Regierenden planten arglistig einen "Bevölkerungsaustausch". Das war einst ein Begriff ausschließlich der extremen Rechten. Das Programm will die Ausbreitung des "islamischen Herrschaftsanspruchs" unterbinden, zum Beispiel Minarette verbieten. Die niederbayerische Kandidatin Katrin Ebner-Steiner übersetzte das mal so: Sie kämpfe dafür, "dass Bayern nicht zu einer islamistischen Dönerbude verkommt".

Nicht im Programm stehen Worte wie "aufräumen" und "ausmisten", die man öfters von Kandidaten hört. Was das bedeuten könnte, lässt sich in den Facebook-Kommentaren auf AfD-Seiten nachlesen. Ungelöschte Kommentare. So werden Journalisten - "Steigbügelhalter des Volksverrats" - bei einer Machtübernahme "Besuch bekommen"; man werde "bei den linken Lehrern aussortieren"; Namen von Flüchtlingshelfern seien zu veröffentlichen, um sie "eines Tages vor Tribunale zu stellen". Auf der Seite eines unterfränkischen Bezirkstagskandidaten, der ein Foto zweier Schwuler zeigt, steht: "Einen Galgen, einen Galgen". Das Programm verheißt aber: "Die AfD steht für die Achtung der Menschenrechte."

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SZ vom 12.10.2018/huy
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