Süddeutsche Zeitung

Landespolitik:Eklat nach umstürzlerischen AfD-Chats

Die Generalstaatsanwaltschaft prüft die radikalen Äußerungen der AfD-Politiker, derweil geht es im Bildungsausschuss hoch her: Eine Mehrheit will den Vorsitzenden Bayerbach absetzen und eine AfD-Abgeordnete ausschließen.

Von Johann Osel und Viktoria Spinrad

Nach Bekanntwerden interner Chats mit radikalen Tönen von Politikern der bayerischen AfD prüft die Generalstaatsanwaltschaft München die Äußerungen. Übernommen wird das von der Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus, wie ein Sprecher mitteilte. Das sei aber nicht gleichbedeutend mit einem Ermittlungsverfahren. Am Mittwoch war durch einen Bericht des Bayerischen Rundfunks bekannt geworden, dass Teilnehmer der "Alternativen Nachrichtengruppe Bayern" unter anderem über gewalttätige Proteste und Umsturz diskutiert hatten. "Denke, dass wir ohne Bürgerkrieg aus dieser Nummer nicht mehr rauskommen werden", schrieb zum Beispiel die AfD-Abgeordnete und Bildungspolitikerin Anne Cyron in dem Chat. Ein Screenshot davon liegt auch der SZ vor.

Ein Statement, das neben Cyron nun auch den AfD-Abgeordneten Markus Bayerbach in Bedrängnis bringt. Der einzige Ausschussvorsitzende der AfD im bayerischen Landtag wird wohl bald als einfaches Mitglied im Gremium sitzen. Der Bildungsausschuss beantragte am Donnerstag fast einstimmig, Bayerbach abzusetzen. "Das Vertrauensverhältnis ist nachhaltig geschädigt. Sie wollten uns hinters Licht führen", sagte Matthias Fischbach (FDP). Bayerbach hatte zuvor den Mitgliedern auf Nachfrage versichert, nicht in den entsprechenden Chats gewesen zu sein. In diesem sollen nahezu alle bayerischen Landtags-, Bundestagsabgeordneten und Mitglieder des Landesvorstands vertreten gewesen sein.

Bayerbach klagt, er werde in "Sippenhaft" genommen

Kurz darauf entpuppte sich Bayerbachs Aussage zumindest als ungenau, als sich Fischbach abermals zu Wort meldete. Ihm lägen seitens des BR Informationen vor, dass Bayerbach durchaus in den Chatgruppen aktiv war und dort 458 Äußerungen getätigt habe. "Stimmt das?", so Fischbach. Bayerbach wand sich und betonte, dass er seit Dezember "definitiv nicht mehr aktuell dadrin" sei. Nach der Sitzung sprach er am Telefon von einer "guten Inszenierung mancher Leute". Er sei "irgendwann mal" in den ganzen Gruppen gewesen. "Das war mir zu blöd, was da drin abgeht", sagte er. Wegen eines Handywechsels hätte er die Verläufe vom Dezember auch gar nicht mehr. Sein Eindruck sei, dass er nun in "Sippenhaft" für die Äußerungen einer Parteikollegin genommen werde. Er betonte: "Ich lehne jegliche Form von Gewalt ab."

Der Schwabe, der innerhalb der Fraktion als politisch gemäßigt gilt und seit Kurzem stellvertretender parlamentarischer Geschäftsführer der AfD ist, leitet den Bildungsausschuss bisher relativ unaufgeregt, eine "positive Überraschung", hieß es lange. Viele Mitglieder beobachten den Förderlehrer dennoch mit Argwohn - bei einer Kranzniederlegung auf einer Ausschussreise in St. Petersburg etwa sprach sich eine Mehrheit dagegen aus, dass Bayerbach die Ansprache hält. Das übernahm stattdessen Gerhard Waschler (CSU) als Dienstältester.

Der Ausschuss startete am Donnerstag bereits turbulent. CSU, FW, SPD, Grüne und FDP hatten eine Resolution vorbereitet mit der Forderung an Bayerbach, Anne Cyron aus dem Ausschuss auszuschließen und sich von ihren Äußerungen zu distanzieren. Der Ex-Kultusminister und Antisemitismusbeauftragte Ludwig Spaenle (CSU) drohte gar mit einem Boykott: Solange Cyron im Ausschuss sei, "kann ich meine Mitarbeit hier nicht mehr sicherstellen". Cyron war zwar digital zugeschaltet, blieb aber stumm. Seit der Landtag die 3-G-Regelung eingeführt hat, war sie dort nicht mehr anzutreffen.

Cyron sagte nach der Enthüllung, sie habe gar nicht zum Bürgerkrieg aufgerufen, sondern davor gewarnt: "Meine Befürchtungen gehen durchaus in die Richtung, dass es zu irgendeinem Zeitpunkt zu dieser Destabilisierung kommen könnte, wenn Grundrechte (...) temporär oder auf Dauer außer Kraft gesetzt werden." Der volle Chatbeitrag, der der SZ vorliegt, zeigt aber im Nachsatz von Cyron, man wird "Polizei und Militär gegen uns in Stellung bringen". AfD-Landeschef Stephan Protschka sagte, die Vorwürfe seien politisch motiviert. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte am Donnerstag, "wir sind von der AfD viel gewohnt, aber das hat eine völlig neue Qualität". Das könne Anlass für den Verfassungsschutz zur Beobachtung sein, "wir müssen uns dagegen wehren". Derzeit werden in Bayern nur der völkische "Flügel" und der AfD-Nachwuchs beobachtet.

Wie geht es weiter im Ausschuss? Am Donnerstag war Cyron zum ersten Mal ganz am Schluss zu hören. Nachdem sie durchgängig kein Votum abgegeben hatte, rief sie der stellvertretende und nun designierte Interims-Vorsitzende Tobias Gotthardt (FW) zu ihrem Votum bei einer Petition auf. Sie schließe sich den Ausführungen von Herrn Bayerbach an, so Cyron - nur hatte der gar nichts gesagt. "Dann enthalte ich mich", sagte Cyron. Der Ausschuss will Bayerbach voraussichtlich Ende Januar in nichtöffentlicher Sitzung abwählen. Der AfD stünde dann ein Ersatzvorschlag zu, als einziges weiteres AfD-Mitglied im Ausschuss käme nur Cyron in Betracht. Die AfD wird sie wohl austauschen gegen jemanden, der um das Vertrauen des Ausschusses wirbt. Misslingt dies, würde Tobias Gotthardt stellvertretend weiter wirken.

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