Seit 33 Jahren schon führt Georg Deichhardt gemeinsam mit seiner Frau die landärztliche Hausarztpraxis in Ipsheim. Er hat in dieser Zeit so manches neue System eingeführt, darunter etwa die Krankenversicherungskarte, die Patienten heute selbstverständlich beim Eintritt in die Praxis zücken. Die elektronische Patientenakte (ePA), die bundesweit im Laufe dieses Jahres alle Patienten erhalten sollen, kann ihn deshalb kaum schrecken. Im Gegenteil, er hat sich freiwillig als eine der Praxen gemeldet, die die ePA derzeit in Franken testen.
Franken ist eine der drei Modellregionen, in denen die ePA vor ihrem bundesweiten Start erprobt werden soll. Die teilnehmenden Praxen dort sollen mögliche Fehler aufspüren, damit es später deutschlandweit in den mehr als 98 000 Praxen rundläuft. „Die ePA kommt sowieso“, erklärt Deichhardt sein Interesse. Als Test-Praxis habe man aber vielleicht noch die Chance Einfluss zu nehmen, wenn es bei der Software hakt. Praxen in Deutschland arbeiten mit 100 verschiedenen Verwaltungssystemen. Jedes muss die neue Technik integrieren. Deichhardt kann jetzt seinem Anbieter konkret Feedback geben. Bisher allerdings hat er wenig zu klagen. „Unaufgeregter und sanft“, sei der Start verlaufen.

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Die elektronische Patientenakte soll das Leben von Patienten und Ärzten leichter machen. „Sie ist der dicke Aktenordner mit Krankheitsbefunden und Arztbriefen, den der interessierte Patient schon immer zu Hause hatte“, erklärt Deichhardt. Über eine App auf dem Handy kann dieser Ordner nun immer in der Tasche sein – und dazu vollständiger denn je. Denn – sofern der Patient das will – künftig landet vom E-Rezept bis zum Bonus-Heft beim Zahnarzt alles automatisch in der digitalen Akte. „Die Akte ist eine patientengeführte Sache“, betont Deichhardt. Der Patient entscheidet, ob Ärzte und Apotheken die Dokumente einsehen dürfen und für wie lange. Der Patient kann alle Dokumente einsehen, herunterladen und auch löschen.
Für Patienten kann die elektronische Akte also Vorteile bringen. Aber auch die Ärzte erwarten sich einen Nutzen für die Behandlung und auch für die Praxisabläufe. Mit einem Blick sehen sie künftig, welche Medikamente andere Ärzte schon verordnet haben. Eine Patientin berichtet, dass sie ein Antibiotikum beim Zahnarzt nicht vertragen habe. Nur welches? Früher musste man da lange nachforschen, sagt Deichhardt. Heute reiche ein Blick auf den Monitor. Auch andere Ärzte aus der Modellregion Franken hatten bereits solche positiven Erfahrungen. Ein Neu-Patient mit Parkinson wusste nicht genau, welche Medikamente er bekomme. Die Akte wusste es, berichtet der Hausarzt Nicolas Kahl aus Nürnberg-Fischbach. „Wir setzten große Hoffnung in die ePA, weil wir in unserem Praxisalltag schon viel Zeit damit verbringen, alten Befunden hinterherzurennen“, erzählt er.
Solche Befunde könnten sich künftig alle in der ePA finden. Allerdings nur, wenn Kliniken und Fachärzte sie dort auch hinterlegen. Einen solchen Fall hatten sie in der Testphase noch nicht, sagt Kahl. Die Testphase, die seit Anfang des Jahres läuft, ist dafür noch zu kurz. Der echte Nutzen der ePA für die Ärzte liegt also eher in der Zukunft. Und das auch nur, wenn das System für die Ärzte leicht zu handhaben ist. Der Schlüssel zum Erfolg werde die einfache Nutzung im normalen Praxisalltag sein, sagt Zahnarzt Bernhard Grimm, dessen Praxis ebenfalls an der Testphase teilnimmt. Das Hochladen müsse einfach und schnell funktionieren. Bislang sind die Ärzte da ganz zufrieden. Aber es gibt in den Akten noch nicht viel zu sehen. Überspitzt gesagt habe Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mit der ePA nur 74 Millionen leere Aktenordner verteilt, sagt Deichhardt – und das nach 20 Jahren Diskussion über dieses Thema.
Nur ein kleiner Teil der Patienten lehnt bislang die ePA ab
Die lange Diskussion über die ePA, sie hängt auch mit Sorgen rund um die Digitalisierung der sensiblen Daten zusammen. Wie gut sind die Dokumente vor dem Zugriff Fremder geschützt? Diese Frage treibe die Bürger schon um, berichtet Sophia Wenzel, vom Netzwerk „Health care by your side“, das im Auftrag des bayerischen Gesundheitsministeriums Infoveranstaltung zum Thema Digitalisierung im Gesundheitswesen organisiert. Die ePA sei genauso gut geschützt wie jedes Onlinebanking, sagt sie dann. 15 Veranstaltung zur ePA hat das Netzwerk in diesem Jahr bereits in Franken organisiert, noch mal so viele sind geplant. Viele Bürger seien anfangs skeptisch und würden dann doch das Potenzial sehen, sagt Wenzel.
Die gleiche Erfahrung hat auch Hausarzt Deichhardt gemacht. Er hat seine Patienten über die eigene App der Praxis vorab über die Neuerung informiert. Die wenigsten Patienten hatten Rückfragen. Ein kleiner Teil lehnt die ePA grundsätzlich ab und hat die Nutzung für sich ausgeschlossen. Nach neuesten Daten der Gematik, die Firma, die Einführung der ePA koordiniert, sind das vier Prozent. Aber es gibt auch Patienten, die selbst anfangen, ihre Akte zu pflegen, alte Medikamentenlisten abfotografieren und hochladen. Das seien nicht nur die jungen Patienten, sondern auch viele aus der Gruppe der 50- bis 70-Jährigen so Deichhardt. Sie können dafür auch die Hilfe ihrer Krankenkassen in Anspruch nehmen. Bis zu zehn Befunde pro Jahr müssen die Kassen für ihr ihre Mitglieder digitalisieren.