Ärzte-Betrugsverfahren:Staatsanwälte weisen Vorwürfe im Fall Schottdorf zurück

Labor Schottdorf in Augsburg, 2014

Das Labor Schottdorf in Augsburg.

(Foto: Stefan Puchner)

Die bayerische Justiz ist wieder mit Skandalvorwürfen konfrontiert - die Augsburger Staatsanwaltschaft soll Tausende kriminelle Ärzte geschont haben. Doch im Fall Schottdorf gehen drei ranghohe Staatsanwälte im Landtag zum Gegenangriff über.

Von Mike Szymanski

Die Vorwürfe wiegen schwer. Zu schwer offenbar für einen allein, um sie zu entkräften: Drei Top-Strafverfolger der bayerischen Justiz haben ganz vorne im Saal 3 des Landtags, wo seit kurz nach neun Uhr am Donnerstag der Rechtsausschuss tagt, Platz genommen: Reinhard Nemetz, der Leiter der Staatsanwaltschaft Augsburg. Sein Kollege von der Staatsanwaltschaft München I, Manfred Nötzel. Der Münchner Generalstaatsanwalt Christoph Strötz ist auch gekommen. Justizminister Winfried Bausback (CSU), der in Berlin ist, hat Helmut Seitz, den Leiter der Strafrechtsabteilung in seinem Ministerium als Vertreter geschickt.

In Mannschaftsstärke kämpfen sie heute gegen einen ungeheuerlichen Verdacht an: Hat die bayerische Justiz Tausende Ärzte geschont, die womöglich bei der Abrechnung von Laborleistungen betrogen haben? Und hat sie stattdessen regelrecht Jagd auf zwei Kriminalbeamte gemacht, die sich damit nicht abfinden wollten?

Das Wort "Skandal" flirrt seit Tagen durch den Landtag, das erklärt das Großaufgebot der Justiz. Sie will erklären. Und sie will sich verteidigen. Es ist das erste Mal seit Bekanntwerden der Vorwürfe, dass sie Stellung bezieht. Es steht auch schon fest, dass ein Untersuchungsausschuss den Fall aufarbeiten wird.

Im Kern dreht sich alles um die Frage, warum die Staatsanwaltschaft Augsburg im Januar 2009 Verfahren gegen knapp 150 Ärzte eingestellt hatte, die mit falsch abgerechneten Laboruntersuchungen Kasse gemacht hatten. Rechtlich war damals umstritten, ob ihnen Betrug vorzuwerfen war. Aber gerade deshalb sollte eine Entscheidung in einem Musterverfahren gegen einen Münchner Arzt abgewartet werden.

Die Masche sah so aus: Die Ärzte ließen die Blutproben beim Augsburger Laborunternehmer Bernd Schottdorf untersuchen, rechneten sie aber bei den Patienten so ab, als hätten sie sie selbst erbracht. Hinzu kommt, dass Schottdorf ihnen viel weniger für die Proben berechnete, als sie von ihren Patienten verlangten. Die hatten stattdessen das zu bezahlen, was die Gebührenordnung hergab.

Schottdorf sicherte sich so seine Kunden. Bei den Ärzten stießen die Ermittler auf Rohgewinne von bis zu 55 000 Euro. Und der Patient? Er hatte ja sein Blut untersucht bekommen. Und er hatte so viel dafür bezahlt, wie von der Gebührenordnung vorgesehen. Betrug? "Nicht ohne Weiteres", erklärt Seitz, der Spitzenbeamte aus dem Ministerium, die damalige Rechtsmeinung. Das Münchner Musterverfahren hätte den Zweifelnden einen Fingerzeig geben können. Doch dazu kam es nicht. Die Staatsanwaltschaft Augsburg stellte einfach ein. Sie unternahm auch nichts, um in vielen anderen Fällen eine Verjährung zu verhindern. Bis zu 3000 Ärzte "unter Generalverdacht" zu stellen, erschien der Staatsanwaltschaft "unter keinem Aspekt gerechtfertigt".

Nur wenige Worte des Bedauerns

Eine Fehlentscheidung. Das Münchner Landgericht verurteilte den Arzt wegen Betrugs und 2012 schloss sich auch der Bundesgerichtshof dieser Sicht an. Seitz erklärt vor den Abgeordneten: "Aus heutiger Sicht befriedigt das vorliegende Ergebnis nicht." Es sind die einzigen Worte des Bedauerns, die fallen. Reinhard Nemetz aus Augsburg sagt: "Wir konnten nichts machen als die Verfahren einzustellen."

Als Nemetz berichtet, dass die Staatsanwaltschaft auch nach dem Ausgang des Münchner Pilotverfahrens 2010 nicht tätig wurde, obwohl man die Situation noch einmal besprochen hat, macht sich beim SPD-Abgeordneten Horst Arnold - früher selbst Richter - Ärger Luft: Die Staatsanwaltschaft hätte längst ihren Kurs überdenken und über die Verjährung reden müssen, verlangt er. Ausschuss-Chef Franz Schindler, SPD, erinnert die Justizvertreter zwischenzeitlich daran, dass das Landeskriminalamt wohl kaum "Hühnerdieben" auf der Spur gewesen sein werde, wenn zwischenzeitlich immerhin 17 Ermittler der "Soko Labor" angehört hätten und dem Abrechnungsbetrug nachgingen.

"Nicht von irgendwelchen komischen Dingen beeinflussen lassen"

Je länger die Sitzung andauert, desto schärfer wird in Saal 3 der Ton. Es sind vor allem die Strafverfolger, die immer selbstbewusster auftreten. Florian Streibl, Rechtsexperte der Freien Wähler, der zuletzt fast täglich Aufklärung gefordert hatte und einen Skandal wittert, muss sich von Generalstaatsanwalt Strötz ermahnen lassen. "Herr Streibl, ich bitte Sie! Bleiben wir sachlich." Strötz ist es auch, der den Abgeordneten ein ums andere Mal eine Mitverantwortung zuschreibt. Er verstehe ja auch die Ermittler, wenn es bei ihnen "Unbehagen" auslöse, wie die Mediziner im Gesundheitssystem Geld verdienen könnten. "Da sind sie gefordert. Die Gesetzgeber. Dann brauchen wir für diese Sachverhalte eine gesetzliche Regelung." Die Justiz habe sich nichts vorzuwerfen. "Wir haben nach Recht und Gesetz gehandelt und uns nicht von irgendwelchen komischen Dingen beeinflussen lassen", sagt Strötz.

Nötzel, der Leiter der Staatsanwaltschaft München I, behauptet sogar, dieser Fall sei "nichts Besonderes". Ob Pharmaindustrie oder Medizintechnik, überall werde versucht, die Grenzen auszureizen, "um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen". Er richtet sich an die Abgeordneten im Ausschuss und spricht sie als "personifizierte Gesetzgeber" an. Bei dieser Gelegenheit möge er doch anregen, "dass sich vielleicht jemand mit dem Thema befasst, warum solche Gewinnspannen drin sind". Für ihn scheint auch klar zu sein, dass ein Untersuchungsausschuss der Justiz keine Versäumnisse werde nachweisen können. "Viel Unerklärbares wird nicht übrig bleiben", sagt er.

Dies lässt Ausschuss-Chef Schindler so nicht stehen. Zwar habe er Respekt, wenn jemand schon so weit in die Zukunft blicken könne. Anderseits sei auch noch nicht der Moment gekommen, Plädoyers zu halten. Für die CSU im Ausschuss ist mit dem Auftritt der Strafverfolger der Fall erledigt. Der Abgeordnete Franz Rieger sagt, der Fall habe "keine politische Dimension", deshalb brauche es auch keinen Untersuchungsausschuss. Franz Schindler sieht das anders. Er sagt hinterher, dass er zwar nicht glaube, einem Justizskandal auf der Spur zu sein. Aber Fragen blieben. "Es ist immer schlecht, wenn manches so im Ungewissen bleibt."

Wie es juristisch weitergeht

Von Stefan Mayr

Parallel zum politischen Nachspiel der Labor-Affäre schreitet auch deren juristische Aufarbeitung voran. Dabei hat der Freistaat Bayern eine bemerkenswerte Stellungnahme über den klagenden LKA-Beamten Robert Mahler abgegeben: "Der Kläger steht sich offensichtlich selbst im Weg", schreibt Rechtsanwalt Gero Himmelsbach im Auftrag des Freistaats. Und weiter: "Der Kläger ist nicht in der Lage, Dinge ,abzuschließen', da er offensichtlich übersteigertes ,Unrechtsbewusstsein' hat." Dies manifestiere sich "im dienstlichen wie im außerdienstlichen Verhalten", so Himmelsbach. Als Beleg führt er Mahlers "Mitwirkung bei einer Buchveröffentlichung" an, in der sein Fall dargestellt werde.

Diese Anmerkungen finden sich in einer Stellungnahme der Münchner Anwaltskanzlei Romatka & Collegen, die in diesem Fall den Freistaat vertritt, an das Landgericht München I. Der Freistaat wirft also einem Polizisten, der einen möglichen Skandal aufdecken will, indem er an die Öffentlichkeit geht, "übersteigertes Unrechtsbewusstsein" vor? Ob diese Argumentation die Vorwürfe des Kriminalhauptkommissars entkräften kann, muss nun das Landgericht München I entscheiden. Robert Mahler jedenfalls kann die Argumentation der Gegenseite nicht nachvollziehen: "Ich bin entsetzt, wie die Verantwortlichen ihre Verachtung vor dem Recht und der Moral offen zur Schau stellen."

"Übersteigertes Unrechtsbewusstsein"

Mahler wirft den Behörden vor, ihn "exzessiv und unvertretbar" mit strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und auch einem Disziplinarverfahren überzogen zu haben. Die Staatsanwaltschaft München I hatte gegen Mahler wegen des Verdachts auf Verfolgung Unschuldiger und Verleitens zum Verrat ermittelt. Die Verfahren zogen sich mehr als zwei Jahre hin, dann wurden sie eingestellt. Weil im Laufe dieser Zeit Mahlers Beförderung verzögert und seine Gesundheit beeinträchtigt wurde, fordert er per Amtshaftungsklage Schadenersatz und Schmerzensgeld in Höhe von 18 000 Euro. Die Kanzlei & Collegen hat ihrerseits die Abweisung der Klage beantragt. Robert Mahler hat nun vier Wochen Zeit, um auf diesen Antrag zu antworten.

Mahlers LKA-Kollege Stephan Sattler, gegen den ebenfalls zwei Jahre lang ermittelt wurde, hat Anzeige wegen des Verrats persönlicher Geheimnisse erstattet. Der Süddeutschen Zeitung liegt ein Brief des Polizeipräsidiums vor, in dem dieses bestätigt, dass die Staatsanwaltschaft München I ein Computer-Laufwerk und E-Mail-Accounts des Polizisten ohne Durchsuchungs- oder Beschlagnahmebeschluss ausgelesen hat. Die Frage, ob dieses Vorgehen mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Online-Durchsuchungen vereinbar ist, ließ die Staatsanwaltschaft auf SZ-Anfrage am Donnerstag unbeantwortet.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: