Süddeutsche Zeitung

Grüne in Bayern:Wie Claudia Stamm ihre Partei provoziert

Die Landtagsabgeordnete steuert ihren ganz eigenen Kurs. Doch was ist ihr Ziel?

Von Katja Auer und Wolfgang Wittl

Am Montag ging die Auseinandersetzung munter weiter, wenn auch vermeintlich freundlich verpackt. "Gute Debatte mit gutem Ergebnis. Uns geht's ja schließlich um die Inhalte, gell?", twitterte der frühere Grünen-Landesvorsitzende Dieter Janecek. "Eben! Das kann man dann gern auch in Debatte so darstellen!", konterte Claudia Stamm. Jene Frau also, die mit ihrem Antrag die bayerischen Grünen auf dem Landesparteitag vor eine Zerreißprobe gestellt hatte.

Jeder andere Delegierte hätte diesen Antrag stellen können, jemand von der Basis vielleicht, da war der Ärger schließlich groß. Aber es war ausgerechnet die Landtagsabgeordnete Stamm, eine Mandatsträgerin. Sie forderte, der Parteitag solle den Entschluss der Bundestagsfraktion und der Länder mit grüner Regierungsbeteiligung missbilligen. Sie hatten das jüngste Asylpaket mitgetragen. Man kann es zur Entscheidung zwischen Idealismus und Realismus stilisieren, die jene gewannen, die reale Politik machen wollen. Aber eben nur knapp mit 135 zu 123 Stimmen, obwohl die Führungsriege sich mit Nachdruck gegen den Antrag ausgesprochen hatte.

Eigenwillige Aktionen der Abgeordneten

Dass es eine aus der Landtagsfraktion war, die sich gegen die eigenen Bundestagsabgeordneten stellte, ärgerte so manchen in Bad Windsheim. Und dann noch Claudia Stamm. Seit die Rundfunkjournalistin im April 2009 für die frühere Schauspielerin Barbara Rütting in den Landtag nachrückte, fällt sie immer wieder mit eigenwilligen Aktionen auf. Nun sind die Grünen ohnehin eine Fraktion von Individualisten, aber Stamms Eigensinn ist einigen zu viel.

"Die ist weder besonders links noch besonders rechts, die will einfach auffallen", schimpfte ein Fraktionskollege über die Aktion in Bad Windsheim. Stamm kann mit solchen Sätzen nicht viel anfangen. Es gehe ihr um die Sache, nicht um persönliche Interessen. Sie habe nicht das Gefühl gehabt, in eine Partei einzutreten, in der man immer einer Meinung sei, sondern in der man um Positionen ringe. Ein geschlossenes Auftreten habe nur Wert, "wenn man vorher ausführlich und kontrovers diskutiert hat". Das hat die 45-Jährige früh gelernt. Obwohl ihre Eltern das CSU-Parteibuch haben (ihre Mutter ist Landtagspräsidentin Barbara Stamm), schloss sich Claudia Stamm den Grünen an. Sie sagt, sie habe gewiss "ein großes Potenzial an Ringen um politische Meinungen mitgekriegt".

Dieses Potenzial schöpft sie ungeniert aus. Beim G-7-Gipfel machte sie sich innerparteilich dafür stark, das Versammlungsrecht am Veranstaltungsort einzufordern - auch hier auf Konfrontationskurs gegen die vorherrschende Linie. Mancher in der Fraktion verdreht die Augen, wenn der Name Stamm fällt. Publikumswirksam, unbequem, profilierungssüchtig, so lauten die weniger netten Beschreibungen. Selbst Gegner sprechen ihr jedoch nicht ab, dass sie weiß, wovon sie redet.

Ende September fuhr Stamm mit einem Kleinbus voller Hilfsgüter nach Kroatien, um sich ein Bild von der Flüchtlingslage zu verschaffen. Sie sah notleidende Menschen auf nassen Wiesen oder sogar Gräbern schlafen, sie pflegt den regelmäßigen Austausch mit Asyl-Anwälten oder Hilfsorganisationen. Sie wird zornig, wenn sie erfährt, dass nachts Menschen abgeschoben werden, die schon jahrelang in Bayern wohnen.

Stamm nimmt für sich in Anspruch, dass sie weiß, wie die Realität aussieht. Deshalb kann sie auch nicht verstehen, wenn ihr vorgeworfen wird, keine Realpolitikerin zu sein. Es gebe so viele freie Liegenschaften, die der Staat für Flüchtlinge bereitstellen könne. Man müsse daher "nicht in den grundrechtlichen Giftschrank" greifen, wie mit den Asylrechtsverschärfungen nun geschehen, findet Stamm.

Seit Stamm im Parlament ist, wird sie für höhere Ämter bei den Grünen gehandelt. Sie schnappte sich gleich den wichtigen Posten der Haushaltssprecherin und ließ sich nach der Landtagswahl 2013 auch schon als potenzielle Herausforderin von Margarete Bause als Fraktionschefin handeln. Sie dementierte nichts, erklärte sich aber auch zu nichts bereit, ließ die Gerüchte wabern. Dann kandidierte sie doch nicht. Das gefiel vielen nicht, weil es aussah, als ob sie sich selbst profilieren wollte, Bause aber gleichzeitig schwächte.

Stamm wird auch weiterhin anecken

Es ist Stamms Selbstbewusstsein, das manchen gewaltig auf die Nerven geht. Andererseits hat es ihr auch schon geholfen, wie vor der Landtagswahl, als sie aus München nach Rosenheim wechselte und sich in diesem schwierigen Umfeld trotzdem durchsetzte. Als die Grünen vor vier Jahren schon einmal in Bad Windsheim zu einem Parteitag zusammenkamen, war es ebenfalls Claudia Stamm, die für eine Schlagzeile gut war: Damals wollte sie Landrätin im Kreis Ansbach werden, wo im März 2012 gewählt wurde. Ihre Bereitschaft stieß nicht auf ungeteilte Zustimmung, da Stamm gebürtige Würzburgerin ist, seit vielen Jahren in München lebt und noch nie in der Kommunalpolitik aktiv war, auch wenn sie eine OB-Kandidatur in München erwogen hatte. Dennoch verdoppelte sie den Stimmenanteil auf fast 20 Prozent.

Auch in Zukunft wird Stamm anecken, wenn sie von etwas überzeugt ist. Über den Kurs der Grünen, sich als regierungsfähig zu zeigen, sagt sie: "Eine Opposition verliert an Berechtigung, wenn sie auf Dauer simuliert, Regierung zu sein." Fraktionschefin Bause weiß das einzuordnen. Wenn nicht mal bei den Grünen mehr gestritten werden dürfe - wo denn dann? Stamms Zustimmung dürfte ihr hier sicher sein.

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SZ vom 20.10.2015/vewo
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