Abzocke am Telefon:Betrüger erbeuten Millionen mit Schockanrufen

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Sie geben sich am Telefon als Anwälte aus und gaukeln vor, ein Angehöriger habe einen schweren Unfall verursacht: Betrüger bringen alte Menschen aus der früheren Sowjetunion reihenweise um ihr Geld. Zuletzt trieben zwei Banden in Ingolstadt und Nordschwaben ihr Unwesen.

Stefan Mayr

Der "Enkeltrick" hat sich herumgesprochen, nun versuchen es die Betrüger mit einer neuen, noch raffinierteren Masche: mit "Schockanrufen". Dieses Phänomen hält derzeit die Polizei in ganz Bayern auf Trab, seit einigen Monaten werden vor allem alte Menschen am Telefon überrumpelt.

Die Betrüger geben sich meist als Anwälte aus und gaukeln vor, ein Angehöriger des Angerufenen habe einen schweren Unfall verursacht. Dabei sei ein Kind verunglückt, es müsse sofort operiert werden. Bei sofortiger Zahlung der Kosten werde die Familie des Kindes keine Anzeige erstatten, andernfalls komme der Unfallverursacher ins Gefängnis. Wenig später klingelt ein Geldbote an der Tür, um das Geld abzuholen. Der Trick funktioniert: In diesem Jahr wurde in Bayern bereits mehr als eine Million Euro erbeutet.

"Seit dem Jahreswechsel haben wir einen enormen Anstieg solcher Trickanrufe", sagt Manuel Klughardt vom Landeskriminalamt (LKA). Im ersten Halbjahr 2012 wurden 579 Fälle aktenkundig, das sind 150 Prozent mehr als im zweiten Halbjahr 2011. Etwa jeder vierte Anruf führt nach Angaben des LKA zum Erfolg, allerdings geht die Polizei von einer hohen Dunkelziffer aus.

Zuletzt trieben zwei Banden im Großraum Ingolstadt und in Nordschwaben ihr Unwesen. Am vergangenen Donnerstag drückte eine 83-jährige Rentnerin aus Manching einem unbekannten Mann nicht weniger als 11.000 Euro in die Hand. Dabei gingen die Betrüger besonders dreist vor: Nachdem sie zunächst 3000 Euro erhalten hatten, riefen sie nochmals an und forderten weitere 8000 Euro - mit Erfolg.

Tags darauf wurden die Täter allerdings gefasst. "Am Freitag meldeten mehrere Personen aus Manching bei der Polizei solche Schockanrufe", berichtet Michaela Grob von der Polizei Ingolstadt. "Daraufhin haben wir alles, was laufen konnte, nach Manching geschickt." Dort fiel den Beamten schnell ein goldfarbener BMW mit litauischem Kennzeichen auf. Im Auto befanden sich mehrere tausend Euro Bargeld. Die drei Insassen, litauische Staatsangehörige im Alter von 30, 31 und 36 Jahren, wurden festgenommen.

Drei Tage zuvor wurden in Kühbach (Landkreis Aichach-Friedberg) zwei litauische Brüder im Alter von 23 und 35 Jahren festgenommen. Eine 79-jährige Aussiedlerin aus Kasachstan hatte nach dem Schockanruf ihren Sohn und ihren Enkel verständigt. Diese hielten den Geldboten fest, bis die Polizei ihn abholte. Ende Juni hatte die Polizei Schweinfurt zwei Litauer im Alter von 20 und 22 Jahren festgenommen, nachdem sie einer 81-jährigen Frau aus Haßfurt 3000 Euro abgeknöpft hatten.

Obwohl alle erwischten Täter aus Litauen stammen, hat die Polizei noch keine Erkenntnisse, ob sie einer kriminellen Organisation angehören. Es könnte sich auch um Einzeltäter handeln, die unabhängig voneinander agieren. Fest steht aber, dass die meisten Schockanruf-Opfer aus den ehemaligen Sowjetrepubliken stammen und dass die Täter meist russisch sprechen. Laut LKA sind die Betrüger vorwiegend in den Ballungsräumen München, Nürnberg und Augsburg sowie im Regierungsbezirk Unterfranken unterwegs. Viele Fälle sind bis heute ungeklärt.

Das Polizeipräsidium Augsburg nimmt die "grassierende Welle" der Schockanrufe zum Anlass für eine Aufklärungsveranstaltung: Vor einem Supermarkt, in dem russische Produkte verkauft werden, informiert es potenzielle Opfer über die Betrügermasche. Dabei verteilen die Beamten Flugzettel in deutscher und russischer Sprache. Manuel Klughardt vom LKA betont, dass die Betrüger "sehr, sehr geschickt" vorgehen: "Die Anrufer entscheiden sehr flexibel, welche Masche sie anwenden - Enkeltrick oder Schockanruf."

Er berichtet von einem Fall in Augsburg, bei dem keine Seniorin den Hörer abhob, sondern deren 15-jährige Enkelin. Am anderen Ende weinte eine Frau. Dann übernahm ein Mann das Gespräch und erfragte auf russisch die Namen der Mutter und der Großmutter. Er behauptete, ihre Mutter sei im Krankenhaus und benötige dringend Geld. Das schockierte Mädchen sammelte Geld und Schmuck zusammen und gab sie einem Mann, der an der Haustür klingelte. Der Schaden beträgt 2000 Euro, die Täter sind unbekannt.

© SZ vom 18.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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