Süddeutsche Zeitung

Abspeck-Programm aus Bayern:Messias der Molligen

In Hollywood raunen sich die Stars seinen Namen zu: Wolf Funfack, ein Landarzt aus dem oberbayerischen Isen, hat ein Abspeck-Programm entwickelt und damit weltweit Erfolg. Ernährungswissenschaftler halten das Programm aber für Humbug.

Ulrike Heidenreich

Dass sich die Schönen, Reichen und Dicken oben in den Hollywood Hills neuerdings den Namen Isen zuraunen, liegt nicht daran, dass diese kleine Marktgemeinde in den sanften Hügeln Oberbayerns besonders viel Glamour verströmt - abgesehen davon, dass in dieser Gegend in den 80er Jahren die Serie "Irgendwie und Sowieso" gedreht wurde.

Es gibt hier keinen einzigen roten Teppich, trotzdem schwören international bekannte Schauspielerinnen wie Jennifer Aniston und Kate Winslet oder regionale Größen wie Sonja Kirchberger und Katerina Jacob auf die Heilslehre, die ein Landarzt hier im schönen Isental entwickelt hat. Sie heißt "Metabolic Balance" und scheint, wenn man der Selbstdarstellung des Unternehmens glaubt, wahre Wunder zu bewirken, wenn man ein paar bis einhundert Kilogramm zu viel auf den Rippen hat.

Wolf Funfack ist jener Landarzt, der vor ziemlich genau zehn Jahren dieses Programm zur Änderung des Stoffwechsels im Körper ausgetüftelt hat. Seitdem tauchen in schöner Regelmäßigkeit in den bunten Blättern mehr oder minder prominente Menschen auf, die sich bis in die Umkleidekabinen begleiten lassen, wenn sie etwas in drei Kleidergrößen weniger anprobieren. Bei vielen Allgemeinärzten und Heilpraktikern hierzulande macht das dezente blau-grüne Metabolic-Balance-Logo darauf aufmerksam, dass sie mit Funfack kooperieren.

In 30 Ländern wurde das Programm mittlerweile verbreitet. "Ich kann es manchmal selbst nicht fassen, wie rasant das alles geht", sagt Wolf Funfack, der schließlich vor zweieinhalb Jahren seine Arbeit in der Internisten-Praxis in Isen aufgegeben hat, weil die Molligen, Dicken und Verzweifelten in aller Welt ihn brauchten - und nicht nur die Fieberkranken im Isental.

Die Menschen, die mit Doktor Funfack abspecken, wollen ihre Statur ändern - der 5000-Einwohner-Ort Isen hat mit dem Siegeszug ihres Landarztes in den vergangenen Jahren still und leise sein Gesicht verändert. Hinter dem Ortseingang steht seit zwei Jahren die Metabolic-Firmenzentrale, ein großer, aber harmonischer Stein-Holz-Bau, nach geomantischen Prinzipien gebaut. "Die Seele dieses besonderen Kraftortes" komme dadurch zum Tragen, sagt Funfack. Energie ist hier sicher vonnöten: Im Haus steht der zentrale Server, der für sämtliche Metabolic-Kunden weltweit ihr persönliches Computer-Ernährungsprogramm berechnet.

Was den Ort Isen weiterhin ein bisschen anders als die Nachbardörfer im Dunstkreis der B 12 macht: Im Biergarten kann man das Gemüse auch nach Gewicht bestellen, 25 Gramm Zucchini beispielsweise. Der Gasthof Klement im Dorfzentrum etwa wirbt mit einer eigenen Metabolic-Balance-Speisekarte. Man stellt sich eben auf seine Gäste ein. Die Pensionen und Gasthäuser rundum sind meist ausgebucht, wenn in Funfacks Tagungszentrum Ernährungsseminare laufen.

Das Prinzip dieses Stoffwechselprogramms lautet in etwa so: Für etwa 360 Euro erstellt der Berater einen Ernährungsplan, dieser richtet sich nach 36 Blutwerten des Einzelnen. 80.000 bis 100.000 Pläne sind es pro Jahr, die das Rechenzentrum in Isen verlassen. Wenig Kohlehydrate, viel Eiweiß, viel Gemüse sind Hauptzutaten. Nach zwei Vorbereitungstagen, deren kulinarischer Höhepunkt eine Gemüsesuppe ist, beginnen zwei strenge Umstellungswochen - ohne Alkohol und Süßes mit drei eiweißreichen Mahlzeiten. Nudeln oder Reis sind verboten, die Portionen sehr, sehr klein.

"In der dritten Phase, der Erhaltungsphase, darf man auch wieder andere Lebensmittel testen", sagt Funfack, der die weiteren Grundregeln wohl auch im Tiefschlaf aufsagen kann: "Drei Mahlzeiten am Tag mit mindestens fünf Stunden Pause, keine Zwischenmahlzeiten, nicht nach 21 Uhr essen. Die Mahlzeiten dürfen jeweils nur eine Sorte Eiweiß enthalten."

Andere Ernährungswissenschaftler, die sich angesichts des großen Erfolgs des kleinen Mediziners aus Isen sein Programm genau angesehen haben, sprechen von Humbug. Funfack betreibe Geheimniskrämerei mit den Laborwerten - wie der Ernährungsplan zustande kommt, sei nicht nachvollziehbar. Dem Körper sei egal, welche Sorte Eiweiß er aufnehme, und wegen der starren Vorgaben sei die Diät im Alltag sowieso kaum umzusetzen, lautet die Kritik.

Ein Jo-Jo-Effekt sei programmiert, denn die Ernährung werde nicht, wie versprochen, individuell und personenbezogen an den Patienten angepasst, kritisieren Alexandra Kreissl und Kurt Widhalm von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde in Wien. Vielmehr würden den Patienten neue Lebensmittel vorgeschrieben. Insgesamt, so Kreissl und Widhalm, baue Metabolic Balance auf Grundlagen auf, die ernährungsmedizinischen Empfehlungen weitgehend widersprächen.

Der Metabolic-Balance-Erfinder, ein angegrauter und recht fröhlicher Herr, der in diesem Jahr seinen 65. Geburtstag feiern wird, reagiert darauf entspannt. Er verweist auf die sichtbaren Erfolge seiner Kunden, auch langfristige, sowie eine für ihn äußerst positive Studie des Hochrhein-Institutes am Reha-Klinikum in Bad Säckingen. Das Institut ist allerdings gleichzeitig ein Auftragnehmer der Firma: Derzeit entwickelt sie im Auftrag der Metabolic Balance GmbH ein Qualitätssicherungsprogramm.

Der gebürtige Erlanger Funfack hatte sich schon in seiner Doktorarbeit Anfang der siebziger Jahre mit "Adipositas im Säuglings- und Kleinkindesalter" beschäftigt, also mit Fettleibigkeit, zehn Jahre arbeitete er im Krankenhaus Moabit in Berlin, wo er feststellte: "Die Kinder, die zu uns kamen, wurden immer dicker." 1983 verschlug ihn der Zufall in Form einer Praxisanzeige nach Isen, wo er seinen schwergewichtigen Patienten bald mit eigens zugeschnittenen Ernährungstipps eher so nebenbei zu Leibe rückte. Funfack suchte die Lösung in den Blutwerten, die Pläne schrieb er per Hand, die Mund-zu-Mund-Propaganda lief auf Hochtouren. "Als ich dann irgendwann drei bis vier Pläne pro Tag schreiben musste, habe ich begonnen, professionell mit einer Softwarefirma zusammenzuarbeiten", so Funfack.

Inzwischen leitet seine Frau die Firma, es gibt unzählige Bücher von Metabolic Balance für Einsteiger, Berufstätige, Diabetiker bis zum Mental- und Stoffwechselnachschlagewerk. 3500 Berater wurden in seiner Isen-Akademie in den vergangenen Jahren ausgebildet, 2000 sind momentan weltweit aktiv. Die Kurse sind stets voll, obwohl die 17-tägige Ausbildung zum Ernährungsberater etwa 2500 Euro kostet, Zusatzkurse extra.

Das Büro des Landarztes, der hinter den sieben Hügeln des Isentals so erfolgreich wurde, ist sehenswert. Da steht einerseits ein milchig-grauer Bergkristall auf dem Schreibtisch ("Er tut mir gut"), der Blick aus dem Bullaugen-Fenster des geomantischen Hauses auf schneckenförmige Muster im Garten, das sogenannte Sanktuarium, soll den Chef erden. Doch auf der Kommode gegenüber lockt ein kleiner Wimpel, eine amerikanische Flagge der Chamber of Commerce von Kalifornien. "Die habe ich geschenkt bekommen, weil ich in der Handelskammer dort nun auch Mitglied bin", sagt Doktor Funfack.

Firmenableger europaweit und von Südafrika, China bis Russland gibt es schon länger. Seit einem Jahr aber ist das Unternehmen aus dem Landkreis Erding groß in San Diego eingestiegen. "Amerika ist ein großer Markt für uns, die Leute dort haben es wirklich nötig", sagt Funfack. Und dann kann er sich ein Lächeln nicht verkneifen.

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Quelle:
SZ vom 23.08.2011/sonn
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