Abschiebung:Herrmann macht Linksautonome für Eskalation in Nürnberg verantwortlich

Polizeieinsatz bei Schülerdemo gegen Abschiebung

Die Polizei geht in Nürnberg gegen Schüler vor, die mit einer Sitzblockade die Abschiebung eines 20 Jahre alten Berufsschülers in sein Herkunftsland Afghanistan verhindern wollen.

(Foto: dpa)
  • Bayerns Innenminister Herrmann macht Linksautonome für die Eskalation in Nürnberg verantwortlich. Helfer und Verbände sind dagegen über das Vorgehen der Polizei entsetzt.
  • Unterdessen ist der 20-jährige Afghane, der in seine Heimat abgeschoben werden sollte, wieder frei.
  • Bekannt wurde auch, dass der junge Mann während des Abtransports durch die Polizei Drohungen ausgestoßen haben soll.

Von Olaf Przybilla und Milena Hassenkamp, Nürnberg

Am Mittwoch hat ihn die Polizei aus der Berufsschule in Nürnberg geholt und damit Tumulte und eine spontane Demonstration ausgelöst. Am Tag danach wird die Debatte über den Einsatz heftig weitergeführt - und der 20-Jährige ist wieder auf freiem Fuß. Das Amtsgericht lehnte am Donnerstag die Abschiebehaft ab, die die Zentrale Ausländerbehörde der Regierung von Mittelfranken beantragt hatte. Das Gericht sehe dafür keinen Anlass, sagte der Anwalt des Mannes. Freudestrahlend verließ der junge Mann das Gericht, 25 Schulkollegen und sein Klassenlehrer empfingen ihn vor dem Gebäude.

Unterdessen ist die Nürnberger Polizei mit der Aufarbeitung beschäftigt. Man habe sich entschlossen, den 20-Jährigen im Schulgebäude aufzusuchen, nachdem dieser zu Hause nicht aufzufinden war, sagte Nürnbergs Polizeipräsident Johann Rast. Das "Zeitfenster" bis zum geplanten Abflug in Frankfurt sei gering gewesen, deswegen habe man sich zu diesem Schritt entschlossen. Man habe sich aber, in Absprache mit der Schulleitung, nicht direkt ins Klassenzimmer begeben, die Beamten hätten im Nebenzimmer gewartet.

Innenminister Joachim Herrmann (CSU) machte für den Polizeieinsatz die "linksautonome Szene" verantwortlich. Zwar sei der Einsatz an der Schule zunächst friedlich verlaufen, danach hätten sich "Chaoten" unter die Schüler gemischt und die Polizei mit Fahrrädern und Flaschen beworfen.

Schon am Morgen nach dem Einsatz hatte sich die Polizei zu einem außergewöhnlichen Schritt entschlossen: einer Art Einsatz-Erklärung auf Facebook. Diese versucht zu retten, was noch irgendwie zu retten ist. "Natürlich zu Recht" hätten sich viele mit ihrer Art des Eingriffs beschäftigt, wurde eingeräumt. Und sogar, dass der Einsatz "aus dem Ruder gelaufen" sei, wurde nicht bestritten. Allerdings habe man dies "natürlich vorher nicht wissen" können. Die Regierung von Mittelfranken als Zentrale Ausländerbehörde habe, nach Abschluss des Rechtswegs, der Polizei "den Vollzug" übertragen, das will man betont wissen. Der sei eben Sache der Polizei.

Was aus der Facebook-Erklärung der Polizei zunächst nicht hervorging: Warum der 20-Jährige aus dem Schulgebäude geholt werden sollte. Nur darauf wollen sich die Beamten einlassen: "So ein Vollzug ist in vielen Fällen schon ohne Probleme abgelaufen." Die Betroffenen würden nämlich lange vorher darüber informiert, dass sie abgeschoben werden müssen. So sei das auch im Fall des 20-jährigen Schülers gewesen. Nach SZ-Informationen hat der Einsatz aber auch polizeiintern Debatten ausgelöst. "Schon allein, was so ein Einsatz kostet, ist kaum zu verantworten", sagte ein verantwortlicher Beamter. Angesichts der Personalknappheit seien solche Aktionen den Beamten kaum vermittelbar.

Der Afghane soll angeblich gedroht haben, Deutsche zu töten

Martina Mittenhuber, die Leiterin des Menschenrechtsbüros in Nürnberg, ist am Tag danach immer noch entsetzt. Sie hat den Einsatz an der Schule miterlebt, solche Bilder, sagte sie, habe sie "das letzte Mal in Wackersdorf" erlebt. Und das in so einem Fall? "Da fehlt es vollständig an der Verhältnismäßigkeit", sagte sie. Auch die Aussagen der Polizisten, es sei keiner der Protestierenden verletzt worden, kann sie so nicht bestätigen. "Natürlich gab es Schürfwunden und Prellungen" bei Schülern, sagte Mittenhuber. Und nicht alle hätten sich einwandfrei verhalten, es ging auch Gewalt von Protestieren aus. "Aber der Einsatz der Polizei war brachial", sagte sie.

Der 20-Jährige war als 16-Jähriger nach Deutschland eingereist. Er habe sich mehrfach geweigert, an der Passbeschaffung mitzuwirken, sagte der Präsident der Regierung von Mittelfranken, Thomas Bauer. Als der 20-Jährige schließlich eine Aufenthaltserlaubnis beantragte, habe er zur Überraschung der Ausländerbehörde einen 2007 ausgestellten Pass vorgelegt. Damit sei klar, dass er die Behörden getäuscht habe. "Natürlich geht es einem schlecht bei so einer Abschiebung", räumte Bauer ein. Trotzdem bedauere er, dass das Amtsgericht den Antrag auf Abschiebehaft abgelehnt hat. Die Regierung prüfe nun Rechtsmittel.

Immerhin habe der junge Mann am Mittwoch Drohungen ausgesprochen, nachdem er festgenommen wurde. Das betonte auch Herrmann: Der 20-Jährige habe während seines Abtransports damit gedroht: "In einem Monat bin ich wieder hier und bringe Deutsche um."

Dagmar Gerhard, die Vorsitzende des Nürnberger Vereins Mimikri, der sich um junge Flüchtlinge kümmert und auch den Afghanen finanziell unterstützt, fühlt sich von den Behörden hintergangen. Denn dem Mann sei vom Ausländeramt in Aussicht gestellt worden, dass er eine Schreinerlehre anfangen dürfe, wenn er seinen Pass beschaffe.

Drei Ausbildungsangebote habe er bereits gehabt, der Verein habe ihm Fahrtkosten und Gebühren für die Pass-Beschaffung erstattet. "Nun werden wir mit der Tatsache konfrontiert, dass wir den Behörden unmittelbar dabei geholfen haben, seine Abschiebung in ein Land vorzubereiten, in dem ihn weder Sicherheit noch eine berufliche Existenzgrundlage erwarten", schrieb Gerhard.

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