Süddeutsche Zeitung

Abschiebung:"Die Staatsregierung lässt auf Biegen und Brechen Afghanen einsammeln"

  • Am 23. Januar wollen Bund und Länder das nächste Flugzeug mit abgelehnten Asylbewerbern nach Afghanistan schicken.
  • Ministerpräsident Seehofer sagt zwar, dass "im Augenblick nur Straftäter und Gefährder zurückgeführt" werden, doch einige Fälle weisen darauf hin, dass offenbar auch die mit Abschiebung zu rechnen haben, die sie sich nichts zuschulden haben kommen lassen.

Von Christian Rost, Kempten

Trotz der prekären Sicherheitslage in Afghanistan werden weiter Flüchtlinge in ihr Heimatland abgeschoben. Am 23. Januar wollen Bund und Länder das nächste Flugzeug mit abgelehnten Asylbewerbern nach Kabul schicken. Der Chef des Bayerischen Flüchtlingsrats, Stephan Dünnwald, rechnet damit, dass mindestens 15 Afghanen, die zuletzt im Freistaat lebten, von der Abschiebung betroffen sein werden. Einer der Männer ist der 21-jährige Yosufi E., dem in Afghanistan die Steinigung droht.

Yosufi E. kam 2015 nach Deutschland, weil die Familie seiner Cousine nach seinem Leben trachtet. Der junge Mann hatte ein Verhältnis mit seiner Cousine, die beiden wollten heiraten. Noch ehe sie ihren Wunsch offiziell machen konnten, wurden sie von der Schwester der Cousine in flagranti erwischt. Deren Familie tobte, zusammen mit dem Bürgermeister fällte sie ein auch in Afghanistan illegales Urteil: Das Paar soll gesteinigt werden.

Alle Versuche von E.s verhältnismäßig gut situierter Familie, die Situation zu befrieden und mit einer Heirat die Schmach aus der Welt zu schaffen, wurden abgelehnt. E. musste sich zwei Wochen unter dem Küchenboden im Haus seiner Eltern in einem Erdloch verstecken. Schließlich organisierte und bezahlte sein Vater die Flucht nach Europa. Zuletzt lebte der junge Mann in einer Flüchtlingsunterkunft in Kempten.

Seine Fluchtgeschichte ist eine andere als die der 50 jungen Erwachsenen, die in der Kemptener Unterkunft leben. Claudia Kuss vom Helferkreis Asyl Obergünzburg/Allgäu berichtet, dass die meisten jungen Männer vor den Taliban geflohen seien, weil sie sich nicht rekrutieren lassen wollten. Einer der fünf Flüchtlinge, die Kuss betreut, wurde mit Säure überschüttet. Allen Männer sei gemein, so Kuss, dass sie zurück in ihre Heimat wollten.

Sie könnten dort aber nirgendwohin, weil die Taliban Fotos von den Verweigerern im ganzen Land verbreiteten und nach ihnen suchten. "Nun liegen sie mit Heimweh und Depressionen in ihrer Flüchtlingsunterkunft und haben keine Perspektive", so Kuss weiter. Von den 50 jungen männlichen afghanischen Erwachsenen, die Asyl beantragten, haben 48 einen ablehnenden Bescheid bekommen. Und sie müssen mit ihrer Abschiebung offenbar auch dann rechnen, wenn sie sich nichts zuschulden haben kommen lassen.

Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hatte dieser Tage in einem Interview betont, dass "im Augenblick nur Straftäter und Gefährder zurückgeführt" würden. Er forderte langfristig eine konsequentere Praxis bei Abschiebungen. Doch wie der Fall Yosufi E. zeigt, sind nicht mehr nur Straftäter, Gefährder und sogenannte Identitätsverweigerer von der Zwangsmaßnahme betroffen.

E. jedenfalls, so betont die für ihn zuständige ehrenamtliche Helferin für Asylbewerber, Marlies Stubenrauch, habe weder eine Straftat begangen, noch versucht, seine Herkunft oder sein Alter zu verschleiern. "Im Gegenteil. Er hat alles getan, was die Behörden von ihm verlangten. Nur ging es ihnen nicht schnell genug." Am vergangenen Donnerstag wurde er von fünf Polizisten in Kempten abgeholt. Seither befindet er sich in Abschiebegewahrsam in Ingolstadt und "hat Angst", wie Stubenrauch berichtet.

Der Asylantrag von Yosufi E. ist bereits kurz nach seiner Ankunft vor drei Jahren abgelehnt worden, weil seine Fluchtgeschichte nichts mit politischer Verfolgung zu tun hat. E. hatte sich keine Lügengeschichte ausgedacht, um die Behörden zu täuschen. Er sei auch sehr bemüht gewesen, sämtliche Dokumente beizubringen, die von ihm gefordert worden seien, sagt die Asylhelferin. Zuletzt war er am 10. Januar beim Konsulat der islamischen Republik Afghanistan in München, um einen Pass zu beantragen. Weil eines der von ihm vorgelegten Dokumente nicht ins Englische übersetzt war, wurde er wieder einmal abgewiesen.

Dass es viele Monate dauerte, bis E. seine Unterlagen zusammenhatte, lag nicht an seinem mangelndem Willen. Es waren die Behörden seines Heimatlandes, die sich mit der Ausstellung der Urkunden Zeit ließen. Die deutschen Behörden drehten ihm einen Strick daraus. Die Verzögerungen legten sie als Identitätsverweigerung aus. Als E. von der Polizei abgeholt wurde, präsentierten die Beamten ihm einen Haftbefehl, der mit Identitätsverweigerung begründet ist. Auch ein weiterer angeführter Haftgrund sei nachweislich falsch, sagt Stubenrauch.

In der Kemptener Asylunterkunft hatte es eine Schlägerei gegeben. Es stehe aber zweifelsfrei fest, dass E. in die Auseinandersetzung nicht involviert gewesen sei. Und dennoch wird der Haftbefehl auch mit dem Verdacht auf Körperverletzung begründet. Die Asylhelfer in Kempten sind entsetzt, dass Abschiebungen auf einem bloßen Verdacht, noch dazu einem unbegründeten, fußen. "Die Staatsregierung lässt auf Biegen und Brechen Afghanen einsammeln, um sie am 23. Januar mit dem nächsten Flug außer Landes bringen zu können", heißt es unisono im Helferkreis.

Der Flüchtlingsrat hat im Fall Yosufi E. Haftbeschwerde eingelegt. Zudem ist am Landgericht Augsburg noch nicht über das Berufungsverfahren zu seinem abgelehnten Aufenthaltstitel entschieden. Den Flüchtlingshelfern läuft aber nun die Zeit davon, was, so Claudia Kuss, den verantwortlichen Politikern nur recht sei: "Es ist doch längst entschieden, dass junge Afghanen zurück sollen. Egal, ob sie Straftäter, Identitätsverweigerer sind oder nicht."

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SZ vom 18.01.2018/vewo
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