Süddeutsche Zeitung

Ende der Schulzeit:Protestkultur ist beim Abiball out

Früher rasierten sich die Absolventen noch eigens den Schädel kahl, um wenigstens ein bisschen zu rebellieren. Heute dominieren Schlips, Stolz und Standardtanz.

Von Maria Terhart

Am Sonntagabend entscheidet sich in Regensburg, ob sich für Schülersprecher Julius Hollnberger all die Anstrengungen gelohnt haben. Gemeint ist aber nicht die Abiturprüfung, sondern ein Großevent, dem fast die gleiche Bedeutung zukommt: der Abiturball am Albertus- Magnus-Gymnasium. In einer der größten Veranstaltungshallen der Stadt wird von 19 Uhr an ein Drei-Gänge-Menü gereicht. Eine Band spielt Hits aus den Neunzigern, danach legt ein DJ aktuelle Charts auf, zwischendurch wird die Münchner Française getanzt. Ein Profi-Fotograf hält fest, wie sich elegant gekleidete Abiturienten und ihre stolzen Eltern und Lehrer auf der Tanzfläche drehen, während zwei Security Guards die Türen bewachen.

Knapp 18 000 Euro wird die Veranstaltung kosten. Pro Eintrittskarte sind das 30 Euro. Kleiner ging es nicht. Für Hauptorganisator Julius Hollnberger, 18, war es von vornherein klar, die Abifeier so zu planen: "Ich find's schön, wenn man sich noch mal mit den Eltern zusammensetzen kann und das alles zelebriert. Wir wollen ja auch, dass Lehrer kommen, da kann das Ganze schon ziemlich formell sein."

Ob am Münchner Michaeli-Gymnasium, der Bertold-Brecht-Schule in Nürnberg oder dem Mariengymnasium im niederbayerischen Fürstenzell - überall freuen sich die Schüler auf einen Abend in langen Kleidern und Anzug. Früher rasierten sich die Absolventen noch eigens den Schädel kahl, um wenigstes ein bisschen zu rebellieren. Jetzt profitieren auch die Modegeschäfte: Irmfried Mordstein vom Münchner Bekleidungshaus Konen beispielsweise kauft immer speziell für die Schüler kleinere Größen. "Wenn Sie bei uns am Samstag zur Abiballzeit vorbeikommen, da ist die Aufregung groß, das richtige Kleid zu finden." Früher sei es individueller gewesen, sagt sie. "Heute fotografieren sich die jungen Damen schon in der Umkleidekabine und schicken die Bilder herum. Da hat jeder das Kleid schon davor gesehen und der große Auftritt ist weg."

Die Abifeier war auch immer schon eine Zeitgeistfeier. Während ausgerechnet die Elterngeneration noch auf Krawall und Provokation aus war, dominieren heute Schlips, Stolz und Standardtanz. Ist die Jugend so langweilig? Tatsächlich legt eine neue Studie des Sinus-Instituts nahe, dass Heranwachsende sich anpassen. Bürgerliche Werte werden akzeptiert und geschätzt, gesellschaftlich hoch gehaltene Tugenden wie Ehrgeiz und Fleiß unterstützt. Es gibt kaum mehr jugendliche Subkulturen, gerade unter Abiturienten finden sich wenige in Anti-Bewegungen.

Jugendliche hätten mehr das Gefühl, normal sein und traditionell feiern zu dürfen, sagt Peter Martin Thomas, Leiter der Sinus-Akademie. "Mainstream ist in Ordnung, man darf so sein. Das Abitur ist aus Sicht der Schüler ein wichtiger Schritt, um in der sicheren Mitte anzukommen. Damit wurde ein wichtiger Grundstein gelegt, um sich etwas aufzubauen." Thomas zufolge hängt auch viel mit den sozialen Medien zusammen: "Wir leben in einer Bilderwelt. Die Inszenierung muss stimmen, der Moment muss perfekt sein. Es gibt allgemein eine große Eventisierung, und das Abitur hat man nur einmal, da lässt man es richtig krachen."

Das dachten sich auch die Abiturienten aus Weiden. Alle drei Weidener Gymnasien feierten den Ball zusammen in einer zweistöckigen Halle. Unten spielte eine Band Walzer und andere Tänze, im oberen Stockwerk war eine Cocktailbar eingerichtet, in der die Schüler über eine Wunschliste die Musik selber bestimmen konnten. Am Anfang hätten nur die Erwachsenen getanzt, erzählt Sabrina Baldauf vom Kepler-Gymnasium. Aber nach der Band kam ein DJ, der moderne Musik aufgelegt hat. "Da haben am Ende alle getanzt, sogar die Lehrer, das war wirklich cool."

Auch Tilly Lex vom Deutschen Jugendinstitut findet, dass der ziemlich konservative Ablauf der Zeremonie ein Zeichen für eine Rückbesinnung auf Werte sein könnte: "Es ist vielleicht ein Rückzug auf das, was Orientierung gibt. Früher ging es eher darum, auszubrechen. Die heutige Generation muss nirgendwo ausbrechen. Wir haben eher die Situation, dass es wenig Strukturen gibt." Denn wer heute Abitur macht, kann nicht mehr auf Erfahrungswerte der älteren Generation zurückgreifen. Als diese ihre Schulzeit beendete, sah die Berufswelt schließlich noch ganz anders aus. Außerdem sei die Anerkennung von Lehrern und Eltern sehr wichtig, die Schule insgesamt würde eher positiv bewertet - vielleicht ist auch das ein Grund für konventionellere Feiern.

So weit die Theorie. Die Praxis sieht so aus: Mit der offiziellen Zeremonie ist es für die Abiturienten nicht getan, in Bars und Clubs ist die förmliche Atmosphäre schnell wieder vergessen. So sieht das auch Julius Hollnberger, der Organisator in Regensburg: "Der Ball ist eher das Ende einer langen Partyzeit - irgendwann muss man sich ja auch mal überlegen, was man mit seinem Abitur anstellen will."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3047767
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 24.06.2016/axi
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.