Bildung:In Bayern gibt es immer mehr Einser-Abiturienten

Abiturprüfungen in Bayern

Schwitzen für die guten Noten: Eine Abiturprüfung wie hier in Straubing ist für viele Schüler entscheidend für ihre Studienwahl.

(Foto: Armin Weigel/dpa)
  • Die Zahl der Gymnasiasten, die in Bayern mit einem Schnitt von 1,5 oder besser die Schule verlassen, nimmt seit Jahren deutlich zu.
  • Dass der Systemwechsel von neun zu acht Jahren dabei eine Rolle spielt, gilt unter Lehrern als sicher.
  • Lehrerverbände sorgen sich deshalb um die Qualität des Abiturs.

Von Anna Günther

Ein Einser-Abitur ist für viele Gymnasiasten der Schlüssel zu begehrten Studiengängen und Stipendien zum Schulabschluss. 39 000 bayerische Zwölftklässler bekamen kürzlich ihr Abiturzeugnis. Bei den Schülern knallten die Sektkorken, bei den Lehrerverbänden mischten sich Bedenken unter die Glückwünsche. Von Inflation ist die Rede und von der Sorge um die Qualität des Abiturs. Denn die Zahl der Gymnasiasten, die mit einem Schnitt von 1,5 oder besser die Schule verlassen, nimmt seit Jahren deutlich zu.

5150 sind es in Bayern in diesem Jahr, in anderen Bundesländern ist die Quote deutlich höher. Zwar ist die Abschlussprüfung unbestritten das Ergebnis von Schweiß und Fleiß der Schüler. Aber die Zunahme der extrem guten Noten wirft Fragen auf. Michael Schwägerl, der Vorsitzende des Bayerischen Philologenverbands, fürchtet eine Entwertung: "Ein Einser-Abitur darf nicht zur Mogelpackung werden. Wo sehr gut draufsteht, muss auch sehr gut drin sein." Wenn alle immer besser werden, verlören Noten ihre Aussagekraft.

Nun liegen die exakten Zahlen des Schulministeriums für dieses Jahr vor: 2018 kommen Bayerns Abiturienten auf einen Schnitt von 2,28 - neuer Rekord. Der Blick in die Statistik der Kultusministerkonferenz bestätigt den Trend: 2006 lag der Landesschnitt noch bei 2,43. Mit den ersten G-8-Abiturienten 2011 kam ein Sprung auf 2,37 und 2017 stand die Zwei hinter dem Komma. Deutlicher ist es bei den Einser-Absolventen: 2006 schafften 8,3 Prozent einen Schnitt von 1,5 oder besser. Zehn Jahre später waren es 12,2 Prozent, 2018 sind es 13,8 Prozent.

Eine Inflation sieht man im Ministerium nicht, spricht dagegen von einer "leichten Zunahme sehr guter Ergebnisse", weil Schüler und Lehrer sich immer besser auf die Anforderungen des G-8-Abiturs einstellten. Der positive Notensprung vom G 9 zum G-8-Abitur lässt sich damit nicht erklären. Die Zahl der 1,0-Abschlüsse hat sich schon mit dem ersten G-8-Abitur 2011 von 353 auf 924 Schüler mehr als verdoppelt.

Zwar schrieben damals der letzte G-9- und der erste G-8-Jahrgang gleichzeitig ihre Abschlussprüfung, aber das erklärt den Zuwachs nicht. 2010, im vorletzten G-9-Abitur, schafften 0,91 Prozent von 39 196 Jugendlichen die Einskommanull. Im Doppeljahrgang waren es 1,27 Prozent von 74 205 Abiturienten. Im Jahr 2018 stieg die Zahl der Einskommanuller mit 890 Schülern sogar auf 2,4 Prozent.

Diese Entwicklung gibt es in ganz Deutschland. In Berlin hat sich die Zahl der Einskommanuller zwischen 2006 und 2016 sogar versechsfacht. Werden deutsche Schüler klüger? Wird das Abitur leichter? Ist der Unterricht besser?

Die eine Antwort gibt es nicht. Insgesamt lernen mehr Schüler am Gymnasium als noch vor zwölf Jahren und mit dem G-8-Abitur verdoppelte sich in Bayern auch die Zahl der Durchfaller auf 3,1 Prozent. Dass der Systemwechsel von neun zu acht Jahren eine Rolle spielt, gilt unter Lehrern als sicher. Das zeigt auch der Notensprung 2011. Die Reform der Oberstufe mit dem Fünf-Fächer-Abitur und der Abschaffung der Leistungskurse wurde zwar lange vor dem G 8 beschlossen, aber im Zuge dessen umgesetzt.

Ein Grund für die besseren Abschlüsse vieler Schüler ist die deutlich stärkere Gewichtung der mündlichen Note. Offiziell sollten mit dieser Aufwertung Präsentation, Kommunikation und Wortgewandtheit der Kinder gestärkt werden. Inoffiziell hält sich bei Opposition, Verbänden und Lehrern die These, die Staatsregierung habe so verhindern wollen, dass die ersten G-8-Abiturienten nach dem Streit um die überstürzte Schulreform schlechter abschneiden als der letzte G-9-Jahrgang.

Gymnasiallehrer sehen das Zentralabitur kritisch

Philologenchef Schwägerl sieht neben der strukturellen auch eine gesellschaftliche Veränderung: Anders als früher komme es den jungen Leuten extrem auf Nachkommastellen an. Die Zahl der mündlichen Nachprüfungen sei deutlich gestiegen. Wer die 1,5 schafft, gehe für die 1,4 in die mündliche Nachprüfung. Viele Lehrer attestieren den Schülern heute mehr taktisches Vorgehen als im G 9. Und mit den Einsen steige der Druck: Wenn immer mehr Spitzen-Abiturienten an die Unis strömen, werden dadurch bei vielen Studienfächern die Zugangsbedingungen härter.

Insider machen aber auch die Politik verantwortlich: Die Bundesländer werben mit den Einserabiturienten und messen daran den Erfolg ihrer Politik. Dieser Wettstreit übertrage sich auf Regierungsbezirke und Schulleiter. Ein Credo heißt, niemand solle zurückbleiben, sagt einer, der sich auskennt. Also werden aus Fünfen schon mal Vierer und das ziehe sich durch.

"Das Ganze ist Ausdruck eines deutlich artikulierten politischen Willens, den die Schulen internalisiert haben - und welcher Schulleiter möchte gerüffelt werden, weil bei ihm die Sitzenbleiberquote hoch und die Abi-schnitte zu schlecht sind", sagt einer. Lehrer müssten sich überlegen, ob sie rein für Qualität stehen oder für bessere Ergebnisse auch mal laxer benoteten, sagt ein anderer. Offen äußern will sich kaum jemand.

Zum Schnitt in diesem Jahr könnten zudem norddeutsche Einbrecher beigetragen haben: Ende April wurde in einer niedersächsischen Schule der Tresor geknackt. Darin lag das Matheabitur, mit dem die Bundesländer wie in Deutsch, Englisch und Französisch versuchen, durch gemeinsame Standards und Pool-Aufgaben Vergleichbarkeit zu schaffen. Wegen des Einbruchs kamen bundesweit die Ersatzaufgaben dran. Und diese sollen leichter gewesen sein, sagen Schulleiter. Wer die Pool-Aufgabe wählte, hatte Glück. Die schriftliche Matheprüfung gilt ebenso wie Deutsch als Stolperstein schwacher Schüler.

Aus Sorge um das Niveau des bayerischen Abiturs sehen die Gymnasiallehrer das Zentralabitur kritisch. Sich den geringeren Standards anderer Länder anzupassen kommt für Philologenchef Schwägerl nicht in Frage, Vergleichbarkeit sei gut, aber nicht auf Kosten der Qualität. Heinz-Peter Meidinger, der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes und Chef eines Deggendorfer Gymnasiums, fordert seit Jahren, dass die Prüfungen wieder schwerer werden müssen.

Die Gymnasiallehrer fürchten den Bedeutungsverlust des Abiturs, wenn die Universitäten Studenten über Tests auswählen, weil der Schnitt nicht genug aussagt. Schulminister (und Gymnasiallehrer) Bernd Sibler will Vergleichbarkeit bei hoher Qualität. Auf das hohe "Anspruchsniveau der Abituraufgaben" werde man auch in Zukunft achten.

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