Sie haben alles gesehen: Die plötzlichen Schulschließungen in der zehnten Klasse, die triste Einsamkeit im Kinderzimmer, die wackligen Verbindungen beim Homeschooling, den zähen Wechselunterricht, die freudvolle Rückkehr in den ganz normalen Schulalltag. Der diesjährige Abiturjahrgang des Freistaats ist Corona-gestählt. Trotz allem haben die bayerischen Schüler mit einem landesweiten Schnitt von 2,15 das Rekord-Abitur vom vergangenen Jahr wiederholt. An diesem Freitag nimmt die wechselvolle Zeit ein Ende: Dann werden die 35 000 bayerischen Abiturienten in die Freiheit entlassen. Dabei begleiten sie ganz verschiedene Gefühle.
David Fischer, 19 Jahre, Gymnasium Fränkische Schweiz, Ebermannstadt, Oberfranken
"Meine Eltern haben mich früher immer wieder auf Schiffsreisen mitgenommen, zum Beispiel ins Mittelmeer und nach Norwegen. Die Freiheit auf hoher See, der unendliche Blick in alle Richtungen, die verschiedenen Kulturen, wo man andockt: Das alles ist für mich das Höchste. Daher stand mein Ziel schon länger fest, Schifffahrtskunde dual zu studieren.
Aber in der Oberstufe hat mich dann auch der Ehrgeiz gepackt. Ich habe mir neben meinen Laptop noch zwei zusätzliche Bildschirme gestellt und alle meine Lernmaterialien digitalisiert. Im Homeschooling hatte ich dann mal Zeit, einfach vor mich her zu rechnen. Es gab ja auch nichts anderes zu tun. Beim Abi hat sich das dann auch vor allem bei der Matheprüfung rentiert. Ich habe jetzt einen Schnitt von 1,7 - damit bin ich sehr glücklich.
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Die Schule werde ich trotzdem nicht vermissen. Insgesamt waren die vergangenen zwei Jahre die reinste Hölle. Die Oberstufe ist wirklich reines Notengemache. Diese Art von Leistungserhebung ist eigentlich verschwendete Lebenszeit, die Fülle an Sinnlosigkeit schrecklich. Ich bin wirklich froh, dass das rum ist. Die Schule müsste viel mehr an die Realität gekoppelt werden.
Obwohl ich neben dem Abi noch meinen Bootsführerschein gemacht hab', hat es mit der dualen Ausbildung in der Nautik und dem Traum, um die Weltmeere zu fahren, leider nicht geklappt. Das ist wirklich schade. Denn Bayern ist zwar wunderschön, aber die Franken sind ja doch eher verschlossen.
Stattdessen werde ich Elektro- und Informationstechnik an der FAU studieren und nebenher eine Ausbildung in der Energiesparte von Siemens machen. Obwohl das "nur" der Plan B war, habe ich dabei ein richtig gutes Gefühl. Im August geht es los. Bis dahin werde ich meinem Onkel auf dem Bauernhof helfen. Mähen, Holz machen, den Traktor warten. Es ist schon gut, im Leben auch zu wissen, wo eine Schraube hingehört."
Melanie Grabau, 18, Johann-Michael-Fischer-Gymnasium, Burglengenfeld, Oberpfalz
"Ich bin wirklich traurig, dass jetzt alles vorbei ist. Die letzten zwei Jahre in der Oberstufe waren wirklich die schönste Zeit. Endlich konnte ich mich mal so richtig in meine Lieblingsfächer stürzen: Geschichte, Sprachen, Deutsch. Zu Hause blieb viel Zeit zum Lesen, von Goethes Klassiker "Iphigenie auf Tauris" bis hin zu modernen Romanen wie "Das Muschelessen". Um im Lockdown nicht zu sehr zu vereinsamen, haben eine Freundin und ich uns die Lektüren im Videocall gegenseitig vorgelesen.
Mit Party war nicht viel, meine Großeltern leben mit im Haus. Sie mit Corona anzustecken, hätte ich mir nie verziehen. Dafür haben sie bei der Vorbereitung auf das Geschichtsabitur geholfen. Sie haben mir vom Krieg erzählt, wie sie in die Bunker und Gräben geflohen sind. Auch unsere Lehrer haben sich viel Mühe gegeben, dass wir nichts verpassen. Selbst diejenigen, die kurz vor der Pension stehen, haben sich noch in Powerpoint und Microsoft Teams reingefuchst. Nur das Internet hat nicht bei jedem mitgespielt. Eine Freundin musste ich deshalb manchmal über das Telefon zum Online-Unterricht zuschalten.
Die Rückkehr an die Schule war für alle eine logistische Herausforderung. Wegen der Abstandsregeln waren wir auf zwei Räume aufgeteilt, sodass die Lehrer teils im Türrahmen zwischen den Klassenzimmern unterrichten mussten. Eine echte Katastrophe war es in der Turnhalle. Da mussten sich die Lehrer mit dem Mikrofon Gehör verschaffen. Beim Abi waren solche Experimente dann wiederum ein Vorteil: Die Sporthalle als Klassenzimmer kannten wir immerhin schon.
Die Prüfungen sind alle gut gelaufen, aber eins steht fest: Mathe und ich werden keine Freunde mehr. Nach dem Sommer möchte ich Deutsch und Geschichte auf Lehramt studieren. Dank meiner beiden Fachlehrerinnen weiß ich, wie viel es ausmacht, wenn die Lehrkraft mit Leidenschaft dabei ist. Vielleicht lande ich später ja wieder an meiner alten Schule - dann selber als Lehrerin und erste Akademikerin in meiner Familie."
Amelie Aigner, 18, Ruperti-Gymnasium, Mühldorf, Oberbayern
"Ich spiele seit der fünften Klasse Volleyball, mittlerweile dreimal in der Woche. Zum Glück: So war ich in der Oberstufe bereits ganz gut darin, verschiedene Dinge unter einen Hut zu bekommen und den Kopf freizukriegen. Zuletzt hat mich auch meine Familie sehr unterstützt. Meine Eltern haben ihr Büro extra für mich zum Lernen freigeräumt. Dort habe ich dann mit Karteikarten und Post-its für das Abi gebüffelt. Von der Familie gab's derweil kleine motivierende Schokoriegel mit selbstgeschriebenen Aufklebern wie "Endspurt", "Superkraft", "Kraft im Quadrat".
Offenbar hat es geholfen, die Prüfungen sind wirklich gut gelaufen. Nur in Deutsch bin ich bei der Dramenanalyse irgendwo falsch abgebogen. Da ich von Haus aus ehrgeizig bin, habe ich mich noch mal hingesetzt und eine freiwillige Nachprüfung gemacht. Bei dem schönen Wetter musste ich mich wirklich motivieren. Aber es hat sich gelohnt: Ich konnte mich um eine Zehntelstelle verbessern, auf 1,2.
In der Schule haben mich vor allem die Inhalte in Wirtschaft und Recht gepackt. Gerade Wirtschaft hat meinen Blick für das große Ganze geschärft. Wie ist die Fiskalpolitik der Europäischen Zentralbank zu verstehen? Wieso haben wir so eine hohe Inflation? Die juristischen Inhalte wiederum waren sehr lebensnahe. Welche Rechte habe ich, wenn die Bestellung aus dem Internet verspätet ankommt? Welche, wenn die Montageanleitung in den falschen Sprachen geliefert wird?
Darauf möchte ich in Zukunft aufbauen. Nach dem Sommer möchte ich Wirtschaftspsychologie studieren, am liebsten in München. Davor bleibt auch noch genügend Zeit zum Jobben - und dazu, hoffentlich ganz viel Volleyball zu spielen. Das ist zuletzt nämlich etwas kurz gekommen."
Hans Oertel, 18, Egbert-Gymnasium, Münsterschwarzach, Unterfranken
"Die letzten Tage waren wirklich stressig. Wir feiern unseren Abiball in der Schule und organisieren alles selber: Catering, Getränke, Musik. Zuletzt ist uns das Budget für den Nachtisch ausgegangen. Aber das kriegen wir auch noch hin, zumal nach diesen verrückten Schuljahren.
Gerade die elften Klasse war ziemlich turbulent. Da wurden Deutschprüfungen dreimal nach hinten verschoben und mündliche Noten gesammelt wie verrückt. Der Lockdown war da vergleichsweise entspannt. Alle mussten erst mal ihren Rhythmus finden. Auch die Lehrer: Am Anfang haben sie uns geradezu überhäuft mit Arbeitsaufträgen. Trotz allem habe ich ein Abi von 1,2 hingelegt. Damit bin ich wirklich sehr zufrieden.
Zuerst dachte ich, dass ich studieren will. Aber am Schreibtisch sitzen und Aufsätze schreiben, das ist auch immer ein ewiger Kampf, der viel Kopf und Nerven kostet. Akademisch ist man zudem vor allem auf sich alleine angewiesen. In der Küche aber steht man zum Beispiel immer mit mehreren Leuten.
Deshalb habe ich mich für eine Ausbildung als Koch entschieden. Kochen hat mir schon immer Spaß gemacht. Letztes Jahr habe ich zwei Praktika in umliegenden Gasthäusern gemacht und eins in einem gehobenen Münchner Restaurant. Dort habe ich Kartoffeln und Zwiebeln geschnitten und Butterpakete vorbereitet. Wie die Teller von der einen zur anderen Seite fliegen, hat mich wirklich beeindruckt.
Auf die Ausbildung dort bin ich sehr gespannt. Vor Ort hieß es, ich solle mich auf eine demokratische Diktatur einstellen - was der Chef vorgibt, kann man diskutieren, wenn das Essen fertig ist. Aber eigentlich sehe ich dem gelassen entgegen. Ich komme aus einer großen Familie mit vielen Geschwistern, da bin ich stressige Situationen gewöhnt."