Abenteurer aus Bayern:Einmal Hölle und zurück

Abenteurer aus Bayern: SZ-Karte

SZ-Karte

Die beiden Wissenschaftler Spix und Martius erforschen Anfang des 19. Jahrhunderts Brasilien. Ihr größter Erfolg: Sie kehren lebend heim.

Von Hans Holzhaider

Es war im Mai 1819, fast zwei Jahre, nachdem Johann Baptist Spix und Carl Friedrich Philipp von Martius, ihren Fuß auf brasilianischen Boden gesetzt hatten, als ihre abenteuerliche Reise fast ein tragisches Ende gefunden hätte. Zuerst erwischte es Martius. "Ich machte eine Seitendigression in den benachbarten Urwald", schreibt er, "als ich den Eintritt eines heftigen Fiebers bemerkte, das mich bald darauf fast besinnungslos niederwarf." Er notiert "heftige Vomituritionen" und eine "fast tödliche Schwäche". Ein Diener, "der "auf ähnliche Weise erkrankte, verfiel in fürchterlichste Zuckungen und verstarb am vierten Tage".

Dann, "um das Maß unserer Leiden vollzumachen", erkrankte auch Spix, "indem sich, wenige Stunden nach einem Bade, das er in einem Teich genommen hatte, sein ganzer Körper mit schmerzhaften Beulen bedeckte. Weil wir zu kraftlos waren, um uns im Sattel zu halten, wurden Negersclaven aufgeboten, die uns in Hangmatten weitertrugen." So gelangten sie auf eine Fazenda, ein Landgut, dessen Besitzer sie "gerührt von unserer Hilflosigkeit, auf das menschenfreundlichste pflegte". Aber die Salbe, die der Fazendeiro zur Behandlung der Beulen verabreichte, kostete Spix fast das Leben.

Vergiftet durch eine Salbe

Auf der Weiterreise übernachteten die Forscher in einem Schuppen, als mitten in der Nacht "ein furchtbares Ungewitter losbrach. Der Regen drang in Strömen durch das leichte Blätterdach, der Sturmwind schien das morsche Gebälk über uns zusammenwerfen zu wollen. Ich hing apathisch in meinem durchnässten Lager, als gegen Mitternacht der französische Diener mich mit dem Angstruf zu mir selbst brachte, es schiene ihm, als sey Dr. Spix im Sterben. Als ich voll Entsetzen zu seinem Lager wankte, fand ich ihn von tödlicher Blässe umzogen und von fürchterlichen Krämpfen im Unterleib ergriffen."

Aber Martius zeigte sich der verzweifelten Lage gewachsen. Er war ja trotz seiner jungen Jahre schon ein Doktor der Medizin und der Chirurgie, und so erkannte er, dass sein Freund Spix "durch den übermäßigen Gebrauch von Bleisalbe vergiftet" war. Martius, obwohl selbst noch vom Fieber geschwächt, bewahrte kaltes Blut. "Ein Neger wurde in die nächste Fazenda zurückgesendet, um eine Badewanne zu holen." (Man möge sich das vorstellen: Sie sitzen in einem tropischen Gewittersturm mitten im Dschungel, und schicken einen Bediensteten, um eine Badewanne zu holen.) "Ich pülverte eine Menge Schwefel, und gab das Pulver mit großen Gaben von Opiumtinctur ein. Durch dieses Mittel gelang es, den Freund zum Bewusstseyn zu bringen, und gegen Morgen hatte ich die unaussprechliche Freude, die inneren Krämpfe schwinden zu sehen."

Nein, sie war wahrlich keine Vergnügungsreise, diese Expedition durch das unermesslich große Land Brasilien. Alexander von Humboldts legendäre Südamerikareise hatte auch in München eine wahre Euphorie für diesen Kontinent ausgelöst, sowohl bei den Mitgliedern der Akademie der Wissenschaft wie auch bei König Max I. An der Akademie wurden schon 1815 detaillierte Pläne für eine bayerische Brasilien-Expedition geschmiedet. Die scheiterten allerdings am Geldmangel.

Zwei Jahre später bot sich eine Gelegenheit, mit vergleichsweise geringem Aufwand doch noch zwei bayerische Wissenschaftler nach Brasilien zu schicken. Während der napoleonischen Besatzung war das portugiesische Königshaus nach Brasilien emigriert, und nun sollte die österreichische Erzherzogin Leopoldine in Rio de Janeiro den portugiesischen Thronfolger Dom Pedro heiraten. Kaiser Franz I. von Österreich rüstete aus diesem Anlass eine großzügig ausgestattete Expedition aus. Da kam es auf zwei Passagiere mehr nicht an. Am 28. Januar 1817 erhielten Spix und Martius die allerhöchste Weisung, sich "eiligst nach Wien und von da an nach Triest" zu begeben und sich auf der Fregatte "Austria" nach Brasilien einzuschiffen.

Ein Mann von rastloser Energie

Es war ein nahezu unerfüllbarer Auftrag, den die Akademie den beiden Forschern mit auf den Weg gab. Weder Spix noch Martius hatten Expeditionserfahrung. Spix, Sohn eines Baders aus Höchstadt an der Aisch, war 36, er hatte Philosophie und Theologie studiert und sich erst danach der Zoologie zugewandt. Er hatte Studienreisen in die Normandie und nach Süditalien unternommen, aber schon dabei hatte sich seine labile Gesundheit gezeigt. Aber er war ein Mann von rastloser Energie und unermüdlichem Fleiß, und König Max hatte ihn 1811 mit der Neuordnung der zoologischen Sammlung der Akademie betraut.

Martius, Sohn eines Erlanger Hofapothekers, hatte eine Anstellung im Alten Botanischen Garten in München. Er war erst 23, als ihn der königliche Auftrag zur Reise nach Brasilien ereilte. Diese beiden sollten nun nicht nur die Tier- und Pflanzenwelt, sondern auch die Geologie, die Bodenschätze, die klimatischen Bedingungen, die Volkswirtschaft, sowie die Sprachen, Sitten und Überlieferungen der Ureinwohner Brasiliens "auf das Genaueste untersuchen und dokumentieren".

Am 10. April 1817 stach die "Austria" in Triest in See, am 14. Juli lief das Schiff in die Bucht von Rio de Janeiro ein. "Ein unbeschreibliches Gefühl bemächtigte sich unser Aller in diesem Moment, da der Anker auf den Grund eines anderen Kontinents hinabrauschte", schrieb Spix. Fast fünf Monate blieben Spix und Martius in Rio. Der Aufbruch der österreichischen Expedition wurde immer wieder verschoben; schließlich machten sich die beiden Bayern selbständig und brachen mit sechs Maultieren und einem in Rio gekauften Negersklaven nach São Paulo auf.

Menschenraub im Auftrag des Forschers

Das eigentliche Abenteuer beginnt erst, als sich die Reisenden von São Paulo aus nach Nordosten wenden, weit ins Landesinnere, über Belo Horizonte, in das Gebiet der Diamantenschürfer, dann nordwestlich bis in die Gegend der heutigen Hauptstadt Brasilia, wieder ostwärts an die Küste bei Salvador de Bahia, nordwärts über den Rio São Francisco nach São Luis, von dort mit dem Schiff nach Belém, und schließlich den Amazonas aufwärts über Manaus bis nach Tabatinga, den Grenzort zu den spanisch beherrschten Gebieten der heutigen Staaten Kolumbien und Peru.

Sie durchqueren die verschiedensten Klimazonen. In der Trockensteppe der Caatinga, nördlich von Salvador de Bahia, sind sie dem Verdursten nahe. Seit drei Jahren hat es hier nicht mehr geregnet: "Die Mannschaft dumpf vor sich hinbrütend, kein Tropfen Wasser in den Zisternen, wir leckten den Tau von den kahlen Granitplatten". Aber kein Durst und keine Strapaze kann die beiden Forscher von ihrer wissenschaftlichen Arbeit abhalten.

Tagelang bemühen sie sich, ein Stück von einem gewaltigen Eisenmeteoriten abzubrechen, den ein Junge bei der Suche nach einer verirrten Kuh entdeckt hatte. "Nach tagelangem Hämmern hatten wir nicht ein Stück gewonnen. Nichts konnte uns, nach so vielen Opfern, verdriesslicher seyn", schreibt Martius. Schließlich "thürmten wir einen hohen Holzstoß über die Metallmasse auf und unterhielten 24 Stunden lang ein starkes Feuer über ihr" - und endlich gelang es, ein paar Bruchstücke abzuschlagen - sie liegen bis heute in der Mineralogischen Staatssammlung in München.

Am 21. August 1819 machen sich Spix und Martius mit einem von acht Indianern geruderten Boot auf die Fahrt den Amazonas stromaufwärts. Unermüdlich sammeln und präparieren sie Pflanzen und Tiere, vom kleinsten Kolibri bis zur mehr als zwei Meter langen Amazonas-Seekuh. Sie müssen sich vor Kaimanen, Jaguaren und den blutgierigen Pirañas in Acht nehmen, aber kein Tier quält sie mehr als der Pium, die Kriebelmücke. "Keine Worte reichen hin, die Qual zu beschreiben, welche dieses furchtbare Insect über den Reisenden verhängt, wenn es in dichten Schwärmen auf ihn niederfällt."

Die Testamente waren schon geschrieben

In Ega, einem Militärstützpunkt an der Einmündung des Rio Tefé, gingen Spix und Martius getrennte Wege. Spix folgte dem Amazonas aufwärts bis zum Grenzort Tabatinga, Martius fuhr den von Norden einmündenden Rio Japurá aufwärts, bis die unüberwindlichen Katarakte von Arara-Coara die Weiterfahrt unmöglich machten. "Ehe wir uns trennten", schreibt Martius, "legten wir ein schriftliches Testament uns gegenseitig in die Hände".

Aber sie kehrten beide lebend zurück und trafen sich am 11. März 1820 wieder in Manaus. Martius brachte fünf junge Indianer mit. Ein Häuptling vom Stamm der Miranhas hatte sie als Gefangene von einem Kriegszug mitgebracht. "Von diesen unglücklichen Geschöpfen", schreibt Martius, "die ich um so lieber aus den Händen des Unmenschen annahm, als sie hier ohne Fürsorge einem gewissen Tod entgegengingen, ist das älteste, ein Mädchen, von uns nach München gebracht worden." Spix' Biograph Klaus Schönitzer hat allerdings herausgefunden, dass Martius an dieser Stelle etwas Wesentliches verschweigt: Er selbst hatte den Häuptling losgeschickt, um einige Kinder für ihn einzufangen.

Tatsächlich brachten Spix und Martius, als sie fast dreieinhalb Jahre nach ihrer Abreise wieder in Lissabon landeten, zwei Indianerkinder mit, einen Jungen und ein Mädchen, die sie in München auf die Namen Johannes und Isabella taufen ließen. An Fürsorge fehlte es ihnen dort nicht; dem Tode, vor dem Martius sie hatte retten wollen, entgingen sie dennoch nicht. Sie überlebten nicht einmal ein Jahr in der fremden Welt. Auf dem Münchner Südfriedhof wurden sie beerdigt. Im Münchner Stadtmuseum kann man noch ein Bronzerelief mit der Grabinschrift sehen: "Der Heimat entrückt, fanden sie Sorgfalt und Liebe im fernen Welttheile, jedoch unerbittlich des Nordens rauhen Winter."

Entdecker

Von Bayern aus in die Welt

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: