A 94 durch das Isental:Mörderische Autobahn

A 94 durch das Isental: Baustelle der A 94 durch das Isental bei Dorfen.

Baustelle der A 94 durch das Isental bei Dorfen.

(Foto: Sebastian Beck)

Überall in Bayern wird gemordet. Das verraten Krimititel wie "Tod in Sauhub", "Ertränkt in Bierdorf" oder "Mord in Hinterhuglhapfing". Der Autor Leonhard F. Seidl hat nun auch das Isental zum Tatort gemacht - dabei spielt auch die ungeliebte Autobahn eine Rolle.

Von Hans Kratzer

"Mord in Hinterhuglhapfing", "Tod in Sauhub", "Ertränkt in Bierdorf" - die einschlägigen Krimititel des Büchermarkts verraten: Im Freistaat wird gemordet und gemeuchelt, dass es nur so kracht. Lässt man den Blick über die Regale streifen, beschleicht einen das Gefühl, in Bayern gebe es mehr Regionalkrimis als Wirtshäuser und Kirchen. Unweigerlich drängt sich die Frage auf, ob es überhaupt ein Provinznest gibt, das noch nicht Schauplatz eines Kriminalromans gewesen ist.

Solche Gedanken hat wohl auch der 38-jährige Autor Leonhard F. Seidl gehegt, aber er hat eine bemerkenswerte Lücke in der bayerischen Mordlandschaft gefunden. Sein neuer Krimi, der den vieldeutigen Titel "Genagelt" trägt, entfaltet seine Abgründe ausgerechnet im oberbayerischen Isental, das seit Jahrzehnten wegen eines umstrittenen Autobahnprojekts im Fokus steht und lange als Sonderbiotop für Widerspenstigkeit gegen die Obrigkeit gegolten hat. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass im Isental schon früher Romanblut geflossen ist, etwa im Dorf Schwindkirchen, dessen fiktive Abgründe mit toten Hunden und niedergeschossenen Joggern in Andreas Melzerts Roman "Tatort Schwindkirchen" ausgeleuchtet wurden.

Seidl dagegen gibt sich mit einer kleinen Dorfkulisse nicht zufrieden. Weil seine Mordgeschichte dafür viel zu groß ist, wird bei ihm das ganze Isental zum Krimiland. Es ist eine Gegend, die sich über Dutzende Kilometer hinzieht und voller Kuriositäten ist. Diese Buntheit ist lediglich durch die jahrelange Auseinandersetzung um den Bau der Autobahn A 94 in den Hintergrund gerückt. Aber im Grunde genommen ist das Isental mit seinen wunderschönen Seitentälern wie geschaffen für die Literatur, schon wegen der Ästhetik seiner voralpinen Ausläufer sowie seiner anmutigen Dorfbilder. Autor Seidl hat hier seine Kindheit verbracht, und obwohl er mittlerweile mit seiner Familie in Nürnberg lebt, berührt ihn die Metamorphose des Tals durch den Autobahnbau wie so viele andere Menschen fundamental.

Der Realismus kommt schnell abhanden

Im Herzen irritiert, verarbeitet er das Geschehen im Isental mit einem Krimi, der nach seinem gelobten Debütroman "Mutterkorn" von 2011 zum Thema Rechtsradikalismus durchaus Erwartungen weckt. Allerdings kommt Seidl diesmal allzu schnell der Realismus abhanden, seine abenteuerlich konstruierte Politgeschichte wird im Isental noch für viel Gesprächsstoff sorgen. Er treibt nämlich die Geschichte des chaotischen Ermittlers Freddie Deichsler voran, indem er Lokalpolitik und Autobahnbau mutig mit Ingredienzien wie Mord, Vetternwirtschaft und Kindesmissbrauch verwebt.

Seidl gelingt es gut, nicht zuletzt mit dem Stilmittel der Satire, Lokalkolorit zu erzeugen, aber er scheut auch nicht davor zurück, in heiklem Zusammenhang Klarnamen zu nennen und hinter verschleiernden Namen zumindest die eine oder andere real existierende Person erahnen zu lassen. Ausgangspunkt ist der Mord an Deichslers Schulfreund Korbinian Brandner, der an den "Schwammerl" genagelt wurde, jenem populären Symbol für den Widerstand gegen die Isentalautobahn. Deichslers Suche nach dem Mörder in einem biederen, bigotten und korrupten Umfeld wird insofern erschwert, als er ziemlich bald selbst der Hauptverdächtige ist und schauen muss, dass er im Sumpf rund um den Autobahnbau nicht versinkt.

Obwohl ihre Argumente verständlich in die Dialoge hineingepackt sind, werden wohl sogar die Autobahngegner mit dem Buch hadern. Denn so verkommen, wie die Welt der Großkopferten, Parteihengste und Mitläufer hier gezeichnet wird, ist sie dann doch nicht.

Leonhard F. Seidl, Genagelt, Emons Verlag, 304 Seiten, 10,90 Euro.

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